Vor einiger Zeit veröffentlichte die Made in Office GmbH, ein Hersteller von Office-Erweiterungen, zusammen mit der GfK eine Auftragsstudie zur Nutzung von PowerPoint1. Einer der Hauptaspekte der Studie war die Frage, womit beim Erstellen von Präsentationen die Zeit verbracht wird – eine für einen Hersteller von Erweiterungen, die der Produktivitätssteigerung dienen sollen, hochinteressante Frage, deren Antwort (wenig überraschend) für den Einsatz der Produkte des Auftraggebers spricht. Betrachte ich die Studie einmal ganz nüchtern und ohne Marketing-Interessen, zeigen sich m. E. bemerkenswerte Widersprüche – in sich und im Vergleich zu anderen Untersuchungen:
- 40 % der Zeit verbringen die Anwender mit dem Formatieren von Folien. Dennoch sind anschließend rund drei Viertel der Präsentationen nicht corporate-design-konform – und das, obwohl mehr als drei Viertel der Präsentationen auf Basis bereits vorhandener Präsentationen erstellt werden2. Das Überführen von Folien in ein neues Design steht allerdings bei den Formatierungstätigkeiten an dritter Stelle. Offen bleibt aber leider, ob es hier um Anpassungen an (womöglich sehr häufig wechselnde) neue Design-Vorgaben oder um die Übernahme von Folien anderer Organisationen3 geht – angesichts des hohen Zeitaufwands für das Formatieren nicht unwahrscheinlich.
- Auf der anderen Seite wird nach meiner eigenen Zählung knapp 70 % des Folientextes in den Default-Fonts formatiert4 – und das fast immer in den automatisch vorgegebenen Größen5. Knapp zwei Drittel aller Folien basieren zudem auf dem Standard-Layout „Objekt“6.
Zwei Fünftel der Zeit wird mit dem Formatieren verbracht – obwohl überwiegend die Automatismen und Vorgaben von PowerPoint verwendet werden. Für diesen auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinenden Sachverhalt fallen mir zwei naheliegende Begründungen ein:
- Betrachten wir eine weitere Zahl aus der GfK-Studie: Ein Viertel aller Anwender hat nie eine PowerPoint-Schulung erhalten, mehr als die Hälfte sind nur „wenig bis mittel“ geschult worden7. Darüber, wie viele Anwender neben einer (werkzeug-orientierten) PowerPoint-Schulung eine (inhalts-orientierte) Präsentations-Schulung erhalten haben, schweigt sich die Studie gänzlich aus. Dass auf methodischer Seite – also bezüglich der Präsentationskompetenz – häufig erheblicher Nachholbedarf besteht, zeigt die nicht enden wollende Diskussion über „Death by PowerPoint“. Dass es auch erschreckend großen Nachholbedarf in Sachen Werkzeugkompetenz (also in Bezug auf die rein technische PowerPoint-Nutzung) gibt, sieht man m. E. an dem hohen Zeitaufwand für das Formatieren der Folien – und daran, dass dieser immense Aufwand dennoch meist nur zum „Einheitsbrei“ der PowerPoint-Defaults führt.Je verbreiteter ein Softwareprodukt ist, desto weniger wird nach meinem Eindruck dafür geschult. Die Annahme, „das könne doch jeder“, ist allerdings nicht zwingend: Nur, weil man in Schule, Universität oder vorhergehender Tätigkeit damit arbeiten musste, heißt das noch lange nicht, dass man das Werkzeug wirklich beherrscht. Ebenso gut ist es möglich, dass man es zuvor in Schule, Universität und vorhergehender Tätigkeit eben nicht richtig beherrscht hat – und es jetzt immer noch nicht beherrscht.
- PowerPoint ist ein wunderbares Prokrastinations-Werkzeug – und Präsentieren oft angstbesetzt und dementsprechend schon während der Vorbereitung häufig Gegenstand unterschiedlichster Prokrastinations-Strategien. Und so kommt es möglicherweise zu der absurden Situation, dass eine Produkt-Schulung eher neue Möglichkeiten der Prokrastination aufzeigt – Stunde über Stunde z. B. mit den Feinheiten der Pfadanimation oder dem Ausprobieren unterschiedlicher SmartArt-Varianten verbracht wird.
Werkzeugbeherrschung ist zwar notwendig, aber keinesfalls hinreichend. Bevor man PowerPoint auch nur startet, sollte man gutes (und vor allem auch angstfreies) Präsentieren lernen – dann ist auch viel weniger Prokrastinaktion „nötig“.
Fußnoten:
- ↑ Made in Office GmbH, GfK SE: Wie wir beim Arbeiten mit PowerPoint wertvolle Zeit vergeuden. B2B-Studie der GfK im Auftrag der Made in Office GmbH. Köln: 2015. Download nach Registrierung unter <http://www.made-in-office.com/de/beratung/powerpoint-studie/> (02.08.2016).
- ↑ Ebenda, S. 4.
- ↑ Aus einem völlig anderen Design, also letztlich „Frankensteining“, vgl. hier.
- ↑ Themann, Tim: Visual Logorrhea – On the Prevalence of Slideuments, Hamburg: 2014. S. 12. Download hier.
- ↑ Ebenda, S. 11.
- ↑ Ebenda, S. 13.
- ↑ Made in Office GmbH, a. a. O., S. 7.