Sei es in der Erwachsenenbildung, im (IT‑)Training oder gar in Vertrieb und Pre-Sales: Dieselben Menschen, die viele (bereitwillig bezahlte Arbeits‑)Stunden mit der Perfektionierung von PowerPoint-Folien zubringen können, halten auf Flipchart und Whiteboard eher lieblose Zeichnungen und fast unlesbare Schrift oft für ausreichend.
Egal, ob beim Visualisieren von IT-Infrastrukturen (dem eigentlichen Thema dieses Blogs und vor allem des Buchs) oder in anderen Zusammenhängen: Meines Erachtens ist „schönes Zeichnen und Schreiben“ in Gespräch und Meeting eine Frage von …
… Deutlichkeit, Ernsthaftigkeit und Wertschätzung …
… und damit entscheidend für den Trainings‑, Projekt- oder gar Verkaufserfolg.
Deutlichkeit vs. „visuelles Nuscheln“
Die Notwendigkeit deutlicher Aussprache und Verständlichkeit wird niemand ernsthaft in Zweifel ziehen – „verstanden zu werden“ ist offensichtlich wichtig für die eigene Wirksamkeit. Umso erstaunlicher ist es, wie oft visuell „genuschelt“ wird, wie verbreitet praktisch unleserliche Schrift und kaum erkennbare Visualisierungen sind. Selbst, wenn Wichtiges extra zur Betonung seiner Relevanz am Flipchart notiert wird, ist das Ergebnis häufig kaum lesbar – und komplexe IT-Infrastrukturen bestehen nur allzu oft lediglich aus ein paar unleserlich beschrifteten Kästchen und Pfeilen.
Möchten Sie visuell ebenso gut verstanden werden wie sprachlich-auditiv, sollten Sie Ihren Visualisierungen Zeit und Sorgfalt widmen. In der Hektik des angeregten Gesprächs oder Referats erscheint dies oft schwierig; kurz innezuhalten und parallel zum Gespräch etwas zu visualisieren erscheint ähnlich lästig wie die Notwendigkeit des gelegentlichen Einatmens – und es wird kaum mehr Zeit dafür aufgewandt. Das reicht nicht für visuelle Deutlichkeit – gönnen Sie sich mehr Zeit dafür oder lassen Sie es ganz: Entweder das Visuelle ist wichtig und soll entsprechend deutlich und verständlich gelingen oder es ist unwichtig – und kann dementsprechend gänzlich entfallen. Ich halte das Visuelle als zweiten, das Gesprochene komplementär ergänzenden Kanal für praktisch immer wichtig1; keine Zeit dafür zu haben, erscheint mir ähnlich unsinnig wie keine Zeit für das Einatmen zu haben – und haben Sie für eines von beiden „gefühlt“ keine Zeit, reden Sie vermutlich sowieso zu schnell und zu viel, um noch gut verständlich zu sein. Nehmen Sie sich die Zeit, deutlich und verständlich zu sein – beim Zeichnen und Schreiben ebenso wie beim Sprechen!
Halbwegs lesbare (Moderations‑)Schrift und eine klar erkennbare Bildsprache sind für jeden nicht physisch eingeschränkten Menschen erlernbar – ich z. B. bin (an den Illustrationen erkennbar) alles andere als talentiert, kann mich aber zwingen, mir einigermaßen Mühe zu geben. „Nicht lesbar schreiben können“ oder „nicht erkennbar zeichnen können“ gibt es nicht; das damit Kokettieren ist m. E. in Wirklichkeit meist ein „nicht wirklich wollen“ – und wird vom Zuschauer oftmals als ein Zeichen mangelnder Ernsthaftigkeit wahrgenommen.
Mit Ernsthaftigkeit visualisieren
Im Fachgespräch oder während eines Meetings bemüht man sich üblicherweise bewusst einer anderen Sprache als abends gegenüber Freunden in der Kneipe. Eine angemessene Wortwahl, möglichst hochdeutsche Aussprache und eine sinnvolle Verwendung des jeweiligen Fachjargons werden intuitiv als notwendig begriffen – und Verstöße gegen diese sozialen Sprachnormen üblicherweise als unprofessionell, als mangelnde Ernsthaftigkeit bewertet. Dies scheint oft jedoch nur für das Sprachliche, nicht jedoch für das Visuelle zu gelten: Im Verlauf von Kundenterminen z. B. in „Jugendsprache“ zu verfallen, ist glücklicherweise sehr unüblich und hätte ernsthafte Auswirkungen auf den Gesprächserfolg – in der Qualität von Kleinkinderzeichnungen zu zeichnen, scheint hingegen akzeptiert. Ich halte die Auswirkungen dennoch für vorhanden: Dem Visuellen Ihrer Kommunikation geht die Ernsthaftigkeit und Professionalität verloren, die den Inhalten angemessen wäre und die sich ja auch im Gesprochenen bereits manifestiert.
Das nach meinem Empfinden deutlichste Anzeichen mangelnder Ernsthaftigkeit in der visuellen Kommunikation ist das vollständige Ignorieren des Karos auf dem Flipchart-Papier. Aus Mangel an „visuellen Worten“ praktisch jedes Element beispielsweise einer IT-Infrastruktur als notdürftig beschriftetes Rechteck zu visualisieren ist durchaus verständlich – warum diese Rechtecke allerdings auch noch das Karo ignorierend krumm und schief auf das Papier gebracht werden, ist mir schleierhaft. Gerade IT ist (inzwischen) nun einmal ziemlich „eckig“; die Branche ist den Kinderschuhen entwachsen und an die Stelle des Genial-Künstlerischen treten zunehmend klassische Ingenieurtugenden – und ein Ingenieur, der krumm und schief zeichnet, würde wohl kaum ernst genommen. Sich künstlerisch-anarchisch dem Diktat des Karos nicht beugen zu wollen, macht es nicht nur unnötig schwer, deutlich zu zeichnen, sondern passt m. E. auch einfach nicht mehr zur Branche. Eine saubere Softwarearchitektur oder eine stabile IT-Infrastruktur sollten auch gezeichnet „ordentlich“ und professionell aussehen. Zeichnen und schreiben Sie mit dem Qualitätsanspruch, den Sie auch vermitteln möchten!
(Selbst‑)Wertschätzend visualisieren
Seine Inhalte deutlich und für andere verständlich zu visualisieren, ist eine Frage des Ernstnehmens – des Ernstnehmens sowohl der Zuhörer als auch der Inhalte und damit schließlich auch des Sich-selbst-Ernstnehmens. Damit wird es praktisch zwangsläufig eine Frage der angemessenen Wertschätzung – für Sie selbst und für Ihr Publikum:
Ja, ich gebe mir möglichst viel Mühe beim Zeichnen und Schreiben – …
… Sie sind es mir wert und …
… meine Gedanken sind es mir wert!
Ebenso, wie man einen klugen Gedanken dadurch entwerten kann, ihn nur beiläufig im Gespräch „fallen zu lassen“ oder „in den Bart zu nuscheln“, kann man dies visuell tun, indem man ihn nur „schlampig aufs Flipchart wirft“. Entwerten Sie Ihre Gedanken nicht durch lieblose Visualisierungen; geben Sie sich die Mühe und nehmen Sie sich die Zeit, die Ihren Gedanken und Ihren Zuhörern angemessen ist.
Footnotes:
- ↑ Vgl. z. B. die „dual-coding theory“ von Allan Paivio.