Mikrofon an oder aus?

Das eige­ne Mikro­fon zu muten, sofern man nicht gera­de spricht, ist der wohl am häu­figs­ten gehör­te Tipp für Video­kon­fe­ren­zen und Online-Mee­tings. Ein Grund mehr, die­se Regel zu hin­ter­fra­gen – und schaue ich auf mei­ne Erfah­run­gen der letz­ten fast zwei Jah­re Home­of­fice zurück, erscheint es mir zuneh­mend weni­ger sinn­voll, die­sem Grund­satz in jedem Fall zu fol­gen. In vie­len Situa­tio­nen – vor allem in klei­ne­ren Mee­tings in „ein­ge­spiel­ter“ Grup­pe und mit guter tech­ni­scher Aus­stat­tung der Teil­neh­mer (lies: jeder ist mit einem guten Head­set aus­ge­stat­tet; vgl. hier) – scheint mir sogar das Gegen­teil der Fall zu sein, das Mee­ting viel bes­ser und ange­neh­mer zu ver­lau­fen, wenn die Mikro­fo­ne aller Teil­neh­mer anblei­ben! Das liegt m. E. vor allem dar­an, dass ein Mee­ting mit akti­vier­ten Mikro­fo­nen viel stär­ker einem „ech­ten“ Prä­senz-Mee­ting ähnelt:

  • Äuße­run­gen erfol­gen spon­ta­ner, es ent­steht ein natür­li­che­res Gespräch. Nicht, dass ich es schön fin­de, wenn sich Men­schen ins Wort fallen​1 (ins­be­son­de­re des­we­gen ein­gangs der Hin­weis auf die „ein­ge­spiel­te Grup­pe“), aber kur­ze Ein­wür­fe o. Ä. bele­ben m. E. durch­aus das Gespräch, sind „natür­lich“ im Sin­ne einer „ech­ten“ Bespre­chung – und fal­len eben sehr schwer, muss man das Mikro­fon erst ein­mal anschalten.
  • Non­ver­ba­le akus­ti­sche Zei­chen wer­den hör­bar – sei­en es akus­ti­sche Zuhör­si­gna­le oder (womög­lich unbe­wuss­te) akus­ti­sche Zei­chen wie lachen, sich räus­pern oder gäh­nen. Gera­de die unbe­wuss­te non­ver­ba­le akus­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on kann sich bei aus­ge­schal­te­tem Mikro­fon kaum ent­fal­ten – denn wer schal­tet schon unbe­wusst auch gleich das Mikro­fon ein? Nun mag es natür­lich sein, dass man in der einen oder ande­ren Situa­ti­on ganz glück­lich ist, die­se Signa­le qua­si aus­blen­den zu kön­nen. In einer ver­trau­ens­vol­len und von hoher psy­cho­lo­gi­scher Sicherheit​2 gepräg­ten Umge­bung jedoch kön­nen eben die­se Signa­le mei­ner Erfah­rung nach mas­siv zur Effek­ti­vi­tät der Inter­ak­ti­on bei­tra­gen – und die Situa­ti­on für alle Teil­neh­mer ange­neh­mer und natür­li­cher machen​3.

Ist die Grup­pe ver­trau­ens­voll, sehr ein­ge­spielt und/​oder klein und sit­zen alle Teil­neh­mer mit gutem Head­set (vgl. hier) in ruhi­ger Umge­bung – pro­bie­ren Sie es mal aus: Eini­gen Sie sich dar­auf, alle Mikro­fo­ne ange­schal­tet zu las­sen – und reser­vie­ren Sie ein paar Minu­ten für eine kur­ze Refle­xi­on zum Ende des Mee­tings, viel­leicht ist das ein­ge­schal­te­te Mikro­fon in der jewei­li­gen Grup­pe ja in Zukunft nicht die Aus­nah­me, son­dern die Regel!

Fuß­no­ten:

  1.  Tun sie das trotz einer eigent­lich ein­ge­spiel­ten Run­de über­ra­schend häu­fig, liegt das übri­gens mög­li­cher­wei­se an einer sehr hohen oder stark schwan­ken­den Latenz der Audio-Über­tra­gung – mei­ner Erfah­rung nach der Tod jed­we­der gepfleg­ten Konversation.
  2.  Vgl. bspw. <https://​www​.it​-agi​le​.de/​a​g​i​l​e​s​-​w​i​s​s​e​n​/​a​g​i​l​e​-​t​e​a​m​s​/​w​a​s​-​i​s​t​-​p​s​y​c​h​o​l​o​g​i​s​c​h​e​-​s​icherheit/>(10.12.2021).
  3.  Bei genaue­rer Betrach­tung erscheint es gera­de­zu absurd, expli­zit Wert auf den visu­el­len Kanal zu legen („Lasst die Kame­ras an!“), nicht-sprach­li­che Audio-Zei­chen aber per Regel („Mutet Euch, wenn Ihr nicht sprecht!“) ohne gro­ße Not (schlech­te Tech­nik, Neben­ge­räu­sche) zwangs­wei­se aus­blen­den zu wollen.

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