Handouts – der Epitext der Präsentation?
Neben dem eigentlichen Vortrag und der dazugehörigen Präsentation existiert häufig quasi epitextuell noch das sog. Handout – heutzutage in aller Regel wenig „handlich“, sondern digital als im Original oder als unveränderliche PDF weitergegebene Datei. Die Entwicklung zum Digitalen hat hier vor allem einen Vorteil: Sie spart Papier.
Die Unsitte, die Slides dem Publikum bereits zu Beginn des Vortrags ausgedruckt zur Verfügung zu stellen, ist vor allem eines: eine massive Verstärkung des „gleichzeitig lesen und zuhören“-Problems. Wirklich hilfreich waren diese Handouts meines Erachtens nie: Menschen, die in Vorträgen tatsächlich mitschreiben, tun dies auf eine individuell verschiedene, sehr spezifische Weise1. Diesen Menschen ist mit vorab gedruckten Folien mit spärlich reserviertem Platz für Notizen kaum geholfen. Die große Mehrheit der Menschen, die nicht mitschreiben, wird durch Handouts ebenfalls keinesfalls dazu animiert – im Gegenteil: Was gäbe es aus ihrer Sicht denn noch mitzuschreiben, wenn bereits alles ausgedruckt ist?! Außer der Papier‑, Drucker- und Toner-Industrie profitiert also in den meisten Fällen praktisch niemand von einem gedruckten Handout.
Interessanterweise sieht es für die digital nach der Veranstaltung versandten Präsentationen kaum besser aus: Habe ich nicht doch (hoffentlich versehentlich) Slideuments erstellt, sind die Folien bereits einige Tage später ohne die „Tonspur“ in der Regel kaum verständlich oder schlimmstenfalls gar missverständlich. Die Slides digital zu versenden ist also in der Regel nur sinnvoll, wenn man aus gutem Grund möchte, dass die Slides beim Publikum in reproduzierbarer Form vorliegen – z. B., weil man das Publikum als potentiellen Multiplikator betrachtet, der die Vortragsinhalte weiterträgt und die Folien dafür ganz oder teilweise „recycled“. In Wirklichkeit aber werden die meisten Präsentationen vor allem deswegen weitergegeben, weil es schlichtweg als selbstverständlich gilt – und explizit danach gefragt wird.
In der Wahrnehmung der Menschen sind die Slides eben nicht paratextuell, sondern nehmen tatsächlich inzwischen den Stellenwert eines „PowerPoint-Zentraltextes“2 ein – anders ist letztlich auch der Erfolg von Diensten wie SlideShare (<http://www.slideshare.net/>) kaum zu erklären. Manchmal werde ich doch kulturpessimistisch: Die Weitergabe von in leicht verdauliche Folien-Häppchen gequantelten textuellen oder visuellen Informations-Brocken wird hier gleichgesetzt mit einem echten Wissenstransfer. Früher beschlich mich gerade beim Besuch geisteswissenschaftlicher Bibliotheken oftmals der Eindruck, Studieren bestünde mehr aus Kopieren denn aus Lesen; ein Inhalt schien erst in kopiert als wirklich rezeptiert betrachtet. Die Kopierwut der Achtziger und Neunziger hat in den am Ende doch nur Präsentationsdateien verteilenden „Lernplattformen“ ihren würdigen Nachfolger gefunden.
Was also tun, um die Vortragsinhalte auch für diejenigen Zuhörer zu konservieren, die sich nicht selbstverantwortlich durch eine eigene Mitschrift darum kümmern? Naheliegend erscheinen mir zwei Möglichkeiten:
- Das Erstellen eines tatsächlich eigenständigen Epitextes, z. B. eines um aussagekräftigen Visualisierungen der Kern-Folien angeordneten Abstrakts bis hin zu einer verschriftlichten Version des Vortrags selbst oder
- das Aufzeichnen des kompletten Vortrags als Video oder „vertonte Präsentation“.
Das „Vertonen“ der Präsentation wird von den meisten Softwareprodukten inzwischen direkt unterstützt und die multimediale Ausstattung moderner Arbeitsplätze reduziert die technischen Hürden erheblich. Der Vorgang des „Vertonens“ kann sogar Bestandteil der eigentlichen Textfindung (elocutio) und der Einübung (memoria) werden.
Ähnlich vorteilhaft lässt sich die Video-Aufzeichnung nutzen – praktisch jeder, der sich selbst schon einmal beim Vortrag beobachtet hat, wird es bestätigen können: Die kritische Selbstbetrachtung ermöglicht ungeahnte Verbesserungen mindestens des Vortragsstils. Der schonungslose Blick auf das Selbst mit Hilfe der „Augen“ der Kamera ermöglicht zumindest einen kleinen Eindruck davon, was hinter dem blinden Fleck des Johari-Fensters lauern mag – meist viel weniger Schlimmes, als die eigene Kamera-Angst zuvor vermuten ließ. Hat man sich erst einmal zur Video-Aufzeichnung überwunden (und mit dem Ergebnis wohlwollend-selbstwertschätzend abgefunden), steht einer Veröffentlichung auf einschlägigen Video-Plattformen zumindest technisch nichts im Wege. Dies ist die sicherlich effektivste Methode, die Inhalte des Vortrags nicht nur für das Publikum zu konservieren, sondern sogar sinnvoll einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Der vierte Teil dieser Reihe widmet sich dem Visuellen – dem eigentlichen Folien-Design.
Footnotes:
- ↑ Vgl. z. B. <http://thedoodlerevolution.com>, aber auch ganz klassisch z. B. Cornell Notes.
- ↑ Vgl. Joachim Knape, Powerpoint in rhetoriktheroretischer Sicht, 2007 In: Schnettler, Bernt; Knoblauch, Hubert (Hrsg.), Powerpoint-Präsentationen. Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen. UVK Verlagsgesellschaft. Konstanz: 2007. S. 53 – 66.