Was pandemiebedingt in vielen Organisationen in den letzten Monaten keine Frage war, wird jetzt zusehends zum Gegenstand mehr oder minder hitziger Diskussionen: Sollte eine Besprechung als Online-Meeting oder als „Präsenzveranstaltung“ durchgeführt werden?
Vor einigen Tagen veröffentlichte Olaf Hinz in seinem (auch zu anderen Themen sehr lesenswerten!) Lotsenblog zu dieser Frage eine m. E. sehr nützliche Entscheidungshilfe1, die für verschiedene Meeting-Anlässe bzw. die jeweils notwendigen Interaktionen eine Präferenz für Online- bzw. Offline-Formate vorschlägt und zudem vom vermeintlichen Kompromiss des hybriden Meetings abrät2. Wenngleich mir der Ansatz, anhand der kommunikativen Interaktionsformen zu differenzieren, extrem sinnvoll erscheint, würde ich gern einige weitere Dimensionen ergänzen, die mir für die Frage „Online oder Offline?“ zusätzlich sehr entscheidungsrelevant erscheinen.
Denke ich über Interaktionen in der Gruppe nach, bin ich eigentlich immer geneigt, das Vierfaktorenmodell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) zu bemühen. Der eigentliche Anlass des Meetings und die zur Zielerreichung notwendigen Interaktionen decken dabei vorrangig einen Faktor – „Es“, „das Thema“ – dieses Modells ab. An dieser Stelle möchte ich versuchen, auch die weiteren Faktoren in Bezug auf die Frage „Online oder offline?“ zu beleuchten:
Ich – die einzelnen Personen
Meiner Erfahrung nach haben viele Menschen zu der Frage „Online oder offline?“ eine vergleichsweise starke und stabile Meinung, die zu berücksichtigen – hat man überhaupt die Wahl – sicherlich nicht unklug ist. Viel wichtiger aber: Unterschiedliche Menschen verhalten sich online bzw. offline auch durchaus unterschiedlich; ich habe beispielsweise häufiger erlebt, dass eher introvertierte Menschen Online-Meetings vermehrt präferieren und sich in Online-Formaten tatsächlich auch stärker beteiligen. Zudem ist das eine oder andere Format für den einen oder anderen Menschen aufgrund der jeweiligen Arbeits- oder Lebenssituation pragmatisch einfach sinnvoller; dies zu berücksichtigen, erscheint mir wichtig. Zu guter Letzt beherrschen unterschiedliche Menschen die verwendete Technik unterschiedlich gut. Kurz: Sich die Teilnehmer eines Meetings vorab unter diesen Aspekten genau anzuschauen, dürfte für die Entscheidungsfindung „Online oder offline?“ sehr hilfreich sein.
Wir – die Gruppe
Im Verlaufe des letzten Jahres habe ich in verschiedensten Gruppen und Organisationen erlebt, dass es so etwas wie einen „Online-Reifegrad“ von Teams gibt und dieser durchaus durch Übung gesteigert werden kann – aber nicht zwangsläufig muss. Dieser Reifegrad äußert sich nicht nur in Form der gemeinsamen Technikbeherrschung3, sondern vor allem auch sozial-kommunikativ: Wie geht die Gruppe miteinander um, welche impliziten und expliziten Regeln und Prinzipien (vgl. hier) sind für Online- wie auch Offline-Formate festgelegt worden oder einfach entstanden? Wie eingespielt ist das Diskursverhalten der Gruppe, wie wertschätzend der Umgang miteinander? Zu guter Letzt: Gerade in Organisationen, die schon länger eine „full remote“-Kultur pflegen, beantwortet sich die Frage „Online oder offline?“ völlig anders als in einer Kultur, die bisher zu 100% auf Präsenz ausgelegt war.
Es – das Thema
„Das Thema“ ist m. E. schon sehr nah an dem von Olaf Hinz‘ angeführten Aspekt des „Anlasses“ (s. o.). Hier gilt allerdings Ähnliches wie für die Frage „Synchron oder asynchron?“ (vgl. hier): Häufig hat eine Besprechung nicht nur ein Thema, nicht nur einen Anlass und erst recht nicht nur eine Form der Interaktion. Im Rahmen der Entscheidungsfindung „Online oder offline?“ sollte man also m. E. das Meeting bzw. seine Agenda in seine Einzelteile zerlegen und für jeden einzelnen Teil entscheiden – idealerweise zwischen drei Varianten: „Online“, „offline“ und „asynchron“ (vgl. hier). Nicht vergessen sollte man auf jeden Fall: „Es“ – das Thema – ist nur einer von vier Aspekten – und womöglich in vielen Fällen gar nicht der entscheidende.
Der Globe – das Umfeld
Das Umfeld in all seinen Facetten – angefangen bei organisatorischen Fragen über das Ökologische, das Soziale, das Politische und nicht zuletzt beispielsweise rechtliche Rahmenbedingungen – hat meiner Erfahrung nach ebenfalls einen deutlichen Einfluss auf die Entscheidung „Online oder offline“. Im Moment z. B. finden sehr viele Meetings aufgrund der pandemischen Lage als Videokonferenz statt – ein klassischer Fall von Einfluss des „Globes“. Aber auch die Diskussionen über den Datenschutz in Videokonferenzen, der Mangel an technischer Ausstattung in vielen Bereichen u. v. m. gehören zum Umfeld der Entscheidung – und beeinflussen sie.
Der Anlass und die zur Zielerreichung notwendigen Interaktionen sind ein sehr guter Ausgangspunkt, um sich der Frage „Online oder offline?“ zu nähren – es gibt m. E. zusätzlich noch viele weitere Aspekte in den erwähnten weiteren drei Dimensionen, die berücksichtigt werden sollten. Das „Ich“, das „Wir“ und nicht zuletzt das Umfeld sind meiner Erfahrung nach häufig extrem relevant für den Verlauf eines Meetings – diese Dimensionen zu berücksichtigen, ist also vermutlich ebenso entscheidend wie der eigentliche Inhalt.
Fußnoten:
- ↑ <https://www.hinz-wirkt.de/lotsenblog/artikel/3090-meeting-online-oder-offline-entscheidungshilfe> (14.09.2021).
- ↑ Eine Meinung, die ich im Übrigen teile; vgl. „Herausforderung ‚Hybride Meetings‘ „.
- ↑ Nicht zuletzt auch in Bezug auf zusätzliche Werkzeuge wie digitale Whiteboards u. v. m.