Methoden vs. METHODEN – oder: Von der „reinen Lehre“

Bestün­de eine Reli­gi­on „X“ ledig­lich dar­auf, bestim­men zu dür­fen, wel­ches Glau­ben und wel­ches Ver­hal­ten „x“ genannt wer­den dür­fe (nen­nen wir es „Dog­ma 1“), Geschich­te und Gegen­wart wären ver­mut­lich deut­lich ruhi­ger (ver­lau­fen). Lei­der nei­gen gera­de mono­the­is­ti­sche Reli­gio­nen dazu, jeweils für sich den Besitz der abso­lu­ten und ein­zi­gen ‚Wahr­heit‘ zu rekla­mie­ren („Dog­ma 2“). Spä­tes­tens seit Max Weber kön­nen wir ahnen, wie sehr unse­re reli­gi­ons­so­zio­lo­gi­sche Prägung​1 auch unser wirt­schaft­lich-beruf­li­ches Han­deln beein­flusst – und so ver­wun­dert es wenig, dass der Gedan­ke der „rei­nen Leh­re“ auch in die­sem Lebens­be­reich eine Rol­le spielt. Beson­ders fällt mir das häu­fig im Zusam­men­hang mit Metho­den und Vor­ge­hens­mo­del­len auf: Hat jemand eine neue Metho­de für sich ent­deckt, wird die­se oft nicht nur Maslows Ham­mer gleich auf prak­tisch jedes Pro­blem ange­wen­det; die Metho­de wird oft auch zur gleich­sam her­aus­ge­schrie­nen METHODE und qua­si-reli­gi­ös dog­ma­tisch ver­tre­ten, „Abweich­ler“ meist unter Ver­weis auf Tei­le der religions‑, nein – Ent­schul­di­gung – natür­lich metho­den-stif­ten­den Schriften​2 scharf kritisiert.

Das mir in letz­ter Zeit am häu­figs­ten auf­fal­len­de Bei­spiel ist Scrum. Schaut man in die deut­sche Aus­ga­be des „Scrum Gui­de“, so fin­det sich ziem­lich am Ende fol­gen­der Hin­weis zu Modi­fi­ka­tio­nen der Methode:

Die Rol­len, Arte­fak­te, Ereig­nis­se und Regeln von Scrum sind unver­än­der­lich. Es ist zwar mög­lich, nur Tei­le von Scrum ein­zu­set­zen – das Ergeb­nis ist dann aber nicht Scrum. Scrum exis­tiert nur in sei­ner Gesamt­heit und funk­tio­niert sehr gut als Con­tai­ner für ande­re Tech­ni­ken, Metho­den und Prak­ti­ken.​3

Ken Schwa­bers und Jeff Sut­her­lands Aus­sa­ge ist nichts ande­res als das ein­gangs erwähn­te „Dog­ma 1“: Die Autoren rekla­mie­ren für sich, bestim­men zu dür­fen, wie ein Vor­ge­hen aus­se­hen muss, um „ihre“ Bezeich­nung („Scrum“) tra­gen zu dür­fen – ein m. E. voll­kom­men ver­ständ­li­cher Anspruch, der die Bezeich­nung vor Ver­wäs­se­rung oder gar Beschä­di­gung durch dys­funk­tio­na­le „Muta­tio­nen“ (vgl. hier) schützt.

Ver­kürzt höre ich obi­ges Zitat oft als „das kannst Du so machen, aber dann ist es nicht Scrum“ – rich­tig an sich, jedoch in vie­len Fäl­len zusätz­lich über­deut­lich ver­bun­den mit der Kon­no­ta­ti­on, dann eben nicht nur den begehr­ten Namen „Scrum“ nicht mehr ver­wen­den zu dür­fen, son­dern auch nicht mehr dazu­zu­ge­hö­ren, womög­lich gar nicht „rich­tig“ agil zu sein, gleich­sam „Ket­ze­rei“ zu betrei­ben. Aus dem (m. E. sinn­vol­len und berech­tig­ten) „Dog­ma 1“ ist auf ein­mal das aus- und damit auch (selbst‑)​begrenzende „Dog­ma 2“ geworden.

Glück­li­cher­wei­se sind Schei­ter­hau­fen kei­ne vom deut­schen Arbeits­recht gedeck­te Disziplinarmaßnahme.

Nun ist es kei­nes­wegs so, dass ich das Modi­fi­zie­ren oder gar Mischen von Metho­den für unpro­ble­ma­tisch hal­te – im Gegen­teil, nicht sel­ten ent­ste­hen dabei dys­funk­tio­na­le Methoden-„Monster“. Dar­über zu wachen, dass das Modi­fi­ka­ti­ons-Ergeb­nis sinn­voll und funk­ti­ons­fä­hig ist (vgl. hier), hat sicher­lich eben­so sei­ne Berech­ti­gung wie dar­über zu wachen, dass die Bezeich­nung einer Metho­de nicht miss­braucht wird. Sinn­vol­le Anpas­sun­gen aber abzu­leh­nen, jed­we­de Modi­fi­ka­ti­on und alles Expe­ri­men­tie­ren für etwas per se Schlech­tes zu hal­ten, erscheint mir aller­dings dog­ma­tisch. Expe­ri­men­te abzu­leh­nen, erscheint mir neben­bei bemerkt alles ande­re als agil.

Dog­men kon­sti­tu­ie­ren Denk­ver­bo­te und hem­men dadurch Inno­va­ti­on – im Zusam­men­hang mit Reli­gio­nen zeigt das m. E. nicht nur unse­re Geschich­te, son­dern auch die Gegen­wart. Nun möch­te ich z. B. die (his­to­ri­sche) Fra­ge des Helio­zen­tri­schen Welt­bil­des nicht auf eine Stu­fe stel­len mit Fra­gen wie der nach der Häu­fig­keit oder Län­ge eines vor­ge­ge­be­nen Mee­tings; eines ist jedoch m. E. den­noch ähn­lich: Das Modi­fi­zie­ren von Metho­den ohne Sinn und Ver­stand erscheint mir eben­so wenig sinn­voll wie das dog­ma­ti­sche Bestehen auf der „rei­nen Leh­re“. Neu­es, Inno­va­ti­ves ent­steht irgend­wo zwi­schen die­sen bei­den Extremen.

Foot­no­tes:

  1.  Der die meis­ten Men­schen in unse­ren Brei­ten sich m. E. auf­grund ihrer Sozia­li­sa­ti­on nicht ein­mal durch Anti-Reli­gio­si­tät voll­stän­dig ent­zie­hen können.
  2.  Wir sind übri­gens auch über­wie­gend durch Buch­re­li­gio­nen geprägt.
  3.  Schwa­ber, Ken und Sut­her­land, Jeff: Der Scrum Gui­de. Der gül­ti­ge Leit­fa­den für Scrum: Die Spiel­re­geln. Deut­sche Aus­ga­be. 2017. S. 19. Down­load unter <https://​www​.scr​um​gui​des​.org> (29.03.2019).

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