Kamishibai und Kanban

„Bloß nicht noch ein Board!“ ist häu­fig die Reak­ti­on mei­nes jewei­li­gen Gegen­übers, wenn ich die Ein­füh­rung eines Kami­shi­bai-Boards als Ergän­zung zum vor­han­de­nen Task- oder Kan­ban-Board vor­schla­ge (vgl. hier). Das ist scha­de – nicht nur, weil ein Kami­shi­bai (紙芝居) die sinn­vol­le Model­lie­rung wie­der­keh­ren­der Arbeit in einem Kan­ban-Sys­tem ermög­licht, son­dern auch, weil die bei­den Boards und die dahin­ter­ste­hen­den Ideen, Prin­zi­pi­en und Pro­zes­se so naht­los inein­an­der­grei­fen kön­nen, dass das Ergeb­nis nach kür­zes­ter Zeit gar nicht mehr wie „noch ein Board“ wirkt. Betrach­tet man das Kami­shi­bai-Board als so etwas wie ein „zusätz­li­ches Backlog​1″ mit spe­zi­el­len Eigen­schaf­ten und spe­zi­el­ler (lies: sich wie­der­ho­len­der) Arbeit, kann sich eben die­se Arbeit ein­fach in den vor­han­de­nen Arbeits­fluss hineinmischen:

Kamishibai und Kanban – Arbeitsfluss

  • Die Kami­shi­bai-Kar­ten wan­dern bei Fäl­lig­keit der jewei­li­gen Tätig­keit direkt auf das Kan­ban-Board, star­ten aber nicht im Back­log (das Kami­shi­bai-Board wird in die­sem Fall ja schon als eine Art „Back­log“ begrif­fen), son­dern bereits eine​2 Spal­te wei­ter im Arbeits­fluss (roter Pfeil).
  • Im Fal­le zwei­far­bi­ger Kar­ten (vgl. hier) zeigt bei Kami­shi­bai-Kar­ten, die sich auf dem Kan­ban-Board befin­den, die rote Sei­te nach vorn – die Arbeit ist ja fäl­lig, aber noch nicht getan!
  • Ist die Arbeit getan, wan­dert die Kar­te (nun mit der grü­nen Sei­te vorn) nicht etwa in die meist mit „Done“ beschrif­te­te letz­te Spal­te des Kan­ban-Boards, son­dern zurück auf das Kami­shi­bai-Board (grü­ner Pfeil).
  • „Nor­ma­le“ (lies: sich nicht wie­der­ho­len­de) Arbeit aus dem „nor­ma­len“ Back­log wan­dert wie üblich über das Board (graue Kar­ten, grau­er Pfeil).

Kamishibai und die Kanban-Praktiken

Der m. E. größ­te Vor­teil die­ses Vor­ge­hens ist, dass sämt­li­che Kan­ban-Prak­ti­ken qua­si auto­ma­tisch und ohne wei­te­re Vor­keh­run­gen nun auch auf die sonst oft ver­steck­ten (Routine‑)​Wartungstätigkeiten ange­wandt wer­den können:

  • „Visua­li­sie­re [alle Arbeit]3″: Nicht nur der Arbeits­fluss inklu­si­ve sich wie­der­ho­len­der (Wartungs‑)​Tätigkeiten wird visua­li­siert und die gesam­te aktu­ell im Sys­tem befind­li­che Arbeit ist auf einen Blick sicht­bar, auch künf­tig anste­hen­de War­tungs­ar­bei­ten und deren Sta­tus sind erkenn­bar. Idea­ler­wei­se gibt es kei­ne roten Kar­ten mit „nor­ma­ler“ Arbeit, so dass auch die im „WIP-Teil“ des Sys­tems befind­li­chen sich wie­der­ho­len­den Tätig­kei­ten sofort ins Auge fallen.

Kamishibai und Kanban – Status vs. (Arbeits‑)​Fluss

  • „Limi­tie­re die par­al­le­le Arbeit (WIP)“: WIP-Limits (vgl. hier und hier) kön­nen für bei­de Arten von Arbeit gemein­sam imple­men­tiert und ein­heit­lich visua­li­siert werden.
  • „Mana­ge den Arbeits­fluss“: Da sich die bei­den Arten von Arbeit auf dem Kan­ban-Board mischen, kann der gesam­te Arbeits­fluss (inklu­si­ve der sonst oft ver­bor­ge­nen Rou­ti­ne-Auf­ga­ben) gema­nagt werden.
  • „Mache Pro­zess­re­geln expli­zit“: Das Kami­shi­bai-Board ist an sich schon eine visu­el­le Expli­zie­rung von Pro­zess­re­geln für sich wie­der­ho­len­de Arbeit – und die­se kann z. B. durch die Gestal­tung der Kami­shi­bai-Kar­ten noch mas­siv aus­ge­baut werden.
  • Kamishibai-Karte – Kaizen – "inspect and adapt"„Imple­men­tie­re Rück­kopp­lungs­schlei­fen“: Der regel­mä­ßi­ge Review des Kami­shi­bai-Boards erwei­tert die (hof­fent­lich bereits imple­men­tier­te) Rück­kopp­lung um bis­her meist ver­steck­te Aspekte.
  • „Ver­bes­se­re gemein­sam, ent­wick­le expe­ri­men­tell wei­ter“: Kami­shi­bai-Kar­ten kön­nen bei geeig­ne­ter Gestal­tung (vgl. Abb. rechts) „inspect and adapt“ bzw. Kai­zen extrem gut unterstützen.

Kamishibai und die Kanban-Kadenzen

Eben­so naht­los, wie die Kami­shi­bai-Metho­de die Kan­ban-Prak­ti­ken unter­stützt, fügt sie sich in die Kan­ban-Kaden­zen​4 ein – wie auch immer die­se in der kon­kre­ten Imple­men­tie­rung aus­ge­stal­tet sind. Beson­ders her­vor­zu­he­ben sind hier m. E. drei spe­zi­fi­sche Kaden­zen bzw. (falls die­se nicht expli­zit exis­tie­ren) The­men oder zumin­dest Rückkopplungsschleifen:

  • „Ser­vice Deli­very Review“ bzw. „Ser­vice­ver­bes­se­rung“: Auch, wenn Kai­zen m. E. etwas kon­ti­nu­ier­li­ches und womög­lich mehr eine Hal­tung als ein Pro­zess sein soll­te: Meist exis­tiert den­noch eine expli­zi­te Kadenz zu die­sem The­ma. Das ist spä­tes­tens der Moment, in dem auch alle Kami­shi­bai-Kar­ten (sofern sie ent­spre­chend gestal­tet sind, vgl. Abb. wei­ter oben) unter die­sem Aspekt betrach­tet, aus­ge­wer­tet und geeig­ne­te Maß­nah­men sowie deren Über­prü­fung geplant wer­den sollten.
  • „Rep­le­nish­ment-Mee­ting“ bzw. „Nach­schub“:Kamishibai und Kanban –åç Replenishment Meeting Auf den ers­ten Blick könn­te man anneh­men, das Rep­le­nish­ment-Mee­ting sei der Moment, in dem Arbeit vom Kami­shi­bai- auf das Kan­ban-Board beför­dert wird. Das ist m. E. nicht der Fall, denn dafür dürf­te die Fre­quenz die­ser Kadenz im Ver­gleich zur Häu­fig­keit der sich wie­der­ho­len­de Tätig­kei­ten deut­lich zu nied­rig sein. Sinn­voll erscheint mir hin­ge­gen, Ergän­zun­gen des Kami­shi­bai-Boards selbst (also zusätz­li­che War­tungs­tä­tig­kei­ten o. ä.) vor­ran­gig im Rah­men des Rep­le­nish­ment-Mee­tings vorzunehmen.
  • „KAN­BAN-Mee­ting“ („Dai­ly [Stan­dup]“) bzw. „Arbeits­fluss“: Kamishibai und Kanban – KANBAN-Meeting – Daily StandupWie auch immer der Arbeits­fluss orga­ni­siert wird, wie auch immer sich die Betei­lig­ten dabei abstim­men – ein „Dai­ly“ erscheint mir hier übri­gens häu­fig über­trie­ben und „Dai­lies“ nei­gen zudem m. E. zur Dege­ne­ra­ti­on hin zum Kaf­fee­klatsch –: Fin­det ein täg­li­ches „Stan­dup“ statt, ist das sicher­lich der rich­tig Zeit­punkt, anste­hen­de Auf­ga­ben vom Kami­shi­bai- auf das Kan­ban-Board zu schie­ben. Min­des­tens soll­te die­ser Vor­gang mit einer Fre­quenz durch­ge­führt wer­den, die der kleins­ten Wie­der­ho­lungs­ra­te am Kam­shi­bai-Board entspricht.

Der ewige Konflikt von Betrieb, Support und WartungEben­so, wie Kan­ban nicht nur aus dem Schie­ben von bun­ten Post-Its besteht, ist ein Kami­shi­bai auch nicht ein­fach nur „noch ein Board“, son­dern viel­mehr eine m. E. naht­los pas­sen­de Erwei­te­rung – und neben­bei bemerkt eine gro­ße Chan­ce, den ewi­gen Kon­flikt von Betrieb, Sup­port und War­tung bes­ser zu managen!

Fuß­no­ten:

  1.  Wie auch immer die­se Spal­te beschrif­tet ist.
  2.  Je nach Arbeits­fluss bzw. Pro­zess­re­geln mög­li­cher­wei­se sogar meh­re­re Spal­ten weiter.
  3.  Ich ver­su­che, „Visua­li­sie­re“ mög­lichst immer mit „alle Arbeit“ zu ergän­zen; gera­de das Iden­ti­fi­zie­ren und Sicht­bar­ma­chen von ver­steck­ter Arbeit erscheint mir als eine der ganz gro­ßen Stär­ken bereits von nur rudi­men­tä­ren Kan­ban-Imple­men­tie­run­gen – also als eine wirk­lich „tief hän­gen­de Frucht“.
  4.  Ich bin mit die­ser Nomen­kla­tur bzw. Über­set­zung („Kadenz“) latent unglück­lich, ver­su­che aber grund­sätz­lich, mich soweit wie mög­lich an der deut­schen Ver­si­on von „Essen­ti­al Kan­ban Con­den­sed“ von David J. Ander­son und Andy Car­mi­cha­el (Ander­son, David J. & Car­mi­cha­el, Andy: Die Essenz von Kan­ban kom­pakt. Hei­del­berg: dpunkt.verlag GmbH 2018) zu orientieren.

2 Replies to “Kamishibai und Kanban”

  1. Hi Tim!

    Vie­len Dank für die­sen tol­len Arti­kel und die Bar­camp-Ses­si­on am Frei­tag dazu. Kann­te Kami­shi­bai tat­säch­lich noch gar nicht und wer­de mich mal näher damit beschäftigen. 

    Lie­be Grüße
    Lars

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