Vor etwas mehr als einem Jahr prägte Nancy Duarte mit ihrem gleichnamigen Buch1 den Begriff „Slidedocs“. Sie alle haben vermutlich bereits ein Slidedoc gesehen: Ein mit PowerPoint oder einem anderen Präsentationsprogramm erstelltes Dokument, das nicht zum präsentiert werden, sondern vielmehr zum am Bildschirm gelesen werden gedacht ist – eine Zweckentfremdung von PowerPoint, die inzwischen in vielen Firmen geradezu das Rückgrat der Unternehmenskommunikation geworden ist. Mit der Frage, ob das wirklich eine positive Entwicklung ist, habe ich mich bereits beschäftigt und durchaus große Zweifel entwickelt. Hat man allerdings akzeptiert, dass Slidedocs in der Arbeitswelt nun einmal Realität sind und Duartes „information in small chunks“2 i. S. einer niedrigen „cognitive load“ womöglich tatsächlich am verdaulichsten sind, stellt sich unweigerlich die Frage, ob PowerPoint wirklich das geeignetste Werkzeug zur Erstellung von Slidedocs ist.
- Für PowerPoint spricht vor allem dessen Verbreitung auf der Produktionsseite. Unter denjenigen Werkzeugen, die man als „multimedia authoring tool“ benutzen (oder zumindest zweckentfremden) kann, dürfte PowerPoint mit deutlichem Abstand das am besten eingeführte sein – praktisch jeder Wissensarbeiter glaubt zumindest, es zu beherrschen.
- Gegen PowerPoint spricht vor allem sein grundlegendstes Paradigma: die Slide (Folie). Die „small chunks“ auch noch in gleich große eckige Rahmen zu pressen, ist einfach unnötig. Wäre PowerPoint ein Werkzeug zum Gestalten von Textdokumenten, könnte man Textrahmen verknüpfen und der Text würde in den jeweils folgenden Rahmen überlaufen3. So aber führt die Nutzung von PowerPoint zur Dokumentenerstellung vor allem dazu, dass das „ein Gedanke pro Folie (und bitte passend)“-Paradigma auf eine völlig andere Text-(oder besser Dokumenten‑)Gattung Anwendung findet.
Seine Gedanken nun nicht nur maximal zu verdichten, sondern auch noch in gleich große Rahmen zu pressen, gleicht dem Versuch, eine technische Dokumentation in Anlehnung an den ohne Zweifel großen und lang andauernden literarischen Erfolg der Ilias in Hexametern abzufassen.
Ideal für die Erstellung und Verbreitung von slidedoc-artigen Dokumenten wäre also ein Werkzeug, dessen grundlegendes Paradigma gerade nicht die Slide ist, und das trotzdem die Vorteile von PowerPoint – einfache Zugänglichkeit und Nutzung, Multimedialität und vor allem einfache Verbreitbarkeit der Inhalte – auf sich vereint.
Bereits kurz nach dem Erscheinen des ersten „tech previews“ von Microsoft Office Sway habe ich vermutet, dass Sway genau diese Lücke füllen könnte (vgl. hier). Inzwischen sind einige Monate vergangen und Sway hat in dem für cloud-basierte Lösungen typischen Tempo viele kleine und größere Entwicklungsschritte genommen. Betrachtet man die letzten Entwicklungen genauer, wird m. E. deutlich, dass Sway in der Tat das Potenzial hat, PowerPoint-basierte Slidedocs in der Unternehmenskommunikation abzulösen. Insbesondere die im Zuge der Integration mit Office 365 (vgl. <https://blogs.office.com/en-us/2015/05/04/sway-announces-office-365-and-languages/>) angekündigten Funktionalitäten machen Sway m. E. wirklich reif für den Unternehmenseinsatz:
- Sway wird künftig nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Deutsch, einer Reihe anderer europäischer Sprachen und Japanisch verfügbar sein.
- Im Zuge der Integration mit Office 365 wird Sway die einfache Einbettung von vorhandenen „klassischen“ Office-Dokumenten ermöglichen. Sways können so als „Container“ zum Transport weiterführender und vertiefender Dokumente dienen.
- Am wichtigsten aber: Sways können nicht nur mit der ganzen Welt, sondern auch beschränkt auf die eigene Organisation geteilt werden – eine Funktionalität, die m. E. den Einsatz zur unternehmensinternen Kommunikation überhaupt erst möglich macht und ist somit das „Killer-Feature“, dass es ermöglichen wird, Slidedocs durch Sways zu substituieren.
Ein (erneuter) Blick auf Sway lohnt sich – und die Zweckentfremdung von PowerPoint zu beenden und stattdessen ein weiteres spezifisches Werkzeug einzusetzen, erscheint vor dem Hintergrund der Verbreitung von Slidedocs als Kommunikationsmittel mehr als angemessen.
Footnotes:
- ↑ Duarte, Nancy: Slidedocs. Spread ideas with effective visual documents. Sunnyvale: Duarte Inc. 2014. <http://www.duarte.com/slidedocs> (14.05.2015).
- ↑ Duarte, a. a. O., S. 6.
- ↑ Angesichts der Verbreitung von Slideuments ist es eigentlich erstaunlich, dass das nicht der Fall ist.