Strukturiert man sein Task- oder Kanban-Board, beginnt der Workflow naheliegenderweise häufig mit einer „To Do“ oder „Backlog“-Spalte und endet mit einer „Done“-Spalte – und alles dazwischen ist mehr oder minder „WIP“, „Work in Progress/Process“, ggf. in mehreren Schritten:
Etwas, das man auf physischen Boards gelegentlich sieht, mir aber im Falle von Software-Boards tatsächlich kaum begegnet1, ist eine Trennung sämtlicher einzelner Spalten im „WIP-Bereich“ (bis auf die Spalte vor der „Done“-Spalte) in „To Do“ und „Done“ bzw. (m. E. deutlicher) in „In Progress“ und „Ready“2:
Was auf den ersten Blick unnötig (über‑)komplex wirkt, hat je nach Arbeitsweise jedoch große Vorteile: Ohne diese Unterteilung ist auf dem Board nicht sichtbar, ob ein Arbeitsschritt abgeschlossen oder noch in Arbeit ist – es sei denn, der Bearbeiter schiebt die Karte nach Abschluss einfach in die nächste Spalte. Letzteres ist aber potentiell nicht möglich, ist die nächste Spalte bzw. der nächste Arbeitsschritt WIP-limitiert – und die Karte nach Abschluss des Schritts einfach weiterzuschieben, ist auch eher als „Push“ denn als „Pull“ zu betrachten. Sofern einzelne Arbeitselemente („Karten“) explizit und fest über den gesamten Arbeitsfluss nur genau einer Person zugeordnet sind, mag diese Intransparenz der Darstellung noch zu verkraften sein, spätestens aber, wenn die einzelnen Arbeitsschritte verschiedenen Personen zugeordnet sind, wird sehr viel Abstimmung zwischen den Beteiligten notwendig, um das System nicht ausgerechnet im „WIP-Bereich“ aus Versehen zu einem „Push“-System zu machen und jede Form von WIP-Limitierung zu erschweren.
Eric Brechner geht übrigens gar so weit, das Fehlen dieser Unterteilung als Kanban-„Anti-pattern #1“ zu bezeichnen3 – und bedenkt man, wie selten diese Unterteilung trotz ihrer offenkundigen Relevanz zu finden ist (Google-Bildersuche), könnte er damit durchaus recht haben.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass die durch das Fehlen dieser Unterteilung mangelnde Transparenz an dieser Stelle ja durch die Abstimmungen im (womöglich täglichen) Kanban-Meeting ersetzt würde, man sich schon bespreche und das dann quasi von allein funktioniere. Dem möchte ich allerdings aus mindestens zwei Gründen widersprechen:
- Ist erst nach dem Kanban-Meeting klar, welche Karten „weiterwandern“, wird automatisch eine Art „Takt“ vorgegeben, der das Arbeitssystem potentiell erheblich bremst. Mit Arbeit, für die Kapazität vorhanden ist, zu warten, bis ein Meeting stattgefunden hat, erscheint mir wenig flussorientiert und wenig effizient.
- Der Fokus des Kanban-Meetings sollte m. E. auf möglichen Blockern liegen; Abstimmungen über den „normalen“ Fluss sollten kaum nötig sein – denn u. a. genau dafür gibt es ja die Visualisierung des Arbeitsflusses.
Mindestens an den Punkten, an denen systemimmanent potentiell ein Wechsel des Bearbeiters stattfindet4, sollte also eine Unterteilung der Spalten in „To Do“ und „Done“ erfolgen5. Derjenige, der einen „Pull“ in die nächste Spalte erwägt, kann dadurch auf den ersten Blick sehen, ob ein Schritt erledigt und zumindest die ausschließlich auf das Arbeitselement bezogenen Pull-Kriterien erfüllt sind – m. E. eine der Grundvoraussetzungen für ein funktionierendes „Pull“-System. Zudem ist transparent, ob sich Arbeit in einem Schritt bzw. einer Spalte „stapelt“, weil der Schritt nicht abgeschlossen wurde oder weil (beispielsweise aufgrund von WIP-Limits) einfach nur kein „Pull“ in den folgenden Schritt erfolgt ist.
Fußnoten:
- ↑ Bei den meisten Softwarelösungen scheint diese Funktionalität schlicht zu fehlen.
- ↑ Wie z. B. in „Essential Kanban Condensed“ von David J. Anderson und Andy Carmichael (Anderson, David J. & Carmichael, Andy: Die Essenz von Kanban kompakt. Heidelberg: dpunkt.verlag GmbH 2018. S. 15 und S. 26.).
- ↑ Vgl. <https://imwrightshardcode.com/kanban-anti-patterns/> (16.06.2021).
- ↑ Also je nach Arbeitsorganisation womöglich bei jedem Arbeitsschritt.
- ↑ Falls die eingesetzte Software-Lösung dies nicht kann, bleibt einem nichts anderes übrig, als diese Aufteilung über zwei entsprechende Spalten quasi nachzubauen. Interessant erscheint mir die Frage, ob und inwieweit die fehlende Funktionalität in vielen Produkten die Verbreitung des Fehlens dieser Unterteilung begünstigt hat.