Liest man über die Vorteile von Prezi (<https://prezi.com>) gegenüber folienorientierten Präsentationswerkzeugen wie PowerPoint, so wird häufig die Zoom-Funktion und die damit mögliche Dramaturgie hervorgehoben: Ausgehend von einer extremen Totalen – quasi einem Establishing Shot –, die das meist sehr komplexe Gesamtbild zeigt, wird der Reihe nach in die relevanten Details „hineingezoomt“. Zwischen den Detail-Erörterungen zoomt die virtuelle Kamera wieder in die Totale und der Redner ordnet das Detail in den Gesamtkontext ein. Als typisches Beispiel dafür wird häufig eine komplexe Maschine angeführt, deren Einzelteile auf diese Weise erläutert werden. Im Meeting-Alltag praktisch erleben kann man dieses Vorgehen aber vor allem mit (über‑)komplexen Geschäftsgrafiken, großen Prozess- oder Flussdiagrammen oder ähnlichem.
Prinzipiell erscheint mir dieses Vorgehen, diese Dramaturgie, extrem sinnvoll. Problematisch ist m. E. häufig die Umsetzung – vor allem, wenn sie einfach nur auf Prezis Zoom-Funktion basiert. Mir fehlt es an Abstraktion, mir fehlt es an so etwas wie einer „Generalisierung“ in der Totalen: Betrachtet man Landkarten unterschiedlichen Maßstabs, so stellt man fest, dass mit sinkendem Maßstab immer mehr Details wegfallen, eine Reduktion der Information auf das in dem jeweiligen Maßstab Wesentliche und nicht zuletzt auch noch Erkennbare erfolgt:
Karten werden nicht einfach verkleinert. Verkleinerte man eine Grundkarte auf den Maßstab einer Auto- oder Straßenkarte, bliebe nur eine fleckig-graue Fläche übrig, nichts wäre zu erkennen.
Bei den zoomenden Kamerafahrten von Prezi fehlt diese abstrahierende Generalisierung; die „kleinmaßstäbige“ Totale enthält nach wie vor alle Details. Die Chance, einmal ein auf das Wesentliche reduzierte Gesamtbild – und das ist meist das, was am ehesten beim Publikum „hängenbleiben“ würde – zu zeigen, wird verpasst. Mehr noch: Der Abstraktionsvorgang wird auch in der Produktionsphase übersprungen!
„Ferner, abstrakt lernt man denken
durch abstraktes Denken.“
(Georg Wilhelm Friedrich Hegel)1
Erstellte man eine vergleichbare Präsentation mit einem folienorientierten Werkzeug wie PowerPoint: Die Übersichtsfolie wäre quasi notgedrungen extrem vereinfacht – z. B. im Falle eines Prozessdiagramms auf wenige übergeordnete Prozess„phasen“ reduziert. Anschließend erst ginge man ins Detail, jeweils auf eigenen Folien und in der dafür angemessenen Form – anstelle nur einfach in die Details des ursprünglichen Übersichtsdiagramms zu „zoomen“2:
Für diese notwendige Generalisierung muss man sich Gedanken machen – abstrahieren und auf das Wesentliche reduzieren. Das Verständnis für „das große Ganze“ wird höchstwahrscheinlich ein ganz anderes, viel tieferes – beim Publikum, aber zuallererst auch bei dem das Diagramm erzeugenden Referenten. Beim bloßen Zoomen ohne jede Generalisierung hingegen findet eine reduzierende Abstraktion, findet ein großer Teil dessen, was visuelles Denken m. E. ausmacht, höchstens sehr begrenzt statt.
Ich persönlich erlebe das Vorbereiten eines Vortrags nebst der dazugehörigen Präsentation immer auch als vertiefend und klärend für mich selbst – im Sinne einer „allmähliche[n] Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (Heinrich von Kleist)3, vor allem aber auch im Sinne visuellen Denkens (beim Erstellen der Visualisierungen). Abstrahiere ich mein Gesamtbild nicht und gehe ich nicht bewusst mit den verschiedenen Detailgraden um, fehlt mir ein Teil dieses Denkprozesses.
Footnotes:
- ↑ Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s [sic!] Werke: Briefe von und an Hegel. Berlin: Duncker und Humblot 1835. S. 345. Bei Google Books unter <https://books.google.de/books?id=1PETAAAAQAAJ&hl=de&pg=PA345#v=onepage&q&f=false>.
- ↑ Daran wird übrigens auch die „Morph“-Funktion von PowerPoint nichts ändern; das grundlegende Paradigma bleibt die Sequenz von Folien – im Gegensatz zu Prezis singulärer Fläche; vgl. u. a. <http://ueberzeugend-praesentieren.de/blog/powerpoint-morph.html>.
- ↑ Dankenswerterweise vom Internet Archive im Original erhalten unter <http://archive.org/details/UeberDieAllmhlicheVerfertigungDerGedankenBeimReden>.