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Guter Vortrag – trotz der Slides (Teil 2)

Tim Themann

Lesen und zuhören

Erstaun­lich vie­le Präsentationen​1 haben den Cha­rak­ter von Slideuments​2, ähneln eher einem Text­do­ku­ment als einer die Vor­trags­in­hal­te unter­stüt­zen­den Visua­li­sie­rung. Was die ver­bal geäu­ßer­ten Inhal­te visu­ell beglei­ten soll­te, gibt eben die­se (schrift­lich) wie­der, wird zum in klei­nen „Foli­en-Häpp­chen“ par­al­lel zur Ver­ba­li­sie­rung dar­ge­reich­ten Rede­skript – und erfüllt oft­mals auch genau die­se (bewusst oder nicht bewusst zuge­dach­te) Funk­ti­on: Das Slideu­ment dient als „Ret­tungs­floss im auf­ge­wühl­ten Meer der Wor­te“ (vgl. „Ist Power­Point wirk­lich gefähr­lich?“), der Refe­rent pro­ji­ziert aus lau­ter Angst, sei­nen Text zu ver­ges­sen, eben die­sen an die Lein­wand; der Pro­jek­tor wird zum Tele­promp­ter3.

„Goo­gelt“ man nach „gleich­zei­tig lesen und zuhö­ren“, fin­det man hun­der­te Arti­kel zur Gestal­tung von Foli­en. Die The­se, gleich­zei­ti­ges Lesen und Zuhö­ren sei nicht mög­lich, wird als das Stan­dard-Argu­ment schlecht­hin gegen die Ver­wen­dung von „bul­let points“ ange­führt – lei­der wird sie prak­tisch nir­gend­wo in ange­mes­se­ner Wei­se empi­risch belegt. Mei­ne per­sön­li­che Erfah­rung ist jedoch, dass sie zumin­dest für mich und fast jeden, den ich dazu befragt habe, zutref­fend ist. Prag­ma­tisch erscheint es also trotz mei­nes Wis­sens nach​4 man­geln­der wis­sen­schaft­li­cher Absi­che­rung sinn­voll, die­se The­se qua­si axio­ma­tisch als zutref­fend anzu­neh­men. Dies wider­spricht übri­gens nicht der ver­brei­te­ten (m. E. sehr plau­si­blen) The­se, es sei didak­tisch sinn­voll, mög­lichst vie­le Sin­ne gleich­zei­tig anzu­spre­chen: Geschrie­be­ner und gespro­che­ner Text spre­chen nur phy­sisch unter­schied­li­che Sin­ne an – psy­cho­lin­gu­is­tisch betrach­tet pas­siert mit bei­den sprach­li­chen Infor­ma­tio­nen prak­tisch das­sel­be, es han­delt sich also eher um eine poten­ti­ell über­las­ten­de „Dopp­lung“ als um breit gestreu­te unter­schied­li­che Reize.

Es macht also wenig Sinn, den gespro­che­nen Inhalt des Vor­trags mehr oder min­der voll­stän­dig (oder auch nur stich­wort­ar­tig) auf den Foli­en zu wie­der­ho­len. Dar­aus die nicht wenig ver­brei­te­te Schluss­fol­ge­rung abzu­lei­ten, tex­tu­el­le Inhal­te hät­ten auf einer Slide grund­sätz­lich nichts zu suchen, ist ähn­lich kurz gegrif­fen wie die im ers­ten Teil die­ser Serie kri­ti­sier­te Kri­tik an der Sequen­zia­li­tät. Tex­tu­el­le Inhal­te sind mei­nes Erach­tens in vie­len Fäl­len durch­aus sinn­voll – wenn nicht gar notwendig:

Exkurs: „Meta-Kulturkritik“

Betrach­tet man die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Prä­sen­ta­ti­ons­soft­ware gera­de im deutsch­spra­chi­gen Raum, kann man sich bei genaue­rer Betrach­tung kaum der Erkennt­nis ver­schlie­ßen, dass ein gro­ßer Teil jener kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Power­Point-Kri­ti­ker, die am liebs­ten jeden ein­zel­nen „bul­let point“ indi­vi­du­ell ver­teu­feln wür­den, einer Gene­ra­ti­on ent­stam­men, in der mit­tels einer Schreib­ma­schi­ne eng beschrif­te­te Over­head-Foli­en üblich, akzep­tiert und durch­aus nicht in der Kri­tik waren. Die blo­ße Digi­ta­li­sie­rung (des Stich­punkts) an sich scheint das Pro­blem in der Wahr­neh­mung eini­ger an die­sem Dis­kurs Betei­lig­ten erst zu einem Pro­blem gemacht zu haben. Auf die Gefahr hin, zynisch oder gar ähn­lich pole­misch wie der eine oder ande­re Power­Point-Kri­ti­ker zu wir­ken: Es erstaunt fast, dass noch nie­mand den gro­ßen päd­ago­gisch-didak­ti­schen Wert der Hap­tik einer Over­head-Folie gegen­über der eines Note­books als Argu­ment ange­führt hat – oder aber z. B. die ver­bes­ser­te Lern­leis­tung durch die Ver­knüp­fung der ver­mit­tel­ten Infor­ma­ti­on mit den durch das (quiet­schen­de) Geräusch der Tafel­krei­de ange­reg­ten Emo­tio­nen. Bei­des lie­ße sich nöti­gen­falls bestimmt z. B. im Tier­ver­such pseu­do-wis­sen­schaft­lich (heut­zu­ta­ge ver­mut­lich auf Basis einer ver­meint­li­chen „Erkennt­nis“ der Neu­ro­lo­gie) „bele­gen“ und am bes­ten noch in Rat­ge­ber-Form gießen.

Peritext

Mei­nes Erach­tens gibt es einen mini­ma­len Peri­text, der mit jeder Prä­sen­ta­ti­on ver­bun­den sein soll­te: Eine Titel-Folie und eine (oder meh­re­re) sich ggf. wie­der­ho­len­de Agenda-Folien.

Anzu­neh­men, eine gute Struk­tur, ein guter Titel und ein in Agen­da-Form regel­mä­ßig wie­der­keh­rend dar­ge­stell­ter „roter Faden“ könn­ten ver­hin­dern, dass jemand andau­ernd dem Vor­trag durch „unpas­sen­de Zwi­schen­fra­gen“ vor­greift, ist übri­gens mei­ner Erfah­rung nach zu opti­mis­tisch. Der eine Zuhö­rer in fast jedem Publi­kum, der mit sei­nen „Fra­gen“ immer „stö­rend“ alles vor­weg nimmt, tut dies in aller Regel nicht, weil er die Struk­tur nicht erfasst hat oder sich nicht gedul­den kann, son­dern, weil er qua sei­ner Per­sön­lich­keit in einen Wett­be­werb mit der durch unbe­wuss­te Über­tra­gun­gen kon­sti­tu­ier­ten „Auto­ri­täts­fi­gur“ des Refe­ren­ten tre­ten muss – dar­an kann auch die trans­pa­ren­tes­te Struk­tur nichts ändern.

Exkurs: Haiku Deck

Eben­so, wie die unüber­schau­ba­re Funk­tio­na­li­tät moder­ner Prä­sen­ta­ti­ons­soft­ware zu didak­tisch frag­wür­di­gen wah­ren Ani­ma­ti­ons­exzes­sen und viel­far­bi­gen visu­el­len Explo­sio­nen ver­lei­tet, kann Soft­ware-Mini­ma­lis­mus zu hilf­rei­cher Selbst-Beschrän­kung erzie­hen. Mit Hai­ku Deck (vgl. <http://​www​.hai​ku​deck​.com/>)​9 exis­tiert ein schö­nes Bei­spiel dafür: Die Funk­tio­na­li­tät die­ser iPad-App beschränkt sich (der­zeit?​10) dar­auf, Foli­en­hin­ter­grund­bil­der kom­for­ta­bel zu suchen und dann in optisch sehr anspre­chen­der Wei­se mit höchs­tens zwei (einer Titel-arti­gen und einer Unter­ti­tel-arti­gen) Zei­len Text zu versehen.

Hai­ku Deck erzeugt etwas, was ein ein­ge­fleisch­ter Power­Point-Nut­zer qua­si für eine Anein­an­der­rei­hung von Titel-Foli­en hal­ten muss. Slideu­ments sind inner­halb der Soft­ware gar nicht erst erzeug­bar – aber eben auch kei­ne inhalt­lich sinn­vol­len (s. o.) tex­tu­el­len Inhal­te oder gar Visua­li­sie­run­gen oder Dia­gram­me. Hai­ku Deck dient mir somit prak­tisch also vor allem als kom­for­ta­bler Edi­tor nur für Tei­le einer Prä­sen­ta­ti­on – und als ein schö­nes Bei­spiel dafür, dass sinn­vol­le und kon­struk­ti­ve Kri­tik nur all­zu oft in erstaun­lich unre­flek­tier­ter Wei­se dog­ma­tisch-dua­lis­tisch ins jewei­li­ge abso­lu­te Gegen­teil extra­po­liert wird.

Update 09.03.2013: „Hai­ku Deck 2.0“
Update 18.06.2013: „Hai­ku Deck 2.1“
Update 11.01.2014: „Hai­ku Deck 2.4“

Der Teil 3 die­ser Rei­he wid­met sich den Hand­outs zu Ihrem Vor­trag und deren (manch­mal recht frag­li­chen) Existenzberechtigung.

Foot­no­tes:

  1.  In die­sem Text sind mit dem Wort „Prä­sen­ta­tio­nen“ – sofern nicht expli­zit anders gekenn­zeich­net – die mit einem Prä­sen­ta­ti­ons­pro­gramm erstell­ten Visua­li­sie­run­gen, nicht der gespro­che­ne Vor­trag gemeint.
  2.  Vgl. <http://​www​.pre​sen​ta​ti​on​zen​.com/​p​r​e​s​e​n​t​a​t​i​o​n​z​e​n​/​2​0​0​6​/​0​4​/​s​l​i​d​e​u​m​e​n​t​s_and.html>.
  3.  Und das trotz der Mög­lich­keit, statt­des­sen Foli­en-Noti­zen zu nut­zen und dis­kret in die nur durch den Refe­ren­ten sicht­ba­re sog. „Refe­ren­ten­an­sicht“ einzublenden.
  4.  Ich wäre übri­gens durch­aus dank­bar, hier eines Bes­se­ren belehrt zu werden!
  5.  Vgl. Goog­le-Suche nach „1 – 7‑7 rule“. Die Regel wird gele­gent­lich auch als „1 – 5‑5-“ oder „1 – 6‑6-Regel“ bezeich­net. Sie geht zurück auf eine Fehl- bzw. Über-Inter­pre­ta­ti­on der sog. Mil­ler­schen Zahl („Sie­ben plus­mi­nus Zwei“). Inter­es­sant ist, dass aus dem Inter­vall die Fünf, die Sechs und die Sie­ben her­aus­ge­grif­fen wur­den, nicht aber die Acht oder die Neun. Ein gutes Indiz dafür, dass es sich bei der „Regel“ nur um eine will­kür­li­che (aller­dings prak­tisch durch­aus nicht unplau­si­ble) Gren­ze han­delt und hier nur eine pseu­do-wis­sen­schaft­li­che „Begrün­dung“ gesucht wur­de. Eine sehr schö­ne Zusam­men­fas­sung der Kri­tik an die­ser Regel fin­det sich unter <http://​ueber​zeu​gend​-prae​sen​tie​ren​.de/​b​l​o​g​/​1​_​7​_​7​_​regel.html>.
  6.  Vgl. Joa­chim Kna­pe, Power­point in rhe­to­rik­t­hero­re­ti­scher Sicht, 2007 In: Schnett­ler, Bernt; Knob­lauch, Hubert (Hrsg.), Power­point-Prä­sen­ta­tio­nen. Neue For­men der gesell­schaft­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on von Wis­sen. UVK Ver­lags­ge­sell­schaft. Kon­stanz: 2007. S. 53 – 66.
  7.  Für Prä­sen­ta­tio­nen dürf­te gar Fre­de­rick H. Lunds „Law of pri­ma­cy in per­sua­si­on“ anwend­bar sein.
  8.  Und haben im Ide­al­fall sogar eine Vor­stel­lung davon, wann die nächs­te Rast­stät­te ange­steu­ert wird und sie auf die Toi­let­te können.
  9.  Hai­ku ist eine mini­ma­lis­ti­sche japa­ni­sche Form der Lyrik – dem einen oder ande­ren sicher­lich bekannt durch Tas­si­lo, den Hund von Strizz aus dem Feuil­le­ton der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung. Inter­es­sant ist, dass ana­log zur „Zen“-Analogie Garr Rey­nolds‘ (<http://​www​.pre​sen​ta​ti​on​zen​.com/>) hier im sel­ben Kon­text erneut ein bud­dhis­tisch gepräg­tes The­ma auf­ge­grif­fen wird.
  10.  Da die Beschrän­kung Absicht ist, ist zu hof­fen, dass sie im Lau­fe der Wei­ter­ent­wick­lung der App nicht zu sehr auf­ge­weicht wird.
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