Vor einigen Jahren nahm ich an einer Besprechung teil, die von einem Kollegen durch das Verteilen einer ausgedruckten Mindmap eingeleitet wurde. Mein spontan und sicherlich auch unüberlegt geäußertes „Oh, so sieht es also in Deinem Gehirn aus?“ wurde von den meisten Teilnehmern wenig humorvoll aufgenommen – und könnte mir sicherlich auch als wenig wertschätzend ausgelegt werden (Es tat mir auch sofort leid!). Dennoch richtig ist die dieser scherzhaften Anmerkung innewohnende Kritik – an der Methode, nicht an den zum Zeitpunkt der Äußerung noch gar nicht erfassten Inhalten und natürlich auch nicht an der Person: Meines Erachtens sind Mindmaps zur Kommunikation (z. B. als per Mail versendetes Dokument) oder auch zur visuellen Unterstützung von Kommunikation (quasi als Präsentation) mit anderen Menschen nur sehr bedingt geeignet, womöglich gar vollkommen ungeeignet – und dies erahnte ich offenbar schon zu einem Zeitpunkt, zu dem ich selbst noch oft und gern Mindmaps nutzte.
Bei der Begründung dieser Position ist eine Fallunterscheidung notwendig: Einerseits ist zu betrachten, was für „echte“ Mindmaps im Sinne Tony Buzans (<http://www.tonybuzan.com>) gilt, andererseits, was für quasi „unechte“ Mindmaps – also an Mindmaps angelehnte einfache Baumdiagramme – gilt:
„Echte“ Mindmaps
Mindmaps nach Tony Buzan sind hochgradig visuell und enthalten sehr wenig textuellen Inhalt – sämtliche Äste sind mit genau einem Wort beschriftet1. Verfechter dieser Art von Mindmaps gehen davon aus, dass die Methode quasi (vor allem durch die Lateralisation) verborgene Fähigkeiten des menschlichen Gehirns (vor allem durch freie Assoziation und das stark Visuelle einer Mindmap) aktiviert.
Nimmt man nun an2, dass die Methode auf genau diese Weise wirksam ist, ist eine Mindmap offensichtlich etwas sehr Individuelles und keinesfalls für die Kommunikation geeignet: Die Wirksamkeit ist Ergebnis des Erstellungsprozesses (des Mindmappings durch ein Individuum), nicht des Ergebnisses (der fertigen Mindmap). Die fertige Mindmap ist Resultat von sehr individuellen Assoziationen, sie ist somit etwas sehr Persönliches.
Nimmt man dennoch über Buzans Thesen hinaus an, dass der Anwendung der Methode die von Buzan beschriebenen kognitiven Effekte auch losgelöst vom Erstellungsprozesses innewohnen – etwas, was Buzan meines Wissens nach nie behauptet hat –, hätte die Nutzung einer fertigen „echten“ Mindmap als Kommunikationsmittel Ähnlichkeit mit „visueller Telepathie“. Hierfür müsste das im Prozess angelegte individuell Anregende ja in der fertigen Mindmap auf einmal universell für jeden wirksam quasi „gespeichert“ worden sein – eine mir sehr metaphysisch wenn nicht gar magisch anmutende Annahme.
Unabhängig davon, ob man annimmt, dass die Methode im Sinne Buzans wirksam ist, sind seine Empfehlungen zumindest für die Nutzung als Kommunikationsmittel eher hinderlich: Die visuellen Inhalte der Mindmap dürften durch den von persönlichen Assoziationen geprägten Prozess oftmals nicht für andere nachvollziehbar sein und die Beschränkung auf genau ein Wort pro Ast (die ebenfalls das Assoziative unterstützen soll), dürfte ebenfalls nicht zur Verständlichkeit beitragen.
„Einfache Baumdiagramme“
Unabhängig von Buzan – also sowohl unabhängig von einem Glauben an die Wirksamkeit der Methode als auch unabhängig von den Beschränkungen seiner Empfehlungen – einfach nur ein mehr oder minder visuelles Baumdiagramm (eine „spider map“ bzw. „common mind map“3) zu zeichnen, ist offenkundig ebenfalls nicht sinnvoll: Es gibt unter diesen Voraussetzungen keinen mir ersichtlichen Grund, sich auf eine streng (mono‑)hierarchische Struktur zu beschränken; für fast jeden Sachverhalt dürfte es bessere visuelle Ausdrucksformen geben. Spätestens im Falle sehr wenig visueller „spider maps“ ist zudem der Unterschied zu einer hierarchischen Stichpunktliste („bullet points“) marginal – man könnte ebenso gut PowerPoint zu diesem Zweck missbrauchen oder einfach gleich einen Gliederungseditor („Outliner“)4 verwenden5.
Erhofft man sich von der Baumstruktur keinen spezifischen kognitiven Effekt, gibt es keinen Grund, sich darauf zu beschränken – und viele Gründe, seine visuelle Kommunikation kreativer zu gestalten.
Durch „in einen Baum gesperrt werden“ der Freiheit beraubt zu sein, ist ein erstaunlich verbreitetes und bemerkenswert altes Motiv – so sperrt zum Beispiel Nimue Merlin im Lancelot-Gral-Zyklus in einen Baum, ähnliches ist in Shakespeares „Sturm“ („The Tempest“) über Ariel zu lesen. „In einen Baum sperren“ ist offenkundig ein Inbegriff der Verdammung zur Untätigkeit – und damit auch zur Unwirksamkeit. Tun Sie das weder Ihren Gedanken noch Ihrer (visuellen) Kommunikation grundlos an!
Zusammenfassung – oder: tl;dr
Die Nutzung von Mindmaps als Kommunikationsmittel erscheint mir unsinnig:
- Glaubt man an den kognitiven Effekt der Methode, ist er individuell und Ergebnis des Entstehungsprozesses der Mindmap – und nicht etwa Eigenschaft der fertigen Mindmap, die weitergegeben (lies: kommuniziert) werden könnte. Hält man sich an Tony Buzans das Design einschränkende Vorgaben, ist die Mindmap zudem für andere meist kaum verständlich.
- Glaubt man nicht an den kognitiven Effekt der Methode, gibt es keinen mir sinnvoll erscheinenden Grund, visuelle Kommunikation auf baumförmige Strukturen zu beschränken. Nutzen Sie für Ihre visuelle Kommunikation die geeignetste Darstellungsform – und die dürfte in den seltensten Fällen baumförmig sein.
Footnotes:
- ↑ Vgl. <http://www.tonybuzan.com/about/mind-mapping/> (30.03.2014).
- ↑ Ich tue es nicht – vgl. „Mindmaps – trotz Karte im eigenen Hirn verirrt?“. Vieles von dem hier Beschriebenen findet sich bereits dort – mir erschien es dennoch angemessen, dem Aspekt der visuellen Kommunikation mit Mindmaps einen eigenen Artikel zu widmen.
- ↑ Zum Unterschied zwischen „common mind maps“ und „Buzan mind maps“ vgl. <http://www.informationtamers.com/WikIT/index.php?title=Common_mind_maps&oldid=4974> (30.03.2024).
- ↑ Bemerkenswert erscheint mir an dieser Stelle, dass Dave Winers (<http://davewiner.com>) Gliederungseditor „MORE“ zu den Frühzeiten des computergestützten Präsentierens durchaus als potentielle Konkurrenz zu PowerPoint wahrgenommen wurde. Vgl. Gaskins, Robert: Sweating Bullets: Notes about Inventing PowerPoint. San Francisco and London: Vinland Books (2012), S. 137 – 140.
- ↑ Manch eine als Präsentationsersatz verwendete vorgebliche Mindmap wirkt, als sei die Darstellungsform vor allem gewählt worden, um ausnahmsweise einmal PowerPoint zu vermeiden, um „mal anders zu präsentieren“ – zu diesem Zweck würde ich eher mit Prezi <http://prezi.com> o. ä. experimentieren.