In mehr als zwei Jahrzehnten im IT-Infrastruktur-Bereich habe ich unzählige „What’s New in Version ‚x‘ “-Vorträge über mich ergehen lassen – passiv wie auch aktiv (lies: als Referent). Viele davon waren erstaunlich schlecht1 – und das, obwohl es sich doch eigentlich geradezu um eine Standard-Aufgabe handelt: Dem Publikum die neuen „Features“ einer neuen Produktversion vorzustellen, ihm das Update(-Projekt) schmackhaft zu machen und dabei selbst möglichst auch erkennbar „up-to-date“ zu wirken, ist fester Bestandteil der Arbeit als IT-Berater oder IT-Vertriebsbeauftragter.
Das Problem ist: Es ist auch eine erstaunlich schwierige Aufgabe. Immer weniger spezialisierte, immer diversifiziertere Produkte enthalten immer breiter gestreute Funktionalitäten. Der Fokus der jeweiligen „Release“ ist häufig kaum mehr zu erkennen; die Liste der Neuerungen wirkt oft geradezu zusammenhanglos. Die Versuchung, diese überbordende Funktionalität möglichst vollständig und mehr oder minder umfangreich kommentiert quasi aufzuzählen, ist groß. Ein guter Vortrag kann so allerdings kaum entstehen: Die einzelnen Neuigkeiten sind oftmals nur lose oder gar nicht verbunden, wirken aneinandergereiht vorgetragen oft fast schon anekdotisch.
Es ist ein wenig wie mit einer Schachtel Pralinen: Einzeln und durch das Verpackungsmittel isoliert liegen die Konfekte in der Schachtel. Es ist für jeden etwas dabei – aber in der Gesamtheit ist es zu viel des Süßen: Versucht man, wirklich jede einzelne Praline zu verkosten, wird man ihrer bei aller Köstlichkeit doch recht schnell überdrüssig – und anzunehmen, man könne durch einen solchen „Fressanfall“ die sicherlich wohlüberlegte Kompositionsleistung des Chocolatiers nachvollziehen, erscheint illusorisch. Hinzu kommt: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man ob des vollen Magens eine potentielle Lieblings-Praline gar nicht mehr zu würdigen vermag.
Weniger ist (wie so häufig) mehr – ermöglicht erst wirkliches Geschmackserleben und beugt nebenbei dem Völlegefühl vor.
Ähnlich ist es tatsächlich mit vielen „What’s New“-Vorträgen: Der Referent überfüttert das Publikum. Mit der (ja prinzipiell lobenswerten) Intention, möglichst vollständig zu informieren, entsteht eine zusammenhanglose Aneinanderreihung höchstens lose verbundener Fakten – und nach der zehnten meist übervollen Folie vermag auch der aufmerksamste Kunde nicht mehr zu erkennen, wie ihm die jeweilige Funktionalität womöglich helfen könnte. „What’s New“-Präsentationen sind prädestiniert für „Death by PowerPoint“ – je umfangreicher das neue Release ist, desto mehr.
Vergessen Sie den Anspruch auf Vollständigkeit! „Weniger ist mehr“ gilt auch hier: Greifen Sie sich einige neue Funktionalitäten heraus – nicht zwangsläufig die vermeintlich „wichtigsten“, sondern vielmehr einige (vielleicht auch teilweise ältere, nahezu unbekannte) Funktionen, die zusammenwirken und so neue Lösungen ermöglichen. Nur so können Sie eine Geschichte erzählen – eine Geschichte darüber, wie Ihre Kunden aus der neuen Version neuen Nutzen gewinnen können2. Eine solche Geschichte ist es, die in Erinnerung bleibt – nicht eine vollständige, aber zusammenhanglose Auflistung von Neuigkeiten.
Was nun tun mit den vielen Funktionen, die man so nicht erwähnen konnte? Näher an die Vollständigkeit kommen Sie, indem Sie mehrere Geschichten erzählen – am besten in unterschiedlichen Vorträgen mit verschiedenen Referenten und Vortragsstilen.
Möchten Sie mehr als nur ein Völlegefühl hinterlassen, müssen Sie auswählen – nicht die „wichtigsten“ neuen „Features“, sondern die besten neuen Geschichten! Es ist wie im Kino: Neue Geschichten sind es, die die Menschen hören möchten und behalten – neue Protagonisten allein (oder gar viele neue Schauspieler) machen keine Kassenschlager.
Fußnoten:
- ↑ Und dabei kann ich realistisch betrachtet bei Weitem nicht jeden meiner derartigen Vorträge der letzten 20 Jahre ausschließen.
- ↑ Quasi eine „Heldengeschichte“ i. S. Nancy Duartes; vgl. <http://resonate.duarte.com>.