Abseitiges, so versprach ich in meinem Jubiläums-Artikel, werde in diesem Blog künftig zugunsten von Konkret-Praktischem in den Hintergrund treten – ganz vermeiden kann ich es aber offenkundig nicht. Und so fühle ich mich geradezu gezwungen, meinen recht praxisnahen Artikel zum „ ‚Ampel-Fetisch‘ im ProjektMANAGEMENT“ noch um ein paar etwas weniger praxisrelevante Anmerkungen zu ergänzen:
Die visuelle Metapher der Ampel scheint die Information auf die Zustände „0“, „1/2“ und „1“ zu reduzieren. Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Behauptung jedoch als unrichtig: In Wirklichkeit reduziert die Metapher auf „0“ und „1“, bildet durch ihren Rot-Grün-Gegensatz klassisch dualistisches Schwarz-Weiß-Denken ab. Nun könnte man einwenden, dass die meisten Ampeln über einen gelben „Zwischenzustand“ verfügen. Das Problem ist: Dieser Zwischenzustand bedeutet fast gar nichts. Jedes Kind lernt vom Verkehrskasper, fast jeder Erwachsene spätestens in der Fahrschule: Bei Rot bleibt man stehen, bei Grün darf man gehen (oder fahren). Was bei Gelb zu tun ist, ist nur begrenzt klar: Es gilt, sich auf Rot oder Grün vorzubereiten – was auch immer das konkret bedeuten mag. Ebenso unklar ist die visuelle Metapher: Gelb sagt lediglich, dass nicht mehr „alles im grünen Bereich“ ist – wie weit z. B. das Projekt vom roten „Abgrund“ noch entfernt ist, bleibt im Unklaren. Eine wirklich klare Semantik haben nur Rot und Grün – ähnlich Schwarz und Weiß –, das Gelb ist geradezu (i. S. Wittgensteins Tractatus) „unsinnig“.
„5.473 […] Ein mögliches [Herv. i. O.] Zeichen muss auch bezeichnen können. […]“1
Was also von der Ampel übrig bleibt, ist eine visuelle Manifestation des in unserem Kulturkreis so geliebten dualistischen (und meist auch monokausalen2) Denkens. Geprägt durch monotheistische und ausschließliche Religionen neigt gerade das abendländische Denken zur Reduktion auf einfache, maximal reduzierte Wahrheiten; das manifestiert sich offenkundig auch in unseren visuellen Metaphern. „Wir oder die“, „gut oder böse“, „entweder – oder“, „ja oder nein“, „schwarz oder weiß“ oder eben „rot oder grün“ – diese mentale Schranke, diese „dialektische Behinderung“, ist über die Jahrhunderte fest in unsere „kulturelle DNA“ gebrannt. Nebenbei bemerkt: Bei allen gerade in letzter Zeit vielbeschworenen Unterschieden – in dieser grundlegenden Denkstruktur unterscheiden wir uns übrigens in keiner Weise von Menschen, die durch den Islam geprägt wurden. Wir alle haben diese Schranken im Kopf – und nur allzu häufig auch noch eine „Bahnübergangsstörung“.
Unsere Prägung manifestiert sich in der Ampel, aber auch auf andere Weise: So skeptisch ich gegenüber allen Annahmen zu einer universellen Farbsemiotik oder gar ‑psychologie bin – die Symbole „Rot“ und „Grün“ haben tatsächlich eine recht einheitliche semantische Zuschreibung: Rot ist die Farbe von Feuer und Blut – warnt und stoppt. Grün hingegen ist die Farbe des Chlorophylls – des Lebens und Wachstums.
Das Aufeinandertreffen dieser nahezu universellen Assoziationen mit unserer kulturell-religiös geprägten Präferenz für Dualismen ist es, was die Ampel zu einer so attraktiven Metapher macht.
Und doch ist es das Gelb, das unsere eigentliche Aufmerksamkeit verdient – der Übergang, das Unklare, das Chaos. Wunderbar illustriert dies m. E. die Bildsprache eines mehr als 500 Jahre alten Bildes – Hieronymus Boschs „Heuwagen“:
Gemalt im Übergang vom Mittelalter mit seinem fest gefassten Weltbild zur Renaissance und dem Zeitalter der Aufklärung – zur (Wieder‑)Belebung der kritischen Reflexion ob einer auf einmal als viel weniger einfach wahrgenommenen Welt –, nehmen die drei Teile des berühmten Triptychons die immense Bedeutung des metaphorischen Ampel-Gelbs quasi vorweg: Auf der linken Seite findet sich das Paradies – bis auf das natürliche Blau des Himmels in Grüntönen gehalten. Die fast ausschließlich in Rottönen gehaltene Hölle füllt die rechte Seite. Inmitten dieses dualistischen Himmel-Hölle-/Grün-Rot-Kontrastes befindet sich der doppelt so große Mittelteil – die Welt – mit dem in Gelbtönen gehaltenen Heuwagen im Zentrum des Bildes und vor allem auch der Aufmerksamkeit der zänkisch-chaotischen Bildhandlung. „Links das Paradies, rechts die Hölle und in der Mitte das, was vom einen zum anderen führt“ – so erklärte es mir eine Museumsführerin im Madrider Prado einmal sehr einleuchtend.
Jetzt wird auch deutlich, warum die Ampel-Metapher so wenig hilfreich ist: Die Ampel ist eigentlich immer gelb. Grün ist die Fiktion des Plans; Rot fast schon der Abbruch. Dennoch: So wenig das Gelb des Ampel-Status‘ uns über den wahren Zustand z. B. eines Projektes verrät, so gering sein Aussagewert ist – das Gezänk und das Durcheinander rund um den gelben Heuwagen ist es, dem wir uns eigentlich widmen müssen. Reduzierten wir jeden Status auf die drei Farben der Ampel, es gäbe bei genauerer Betrachtung ausschließlich gelbe Ampeln – und deren Bedeutung wäre lediglich, dass noch viel (Management‑)Arbeit vor uns liegt. Wir sollten uns alle einfach eine mahnende gelbe Ampel (oder besser noch Boschs Heuwagen) an die Wand hängen – und vor allem darauf verzichten, die Darstellung hochkomplexen Sachverhalte in drei Farben zu pressen.
Footnotes:
- ↑ Wittgenstein, Ludwig: Tractatus Logico-Philosophicus. 8. Aufl. London: Routledge & Kegan Paul Ltd. 1960, S. 126.
- ↑ Meines Erachtens u. a. manifest in unserer Begeisterung für monohierarchische Strukturen wie im Falle des Mindmappings, vgl. „Mindmaps – trotz Karte im eigenen Hirn verirrt?“.