Tom DeMarco und Timothy Lister unterscheiden in ihrem m. E. nach wie vor lesenswerten Klassiker „Wien wartet auf Dich!“ (engl.: „Peopleware“)1 zwischen „Methodiken“ und „METHODIKEN“ – letztere sind im Gegensatz zu ersteren „[…] meist riesig und werden immer umfangreicher […]“2, werden gern dogmatisch angewandt und als eine Art „Allheilmittel“ angesehen. Ich möchte gern neben diesen beiden Schreibweisen eine dritte Schreibweise einführen: „MeToodik“ bzw. „MeToode“ (IPA: [miˈtuːdə])3.
MeToode
Die Reinform der MeToode4 ist zumindest während ihrer Genese5 sehr einfach zu erkennen: Ist eine Methode gerade „in Mode“ und wird sie z. B. mit den Worten „die Anderen™ machen das jetzt auch“6 eingeführt, wohnt man vermutlich gerade der Geburt einer MeToode bei – meist mit einer Vielzahl bereits angeborener Fehler:
- Da nicht die Suche nach einem sinnvollen Vorgehen für die Bearbeitung einer spezifischen Aufgabenstellung im Vordergrund der Methodenauswahl stand, sondern lediglich das [vermeintlich] vorteilhafte Verhalten z. B. des Mitbewerbers kopiert werden soll, passt eine MeToode oftmals nicht zur Aufgabe. Was nicht passt, wird passend gemacht – und ist die ursprüngliche Methode erst einmal hinreichend verwässert, passt die entstandene MeToode scheinbar wirklich auf alles; womöglich liegt nun eine Extremform von Maslows Hammer zur weitgehend wahllosen Nutzung im Werkzeugkasten bereit.
- Eine MeToode ist originär ihrer selbst wegen implementiert worden – Wirksamkeit ist also meist zumindest anfänglich vergleichsweise wenig relevant. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass beim „Passendmachen“ oder beim „Kopieren“ der Methode Fehler gemacht werden, sie womöglich ihres Kerns und damit meist auch ihrer Wirksamkeit entkleidet wird. „Entkernte“, unwirksame MeTooden halten sich dennoch erstaunlich lange – steht doch der „Wir machen das jetzt auch!“-Aspekt im Vordergrund.
- MeTooden müssen übrigens i. d. R. nicht geschult werden, „unser Mitbewerber hat das bestimmt auch ohne Schulung hinbekommen“. Ganz allgemein gesprochen kann das, was man da von außen bei den Anderen sieht, ja nicht so schwer sein – und MeTooden leben sowieso eher von ihrem jeweiligen Namen als von stringenter Methodik und exakter Terminologie. Der Aufwand für die Implementierung von MeTooden ist dementsprechend meist viel niedriger als der von Methoden – meToodisch vorzugehen ist einfach, im Zweifel reicht die bloße Behauptung, es zu tun!
- Eine besondere Form der MeToode entsteht meiner Erfahrung nach, wenn das eigentliche „Wir machen das jetzt auch!“ sich auf eine die zugrundeliegende Methode unterstützende Software bezieht, das Software-Werkzeug lediglich schnell eingeführt wird, weil „jetzt alle damit arbeiten“. Ein auf diese Weise eingeführtes Werkzeug bringt die MeToode meist praktisch automatisch mit.
- Erfüllt die MeToode die meist ohnehin nur diffusen Erwartungen nicht, kann wahlweise den kopierten Mitbewerbern oder der vermeintlich implementierten Methode die Schuld gegeben werden. Sind die Erwartungen gar nicht definiert, kann man sich zudem zu einem willkürlichem opportunen Zeitpunkt nach Belieben aussuchen, ob sie erfüllt wurden oder nicht. Auf jeden Fall aber – und das ist m. E. das eigentlich Schlimme – ist durch die „scheiternde“ MeToode die zugrundeliegende Methode nachhaltig diskreditiert. Zum Glück kommt fast alles eines Tages unter anderem Namen wieder.
Im Moment sind zumindest in der IT und im Projektmanagement übrigens die meisten MeTooden meiner Wahrnehmung nach vermeintlich „agil“ (oder aber „lean“). Das sagt allerdings nicht das geringste über den Wert „echter“ agiler Methoden aus.
Footnotes:
- ↑ Tom DeMarco, Timothy Lister: Wien wartet auf Dich! Produktive Projekte und Teams. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage. München: Carl Hanser Verlag GmbH Co KG 2014.
- ↑ Ebenda, S. 188.
- ↑ Eine konsequente Unterscheidung zwischen „Methodik“ und „Methode“ erlebe ich im Deutschen nicht; ich verwende lieber letzteres.
- ↑ Die Idee für diesen Artikel existierte schon vor dem Aufkommen des „#MeToo“-Hashtags und ist nicht davon inspiriert worden. Analog zu „MeToode“ ist bspw. eher der Begriff des „Me-too-Produkts“.
- ↑ Zu einem späteren Zeitpunkt besteht meist die Gefahr, aus einer gewissen Betriebsblindheit heraus die MeToode mit der ihr zugrundeliegenden Methode zu verwechseln.
- ↑ Wahlweise auch „die Konkurrenz“, „der Mitbewerber“, „die Konzernmutter“ oder Vergleichbares.