Website-Icon Die Computermaler

Mehr zum „Ampel-Fetisch“

Tim Themann

Absei­ti­ges, so ver­sprach ich in mei­nem Jubi­lä­ums-Arti­kel, wer­de in die­sem Blog künf­tig zuguns­ten von Kon­kret-Prak­ti­schem in den Hin­ter­grund tre­ten – ganz ver­mei­den kann ich es aber offen­kun­dig nicht. Und so füh­le ich mich gera­de­zu gezwun­gen, mei­nen recht pra­xis­na­hen Arti­kel zum „ ‚Ampel-Fetisch‘ im Pro­jekt­MA­NAGE­MENT“ noch um ein paar etwas weni­ger pra­xis­re­le­van­te Anmer­kun­gen zu ergänzen:

Die visu­el­le Meta­pher der Ampel scheint die Infor­ma­ti­on auf die Zustän­de „0“, „1/​2“ und „1“ zu redu­zie­ren. Bei genaue­rer Betrach­tung erweist sich die­se Behaup­tung jedoch als unrich­tig: In Wirk­lich­keit redu­ziert die Meta­pher auf „0“ und „1“, bil­det durch ihren Rot-Grün-Gegen­satz klas­sisch dua­lis­ti­sches Schwarz-Weiß-Den­ken ab. Nun könn­te man ein­wen­den, dass die meis­ten Ampeln über einen gel­ben „Zwi­schen­zu­stand“ ver­fü­gen. Das Pro­blem ist: Die­ser Zwi­schen­zu­stand bedeu­tet fast gar nichts. Jedes Kind lernt vom Ver­kehrs­kas­per, fast jeder Erwach­se­ne spä­tes­tens in der Fahr­schu­le: Bei Rot bleibt man ste­hen, bei Grün darf man gehen (oder fah­ren). Was bei Gelb zu tun ist, ist nur begrenzt klar: Es gilt, sich auf Rot oder Grün vor­zu­be­rei­ten – was auch immer das kon­kret bedeu­ten mag. Eben­so unklar ist die visu­el­le Meta­pher: Gelb sagt ledig­lich, dass nicht mehr „alles im grü­nen Bereich“ ist – wie weit z. B. das Pro­jekt vom roten „Abgrund“ noch ent­fernt ist, bleibt im Unkla­ren. Eine wirk­lich kla­re Seman­tik haben nur Rot und Grün – ähn­lich Schwarz und Weiß –, das Gelb ist gera­de­zu (i. S. Witt­gen­steins Trac­ta­tus„unsin­nig“.

„5.473 […] Ein mög­li­ches [Herv. i. O.] Zei­chen muss auch bezeich­nen kön­nen. […]“​1

Was also von der Ampel übrig bleibt, ist eine visu­el­le Mani­fes­ta­ti­on des in unse­rem Kul­tur­kreis so gelieb­ten dua­lis­ti­schen (und meist auch mono­kau­sa­len2) Den­kens. Geprägt durch mono­the­is­ti­sche und aus­schließ­li­che Reli­gio­nen neigt gera­de das abend­län­di­sche Den­ken zur Reduk­ti­on auf ein­fa­che, maxi­mal redu­zier­te Wahr­hei­ten; das mani­fes­tiert sich offen­kun­dig auch in unse­ren visu­el­len Meta­phern. „Wir oder die“, „gut oder böse“, „ent­we­der – oder“, „ja oder nein“, „schwarz oder weiß“ oder eben „rot oder grün“ – die­se men­ta­le Schran­ke, die­se „dia­lek­ti­sche Behin­de­rung“, ist über die Jahr­hun­der­te fest in unse­re „kul­tu­rel­le DNA“ gebrannt. Neben­bei bemerkt: Bei allen gera­de in letz­ter Zeit viel­be­schwo­re­nen Unter­schie­den – in die­ser grund­le­gen­den Denk­struk­tur unter­schei­den wir uns übri­gens in kei­ner Wei­se von Men­schen, die durch den Islam geprägt wur­den. Wir alle haben die­se Schran­ken im Kopf – und nur all­zu häu­fig auch noch eine „Bahn­über­gangs­stö­rung“.

Unse­re Prä­gung mani­fes­tiert sich in der Ampel, aber auch auf ande­re Wei­se: So skep­tisch ich gegen­über allen Annah­men zu einer uni­ver­sel­len Farb­se­mio­tik oder gar ‑psy­cho­lo­gie bin – die Sym­bo­le „Rot“ und „Grün“ haben tat­säch­lich eine recht ein­heit­li­che seman­ti­sche Zuschrei­bung: Rot ist die Far­be von Feu­er und Blut – warnt und stoppt. Grün hin­ge­gen ist die Far­be des Chlo­ro­phylls – des Lebens und Wachstums.

Das Auf­ein­an­der­tref­fen die­ser nahe­zu uni­ver­sel­len Asso­zia­tio­nen mit unse­rer kul­tu­rell-reli­gi­ös gepräg­ten Prä­fe­renz für Dua­lis­men ist es, was die Ampel zu einer so attrak­ti­ven Meta­pher macht.

Und doch ist es das Gelb, das unse­re eigent­li­che Auf­merk­sam­keit ver­dient – der Über­gang, das Unkla­re, das Cha­os. Wun­der­bar illus­triert dies m. E. die Bild­spra­che eines mehr als 500 Jah­re alten Bil­des – Hie­ro­ny­mus Boschs „Heu­wa­gen“:

Gemalt im Über­gang vom Mit­tel­al­ter mit sei­nem fest gefass­ten Welt­bild zur Renais­sance und dem Zeit­al­ter der Auf­klä­rung – zur (Wieder‑)​Belebung der kri­ti­schen Refle­xi­on ob einer auf ein­mal als viel weni­ger ein­fach wahr­ge­nom­me­nen Welt –, neh­men die drei Tei­le des berühm­ten Tri­pty­chons die immense Bedeu­tung des meta­pho­ri­schen Ampel-Gelbs qua­si vor­weg: Auf der lin­ken Sei­te fin­det sich das Para­dies – bis auf das natür­li­che Blau des Him­mels in Grün­tö­nen gehal­ten. Die fast aus­schließ­lich in Rot­tö­nen gehal­te­ne Höl­le füllt die rech­te Sei­te. Inmit­ten die­ses dua­lis­ti­schen Him­mel-Höl­le-/Grün-Rot-Kon­tras­tes befin­det sich der dop­pelt so gro­ße Mit­tel­teil – die Welt – mit dem in Gelb­tö­nen gehal­te­nen Heu­wa­gen im Zen­trum des Bil­des und vor allem auch der Auf­merk­sam­keit der zän­kisch-chao­ti­schen Bild­hand­lung. „Links das Para­dies, rechts die Höl­le und in der Mit­te das, was vom einen zum ande­ren führt“ – so erklär­te es mir eine Muse­ums­füh­re­rin im Madri­der Pra­do ein­mal sehr einleuchtend.

Jetzt wird auch deut­lich, war­um die Ampel-Meta­pher so wenig hilf­reich ist: Die Ampel ist eigent­lich immer gelb. Grün ist die Fik­ti­on des Plans; Rot fast schon der Abbruch. Den­noch: So wenig das Gelb des Ampel-Sta­tus‘ uns über den wah­ren Zustand z. B. eines Pro­jek­tes ver­rät, so gering sein Aus­sa­ge­wert ist – das Gezänk und das Durch­ein­an­der rund um den gel­ben Heu­wa­gen ist es, dem wir uns eigent­lich wid­men müs­sen. Redu­zier­ten wir jeden Sta­tus auf die drei Far­ben der Ampel, es gäbe bei genaue­rer Betrach­tung aus­schließ­lich gel­be Ampeln – und deren Bedeu­tung wäre ledig­lich, dass noch viel (Management‑)​Arbeit vor uns liegt. Wir soll­ten uns alle ein­fach eine mah­nen­de gel­be Ampel (oder bes­ser noch Boschs Heu­wa­gen) an die Wand hän­gen – und vor allem dar­auf ver­zich­ten, die Dar­stel­lung hoch­kom­ple­xen Sach­ver­hal­te in drei Far­ben zu pressen.

Foot­no­tes:

  1.  Witt­gen­stein, Lud­wig: Trac­ta­tus Logi­co-Phi­­lo­­so­­phi­­cus. 8. Aufl. Lon­don: Rout­ledge & Kegan Paul Ltd. 1960, S. 126.
  2.  Mei­nes Erach­tens u. a. mani­fest in unse­rer Begeis­te­rung für mono­hier­ar­chi­sche Struk­tu­ren wie im Fal­le des Mind­map­pings, vgl. „Mind­maps – trotz Kar­te im eige­nen Hirn verirrt?“.
Die mobile Version verlassen