Corporate Design
Corporate Design kann sehr hilfreich sein – und sehr hinderlich. Den Sinn eines einheitlichen Markenauftritts stellt wohl niemand in Abrede, auch für qualifizierte Hilfe bei der Farb- und Schriftwahl (vgl. Teil 4 dieser Serie) in Form eines professionellen „Corporate Design Guides“ dürfte der graphisch Unbedarfte sehr dankbar sein. Problematisch wird es, wenn eben dieser „Guide“ zu einem starren Korsett wird, das wirksame Visualisierungen verhindert oder womöglich gar inhaltlichen Einfluss nimmt (z. B. durch explizite Vorgaben zur Verwendung von Stichpunkten o. ä.). Kombiniert man ein solches Korsett mit den verschiedenen in dieser Serie aufgezeigten durch das Werkzeug begünstigten „Unsitten“ und der sehr Text-geprägten Präsentationskultur vieler Organisationen, bleibt oftmals wenig von der ursprünglich eindrucksvollen „Story“ und deren graphischen Untermalung. Ein wirklich schönes – wenn auch konstruiertes – Beispiel für dieses Problem zeigt Dr. Michael Gerharz in seinem Blog unter <http://ueberzeugend-praesentieren.de/blog/indiana_powerpoint.html>.
„Viel hilft viel“ scheint ein verbreitetes Dogma vieler über die jeweilige Corporate Identity „wachenden“ Marketing-Abteilungen zu sein: Praktisch jedes Firmen-Template für Präsentationen sieht auf jeder einzelnen Slide mindestens einmal das Firmenlogo an mehr oder minder prominenter Stelle vor. Slides ohne Logo werden womöglich gar von der „CI-Polizei“ angemahnt, die Platzierung des Logos per Dekret erzwungen – und das alles unter dem Vorwand der „Brandings“. Branding ist vor allem eine Frage von Markenassoziationen – davon, was mit einer Marke inhaltlich und emotional verbunden wird. Das, womit Ihre Marke durch exzessive Platzierung des Logos auf Ihren Folien verbunden wird, sind unaufgeräumte Folien und das sehr aufdringliche Logo-Placement – Ihre Geschichte, die Inhalte und das Emotionale des Brands – leiden1.
Lassen Sie sich Ihre Präsentationen nicht von der „Corporate Identity-Polizei“2 ruinieren – leisten Sie Widerstand! Oft reicht es schon, die „Erlaubnis“ für formatfüllende Fotos (womöglich gar ohne das oft obligatorische Logo in einer der Ecken) zu erhalten – auf diese Weise bekommen Sie den Spielraum, der notwendig ist, um zu zeigen, dass es auch anders (besser!) geht. Anschließend beginnt die normative Kraft des Faktischen zu wirken. Beschleunigen können Sie diesen Prozess durch Verbündete, die es Ihnen gleichtun: Letztlich wirken Sozialnormen stärker als Styleguides.
Styleguides vermögen übrigens auch Positives zu leisten – an erster Stelle und als relativ aktuelles Beispiel sei hier Microsoft genannt: Das Corporate Design des Unternehmens wurde mit dem Erscheinen von Windows 8 fast vollständig und mit beeindruckender Konsequenz an die „Kachel-Ästhetik“3 des Produkt-Flaggschiffs angepasst – ein modernes, ausgesprochen aufgeräumtes und (nicht zuletzt aufgrund der Genese – letztlich handelt es sich um das Design einer Benutzeroberfläche) stark auf den „visuellen Konsumenten“ ausgerichtetes Design4. Die Folgen für das Präsentationsdesign innerhalb des Unternehmens sind gewaltig: Es scheint, als hätten sich die neuen „Microsoft design principles“5 auch für das Folien-Design durchgesetzt; die Folien wirken aufgeräumt und schlicht und sind meist auf die jeweils relevante Kernbotschaft reduziert – die Zeiten extrem „überfüllter“ Folien sind vorbei. Selbst der begeistertste Techniker wird durch das neue Corporate Design daran gehindert, auch noch das allerletzte technische Detail auf die Folie zu quetschen; Slideuments sind hier praktisch ausgestorben.
Templates und Vorlagen
Viele Präsentationsvorlagen sind von erfahrenen Grafikern mit viel Aufwand gestaltet worden. Die damit erstellten Präsentationen sind im Ergebnis oftmals dennoch erstaunlich wenig ästhetisch und vor allem wenig wirksam. Eine sehr plausible Hypothese dazu hat Jan Schultink z. B. (<http://ideatransplant.com/>) aufgestellt: Er merkt an, dass die Grafiker beauftragt werden, (leere) Vorlagen zu gestalten – nicht aber Präsentationen6. Da (Kommunikations‑)Design per se dem Inhalt und dessen Kommunikation dient, kann Design „im luftleeren Raum“ ohne Inhalt keinen Erfolg haben. So etwas wie ein „a priori-Design“ ist rein logisch nicht oder nur sehr begrenzt möglich: Die generische Marke mag durch ein geeignetes Template noch unterstütz- und transportierbar sein; der konkrete Inhalt des Vortrags ist (hoffentlich) nicht generisch und bedarf dementsprechend auch einer individuellen grafischen Gestaltung. Verbringen Sie Ihre Zeit nicht mit der Gestaltung von Vorlagen, sondern mit der Gestaltung Ihrer Folien. Sollten Sie die Hilfe eines Grafikers in Anspruch nehmen wollen: Bitten sie ihn nicht um eine Vorlage, lassen Sie ihn (in Interaktion mit Ihnen als den Schöpfer der zu untermalenden Inhalte) Ihre Präsentation überarbeiten.
„Frankensteining“
How can I describe my emotions at this catastrophe, or how delineate the wretch whom with such infinite pains and care I had endeavoured to form? His limbs were in proportion, and I had selected his features as beautiful. Beautiful! Great God! His yellow skin scarcely covered the work of muscles and arteries beneath; his hair was of a lustrous black, and flowing; his teeth of a pearly whiteness; but these luxuriances only formed a more horrid contrast with his watery eyes, that seemed almost of the same colour as the dun-white sockets in which they were set, his shrivelled complexion and straight black lips.
Mary Shelley: Frankenstein or The Modern Prometheus (1818)
Victor Frankensteins Einstellung zu seinem aus unterschiedlichsten Teilen fragwürdiger Herkunft zusammengesetzten Werk ist spätestens im Moment der Schöpfung offenkundig mehr als nur ein bisschen ambivalent. Betrachtet man viele aus unterschiedlichsten Folien (oftmals ebenfalls fragwürdiger Herkunft) mehr oder minder hektisch zusammenkopierte Präsentationen, wird klar, warum Jan Schultink (<http://ideatransplant.com/>) für dieses Zusammenkopieren den Begriff „Frankensteining“7 eingeführt hat. Ich hoffe, Ihre Einstellung zu auf diese Weise erstellten Präsentationen ist bei Betrachtung des fertigen Werks ebenfalls eher ambivalent. Patchwork ist eben nur bei Textilien und unter sehr definierten Bedingungen reizvoll – und vermutlich auch in der Textilverarbeitung ebenfalls ursprünglich aus der Not geboren.
„Frankensteining“ führt nach meiner Erfahrung zu (mindestens) zwei Problemen – einem optischen und einem inhaltlichen:
- Inhaltlich kann uns Mary Shelleys obiger Romanausschnitt als wunderbare Mahnung dienen: Die Einzelteile der zusammengesetzten Präsentation mögen jeweils für sich genommen perfekt sein – dem Ergebnis möchte man dennoch nicht „in die Augen schauen“. Dass aus einem Flickwerk von Präsentations-Schnipseln eine inhaltlich schlüssige Präsentation mit einem einigermaßen sinnvollen „roten Faden“ wird, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Schöpfung eines perfekten Menschen aus Körperteilen Verstorbener. Noch unwahrscheinlicher ist, dass Sie als Referent eine inhaltliche Beziehung zu diesem Flickwerk aufbauen, die Ihnen einen kongruent-glaubwürdigen Vortrag ermöglicht.
- Auch optisch kann Frankensteins Schöpfung als ein schöner Vergleich dienen: Der „horrid contrast“ Shelleys findet sich ebenfalls oft in aus unterschiedlichen Quellen zusammengesetzten Präsentationen. Die Folien wirklich vollständig bezüglich Schrift, Farbschema, Gestaltungsraster, Sprache8 und eventueller Clipart zu vereinheitlichen, ist oftmals mehr Arbeit, als die Präsentation einfach komplett neu zu erstellen. Uneinheitlichkeit im Design ist nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten problematisch: bestenfalls lenkt es nur ab, schlechtestenfalls bemerkt Ihr Publikum, dass die Slides nicht von Ihnen stammen – was Ihren Vortrag nicht unbedingt glaubwürdiger macht!
Vermeiden können Sie beide Probleme recht einfach: Übernehmen Sie nur dann Slides aus anderen Präsentationen, wenn es wirklich nötig und der Aufwand zur Vereinheitlichung des Designs vertretbar ist.
Sollten Sie größere Mengen Slides oder gar eine komplette Präsentation übernehmen, handelt es sich nicht mehr um „Frankensteining“, sondern um das Halten anderer Leute Vorträge:
Anderer Leute Vortrag halten
Der Glaube an den hohen semantischen Gehalt der bloßen Folien ist inzwischen soweit gediehen, dass das Weitergeben der Folien häufig als für das Referat vollständig qualifizierend erachtet wird. Eine PowerPoint-Datei kurzfristig per E‑Mail geschickt zu bekommen, um den Absender dann vermeintlich vollumfänglich vor Publikum vertreten zu können, ist für viele Menschen an der Tagesordnung. Würden nicht nach wie vor hauptsächlich „Slideuments“ (vgl. Teil 2 dieser Serie) erzeugt, wäre dieses Vorgehen durch häufiges offensichtliches Scheitern bereits ausgestorben. Vorträge dieser Art erhalten oftmals den Charakter einer Kinovorstellung mit deutlich weniger als den minimal üblichen 24 Bildern pro Sekunde – und einem hektisch den Presenter klickenden zum Filmvorführer degradierten „Referenten“.
Lassen Sie sich wenn irgend möglich nicht darauf ein – Sie sind kein Schauspieler9, Ihre Aufgabe ist es nicht, anderer Leute Rolle zu spielen, sondern Sie selbst zu sein und Ihren Vortrag zu halten – und das ist im engen Korsett anderer Leute Folien meist nicht möglich.
Sollten Sie dennoch dazu genötigt sein, anderer Leute Vorträge halten zu müssen, seien Sie (Laien‑)Schauspieler mit allen Konsequenzen10: Bereiten Sie sich vor wie ein Schauspieler. Lernen Sie ihre Rolle, versuchen Sie der Qualifikation und den inhaltlichen Positionen des ursprünglichen Referenten so nah wie möglich zu kommen. Lernen Sie Ihren Text – möglichst nicht wörtlich, aber zumindest sinngemäß. Idealerweise haben Sie den Vortrag bereits einmal „im Original“ oder auf Video erlebt oder verfügen zumindest über Sprechernotizen in der Präsentationsdatei – oder notfalls über die Telefonnummer des ursprünglichen Referenten. Scheuen Sie sich nicht, nachzufragen – liegt dem ursprünglichen Referenten sein Vortrag am Herzen, erhalten Sie bereitwillig Auskunft. Ist dies nicht der Fall, ist es offenbar nicht so wichtig und/oder es kann auch „im Original“ kein besonders guter Vortrag gewesen sein. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie übernehmen diese Haltung oder Sie erstellen und halten Ihren eigenen Vortrag!
Zu Beginn dieser Serie über Präsentationsdesign hätte ich mir nicht träumen lassen, dass dieses Thema jemals auf sieben (oder acht – zählt man „Ist PowerPoint wirklich gefährlich?“ quasi als Einleitung dazu) Teile anwächst. Die meines Erachtens wichtigsten Aspekte des Themas sind nun beleuchtet – der kommende 7. Teil dieser Serie wird sich vor allem Literatur und Links widmen und diese Serie so mit der Anregung zur Vertiefung beschließen.
Footnotes:
- ↑ Vgl. Garr Reynolds Blog-Posting „Who says we need our logo on every slide?“ <http://www.presentationzen.com/presentationzen/2007/05/the_source_of_a.html>.
- ↑ Eine eng mit Tom DeMarcos „Büropolizei“ (i.O. [office] „furniture police“) zusammenarbeitende Organisation.
- ↑ Vgl. <http://en.wikipedia.org/wiki/Metro_(design_language)>.
- ↑ Nicht zuletzt, da der Smartphone- und Tablet-Formfaktor stark im Fokus der Designer war und diese Geräte naturgemäß eher dem Konsum als der Produktion von Information dienen.
- ↑ Vgl. <https://docs.microsoft.com/de-de/windows/uwp/design/basics/design-and-ui-intro>.
- ↑ Vgl. <http://blog.ideatransplant.com/2011/07/reason-why-competent-graphics-designers.html>.
- ↑ Offenbar ein im Englischen eingeführter Terminus – vgl. <http://www.urbandictionary.com/define.php?term=Frankensteining> (die zum Zeitpunkt der Recherche [31.03.2013] als primär angeführte Bedeutung ist stimmig, die weiteren angeführten Bedeutungen sind – wie beim „Urban Dictionary“ nicht unüblich – einigermaßen irritierend).
- ↑ Zum „babylonischen Sprachwirrwarr“ durch „Frankensteining“ vgl. den Abschnitt zum Schriftsatz in Teil 4 dieser Serie.
- ↑ Und erst recht kein Filmvorführer.
- ↑ Unter anderem natürlich auch der mangelnden Kongruenz und Authentizität – die Ihr Publikum aufgrund Ihrer fehlenden Schauspielausbildung womöglich bemerken wird.