Mein Lateinlehrer1 erzählte uns in einer seiner ersten Unterrichtsstunden, es gebe im Vatikan eine Stelle, die dafür zuständig sei, dem Sprachkorpus des Latein neue Wörter hinzuzufügen, um die Verwendbarkeit des Latein im modernen Leben sicherzustellen. Sein erstes Beispiel für die Notwendigkeit neuer Wörter war der Computer2. Diese Stelle gibt es wirklich – die Stiftung Latinitas (Opus Fundatum Latinitas) – und die rasante Entwicklung der Informationstechnik dürfte nicht der einzige Bereich des modernen Lebens sein, der ihr Arbeit bereitet. Ohne Zweifel aber dürfte die IT der Bereich sein, in dem am schnellsten Neologismen entstehen und vor allem auch am schnellsten durch Usus den Status des „Neo-“ verlieren und zu „normalen“ Wörtern werden. Ein großer Unterschied zum Opus Fundatum Latinitas ist, dass die Entstehung neuer Wörter in der IT-Branche nur selten ein zentralisierter/formalisierter Prozess ist, sondern in aller Regel mehr oder minder informell stattfindet. Zu unterscheiden sind zwei Hauptströmungen:
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Deskriptive Wort-Ungetüme, die nur durch die Reduktion auf ein Akronym handhabbar und erträglich werden (z. B. EEPROM – „electrically erasable programmable read-only memory“). Diese scheinen heutzutage glücklicherweise zunehmend seltener zu entstehen und stammen größtenteils aus einer Zeit, in der die IT noch extrem stark von einer Ingenieurkultur geprägt war.
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Hochgradig metaphorische Termini, bei denen manchmal unklar ist, ob nicht vielleicht die Marketing-Abteilung Vater des Gedankens war (z. B. „Cloud“).
Beides ist naheliegend – muss ich schnell und oft neue Dinge bezeichnen, ist es am einfachsten, auf sprachliche Beschreibungen oder bildhafte Metaphern zurückzugreifen – zumal viele Dinge, um die es geht, ja eher abstrakter Natur sind und womöglich gar keine physische Gestalt besitzen. Die zunehmende Notwendigkeit, sich auch Nicht-IT-Spezialisten verständlich zu machen3, begünstigt den Trend zur Metaphorik – und eben diese Metaphorik macht es uns einfach, zu visualisieren. Am deutlichsten wird dies nach meiner Erfahrung im Bereich der IT-Sicherheit – hochkomplexe technische Zusammenhänge werden dort auf extrem kompakte (und inhaltlich in ihrer Metaphorik meist erstaunlich richtige) Metaphern reduziert – z. B. „Firewall“, „(VPN‑)Tunnel“ und „Virus“:
Selbst die wenig klare Metapher des Hackers4 wird durch die Erweiterung um einen weißen oder schwarzen Hut („white hat hacker“ vs. „black hat hacker“) verständlich und einfach visualisierbar:
Allerspätestens bei der „Cloud“ wird klar, wie stark gerade Einflüsse aus dem Marketing den Grad an Metaphorik der (Fach‑)Sprache der IT erhöhen:
Dem Marketing sei dank: Die „bildhafte Sprache“ wird hier auf einfachste Weise „die Geburtshelferin der Bild-Idee“5 und Begriffe wie „Cloud“ lassen sich nun einmal deutlich einfacher visualisieren als „electrically erasable programmable read-only memory“.
Footnotes:
- ↑ Latein hat mich immer fasziniert – was keinesfalls heißen soll, dass ich besonders gut darin war. Das Erlernen einer Sprache fällt schwer, sofern man sich nicht aufraffen kann, Vokabeln zu lernen.
- ↑ „Instrumentum computatórium“ – damals übrigens noch bei Weitem nicht in jedem Haushalt zu finden.
- ↑ … oder zumindest den Anschein zu erwecken, es zu versuchen …
- ↑ Gemeint ist hier der Hacker i. S. der Verwendung des Begriffs in der IT-Sicherheit. Zur Etymologie und vor allem zur hohen semantischen „Breite“ des Begriffs siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Hacker.
- ↑ Schultz von Thun, Friedemann: Auch Sie können aus dem Stegreif visualisieren!. In: Pädagogik 10 (1994). S. 11.