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Warum „What’s New“-Vorträge oft langweilen – und wie es besser geht

Tim Themann

In mehr als zwei Jahr­zehn­ten im IT-Infra­struk­tur-Bereich habe ich unzäh­li­ge „What’s New in Ver­si­on ‚x‘ “-Vor­trä­ge über mich erge­hen las­sen – pas­siv wie auch aktiv (lies: als Refe­rent). Vie­le davon waren erstaun­lich schlecht​1 – und das, obwohl es sich doch eigent­lich gera­de­zu um eine Stan­dard-Auf­ga­be han­delt: Dem Publi­kum die neu­en „Fea­tures“ einer neu­en Pro­dukt­ver­si­on vor­zu­stel­len, ihm das Update(-Projekt) schmack­haft zu machen und dabei selbst mög­lichst auch erkenn­bar „up-to-date“ zu wir­ken, ist fes­ter Bestand­teil der Arbeit als IT-Bera­ter oder IT-Vertriebsbeauftragter.

Das Pro­blem ist: Es ist auch eine erstaun­lich schwie­ri­ge Auf­ga­be. Immer weni­ger spe­zia­li­sier­te, immer diver­si­fi­zier­te­re Pro­duk­te ent­hal­ten immer brei­ter gestreu­te Funk­tio­na­li­tä­ten. Der Fokus der jewei­li­gen „Release“ ist häu­fig kaum mehr zu erken­nen; die Lis­te der Neue­run­gen wirkt oft gera­de­zu zusam­men­hang­los. Die Ver­su­chung, die­se über­bor­den­de Funk­tio­na­li­tät mög­lichst voll­stän­dig und mehr oder min­der umfang­reich kom­men­tiert qua­si auf­zu­zäh­len, ist groß. Ein guter Vor­trag kann so aller­dings kaum ent­ste­hen: Die ein­zel­nen Neu­ig­kei­ten sind oft­mals nur lose oder gar nicht ver­bun­den, wir­ken anein­an­der­ge­reiht vor­ge­tra­gen oft fast schon anekdotisch.

Es ist ein wenig wie mit einer Schach­tel Pra­li­nen: Ein­zeln und durch das Ver­pa­ckungs­mit­tel iso­liert lie­gen die Kon­fek­te in der Schach­tel. Es ist für jeden etwas dabei – aber in der Gesamt­heit ist es zu viel des Süßen: Ver­sucht man, wirk­lich jede ein­zel­ne Pra­li­ne zu ver­kos­ten, wird man ihrer bei aller Köst­lich­keit doch recht schnell über­drüs­sig – und anzu­neh­men, man kön­ne durch einen sol­chen „Fress­an­fall“ die sicher­lich wohl­über­leg­te Kom­po­si­ti­ons­leis­tung des Cho­co­la­tiers nach­voll­zie­hen, erscheint illu­so­risch. Hin­zu kommt: Die Wahr­schein­lich­keit ist groß, dass man ob des vol­len Magens eine poten­ti­el­le Lieb­lings-Pra­li­ne gar nicht mehr zu wür­di­gen vermag.

Weni­ger ist (wie so häu­fig) mehr – ermög­licht erst wirk­li­ches Geschmacks­er­le­ben und beugt neben­bei dem Völ­le­ge­fühl vor.

Ähn­lich ist es tat­säch­lich mit vie­len „What’s New“-Vorträgen: Der Refe­rent über­füt­tert das Publi­kum. Mit der (ja prin­zi­pi­ell lobens­wer­ten) Inten­ti­on, mög­lichst voll­stän­dig zu infor­mie­ren, ent­steht eine zusam­men­hang­lo­se Anein­an­der­rei­hung höchs­tens lose ver­bun­de­ner Fak­ten – und nach der zehn­ten meist über­vol­len Folie ver­mag auch der auf­merk­sams­te Kun­de nicht mehr zu erken­nen, wie ihm die jewei­li­ge Funk­tio­na­li­tät womög­lich hel­fen könn­te. „What’s New“-Präsentationen sind prä­de­sti­niert für „Death by Power­Point“ – je umfang­rei­cher das neue Release ist, des­to mehr.

Ver­ges­sen Sie den Anspruch auf Voll­stän­dig­keit! „Weni­ger ist mehr“ gilt auch hier: Grei­fen Sie sich eini­ge neue Funk­tio­na­li­tä­ten her­aus – nicht zwangs­läu­fig die ver­meint­lich „wich­tigs­ten“, son­dern viel­mehr eini­ge (viel­leicht auch teil­wei­se älte­re, nahe­zu unbe­kann­te) Funk­tio­nen, die zusam­men­wir­ken und so neue Lösun­gen ermög­li­chen. Nur so kön­nen Sie eine Geschich­te erzäh­len – eine Geschich­te dar­über, wie Ihre Kun­den aus der neu­en Ver­si­on neu­en Nut­zen gewin­nen können​2. Eine sol­che Geschich­te ist es, die in Erin­ne­rung bleibt – nicht eine voll­stän­di­ge, aber zusam­men­hang­lo­se Auf­lis­tung von Neuigkeiten.

Was nun tun mit den vie­len Funk­tio­nen, die man so nicht erwäh­nen konn­te? Näher an die Voll­stän­dig­keit kom­men Sie, indem Sie meh­re­re Geschich­ten erzäh­len – am bes­ten in unter­schied­li­chen Vor­trä­gen mit ver­schie­de­nen Refe­ren­ten und Vortragsstilen.

Möch­ten Sie mehr als nur ein Völ­le­ge­fühl hin­ter­las­sen, müs­sen Sie aus­wäh­len – nicht die „wich­tigs­ten“ neu­en „Fea­tures“, son­dern die bes­ten neu­en Geschich­ten! Es ist wie im Kino: Neue Geschich­ten sind es, die die Men­schen hören möch­ten und behal­ten – neue Prot­ago­nis­ten allein (oder gar vie­le neue Schau­spie­ler) machen kei­ne Kassenschlager.

Foot­no­tes:

  1.  Und dabei kann ich rea­lis­tisch betrach­tet bei Wei­tem nicht jeden mei­ner der­ar­ti­gen Vor­trä­ge der letz­ten 20 Jah­re ausschließen.
  2.  Qua­si eine „Hel­den­ge­schich­te“ i. S. Nan­cy Duar­tes; vgl. <http://​reso​na​te​.duar​te​.com>.
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