Fotoprotokolle – kommentiert oder doch lieber unkommentiert?

Foto­pro­to­kol­le soll­ten nie­mals unkom­men­tiert sein und kei­nes­falls bloß aus einer Samm­lung von „nack­ten“ Fotos bestehen – eine Mei­nung, die ich u. a. in den Com­pu­ter­ma­lern (vgl. die­sen Buch­aus­zug) recht vehe­ment ver­tre­te. „Sie visua­li­sie­ren nicht schwei­gend – ver­ges­sen Sie im Pro­to­koll Ihre Ton­spur nicht!“ – m. E. ein durch­aus ein­leuch­ten­der Gedan­ken­gang. Häu­fig jedoch hört oder liest​1 man die gegen­tei­li­ge Auf­fas­sung: Foto­pro­to­kol­le soll­ten mög­lichst gar nicht kom­men­tiert wer­den, um die Doku­men­ta­ti­on des (Gruppen‑)​Prozesses nicht durch nach­träg­li­che Ergän­zun­gen zu ver­fäl­schen – eine kei­nes­wegs weni­ger ein­leuch­ten­de Auf­fas­sung, ist doch das Foto­pro­to­koll gera­de wegen sei­ner ver­meint­li­chen Objek­ti­vi­tät so beliebt. Natur­ge­mäß drängt sich die Fra­ge auf, wel­che die­ser bei­den dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­ten Auf­fas­sun­gen die „rich­ti­ge“ ist, und wie so oft lau­tet die Ant­wort m. E. „Das kommt dar­auf an.“ – vor allem auf die aus dem jewei­li­gen Auf­trag resul­tie­ren­de Rol­le und damit auch Hal­tungdes Lei­ten­den bzw. Moderierenden:

  • Han­delt es sich tat­säch­lich um eine rei­ne Mode­ra­ti­ons-Situa­ti­on – nimmt der die Bespre­chung (An‑)​Leitende eine neu­tra­le Rol­le ein und leis­tet er oder sie kei­nen inhalt­li­chen Bei­trag –, soll­te die­se Hal­tung auch beim Pro­to­kol­lie­ren durch­ge­hal­ten wer­den. So sehr es einen auch manch­mal in den Fin­gern juckt: Dem Pro­to­koll etwas hin­zu­zu­fü­gen, was nicht in den im Rah­men des Mög­li­chen maxi­mal objek­ti­ven Fotos sowie­so ent­hal­ten ist, ver­bie­tet sich auf­grund Ihrer Rol­le eindeutig.
  • Han­delt es sich hin­ge­gen um eine Trai­nings­si­tua­ti­on (befin­den Sie sich also in leh­ren­der Rol­le) oder ist Ihre Rol­le die eines bera­ten­den Exper­ten (ist also neben Ihrer Exper­ti­se womög­lich anstel­le von Neu­tra­li­tät expli­zit Ihre fun­dier­te Mei­nung gefragt), ist es hin­ge­gen voll­kom­men auf­trags­kon­form, das Pro­to­koll zu ergän­zen. Eine schrift­li­che Wie­der­ho­lung des auf der „Ton­spur“ Gesag­ten, ver­tie­fen­de Infor­ma­tio­nen und Quel­len- und Lite­ra­tur­hin­wei­se erschei­nen in die­sem Fall nicht nur legi­tim, son­dern gera­de­zu not­wen­dig – und war Ihre begrün­de­te, fun­dier­te Mei­nung gefragt, soll­te die­se eben­so nach­voll­zieh­bar und begrün­det auch Ein­gang in Ihr Pro­to­koll finden.

Eine exak­te Auf­trags­klä­rung, das dar­aus resul­tie­ren­de kla­re und trans­pa­ren­te Rol­len­ver­ständ­nis und die dazu­ge­hö­ri­ge Hal­tung sind also nicht nur im (Gruppen‑)​Prozess selbst ent­schei­dend, son­dern auch für eine dem Auf­trag und der Rol­le ange­mes­se­ne Nachbereitung.
Unab­hän­gig von der Fra­ge, ob Sie die Fotos des Pro­to­kolls kom­men­tie­ren oder nicht, gilt m. E. übri­gens Richard Ave­dons recht deut­li­cher Aus­spruch „Eine Foto­gra­fie zeigt nie die Wahr­heit.“​2: Auch eine Visua­li­sie­rung am Flip­chart kann in ver­schie­de­nen Sta­di­en foto­gra­fiert wor­den sein, ein­zel­ne Visua­li­sie­run­gen kön­nen aus­ge­las­sen wor­den sein, die Rei­hen­fol­ge kann durch­ein­an­der­ge­ra­ten sein u. v. m. Selbst ein Foto­pro­to­koll ist nur so objek­tiv wie der­je­ni­ge, der es erstellt hat – erweckt aber eben den Ein­druck von Objek­ti­vi­tät und erfor­dert m. E. gera­de des­we­gen häu­fig mehr Sorg­falt als ein „klas­si­sches“ Protokoll.

2 Replies to “Fotoprotokolle – kommentiert oder doch lieber unkommentiert?”

  1. Man kann Bil­der auch digi­tal zur Ver­fü­gung stel­len und die Teil­neh­mer zum Kom­men­tie­ren auf­for­dern. Sozu­sa­gen als nach­be­rei­ten­de Ver­tie­fungs­auf­ga­be. Hab ich schon gute Erfah­run­gen Mut gemacht!

    • Das klingt in der Tat inter­es­sant – bei wenig kon­flit­träch­ti­gen kann ich mir das als „Fort­set­zung“ des Grup­pen­pro­zes­ses gut vorstellen!

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