… oder warum wir vermutlich im Moment keine brauchen
Betrachte ich die Rezeption meines letzten Blog-Artikels, bin ich erstaunt: Wahrgenommen worden ist dieser Artikel offenbar vor allem als ein Artikel über „PowerPoint-Alternativen“.
So war er nicht gemeint – und m. E. brauchen wir für die „klassische“ Präsentation auch keine Alternativen zu PowerPoint.
PowerPoint (oder jedes andere vergleichbare Präsentationsprogramm1) ist selbst Mitte der Achtziger des letzten Jahrhunderts als eine Alternative entstanden – als Alternative zur handgemalten oder auf der (meist IBM-Kugelkopf‑)Schreibmaschine getippten Overheadfolie oder zum mühsam von professionellen Grafikern erstellten Dia – sehr anschaulich und aus erster Hand beschrieben von Robert Gaskins (<http://www.robertgaskins.com>), einem seiner geistigen Väter. Strukturell geändert hat sich dadurch am Präsentieren selbst erstaunlich wenig: Man zeigt eine Sequenz von rechteckigen2, meist leider sehr textlastigen Visualisierungen. Schon die Bezeichnungen – „Folie“ im Deutschen, „Slide“ („Dia“) im Englischen – lassen keinen Zweifel daran, welcher Prozess hier digitalisiert worden ist; viele Präsentationen sind „Folienschlachten“, die fast exakt genauso mit einem Overheadprojektor („OHP“) möglich wären. Selbst das sequenzielle Erscheinen einzelner Stichpunkte („bullet points“) war schon mit dem OHP möglich3 und ist in digital lediglich verspielter.
Fragt man sich, ob Alternativen zu PowerPoint sinnvoll sind, sollte man sich m. E. zuerst die Frage stellen, welche Innovation denn damit verbunden sein könnte – ohne Innovation erscheint mir die Suche nach Alternativen wenig sinnvoll; ohne echte Innovation ginge es nur darum, ein preiswerteres Produkt einzusetzen oder „aus Prinzip anders“ zu sein. Dazu kommt: Adressat einer Präsentation ist das Publikum, dort entsteht die Wirkung. Ein wirklich innovatives Präsentationsprogramm müsste also aus Sicht des Publikums erkennbar oder zumindest wirksam innovativ sein – und vor allem wirksamer.
Betrachten wir einmal, welche großen Innovationen bisher stattgefunden haben:
Aus Sicht des Präsentierenden war PowerPoint 1987 eine Revolution: Es ermöglichte dem Referenten, selbst und eigenständig Folien und Dias zu erzeugen, nicht mehr auf den Schreibdienst oder den Grafiker warten zu müssen. Vorlagen4, eine Clipart-Bibliothek und nicht zuletzt das damals noch sehr unübliche WYSIWYG ermöglichten es, die zuvor klare Grenze zwischen dem Referenten und dem Gestalter einzureißen – ein quasi emanzipatorischer Akt.
Es bedurfte jedoch einer weiteren Innovation, um die inzwischen geradezu inflationäre Verwendung von Präsentationen überhaupt erst möglich zu machen: Erst durch den Beamer wurde es möglich, weitgehend kostenneutral eine praktisch beliebige Menge „Folien“ zu zeigen. Müsste man heutzutage immer noch jede einzelne Folie für teures Geld auf physische Overheadfolien farbkopieren oder gar auf Dias belichten lassen – die meisten Präsentationen würden wohl viel weniger (und vermutlich noch deutlich vollere) Folien umfassen, viele Meetings kämen aus Kostengründen ohne Präsentation aus.
Zynisch könnte man zusammenfassen: PowerPoint hat ermöglicht, dass vollkommene Laien Kommunikationsdesign betreiben – und der Beamer hat ihnen ermöglicht, die Welt mit den Ergebnissen ihrer Gestaltungsversuche zu überschütten. Darüber hinaus hat sich strukturell gegenüber dem Overheadprojektor wenig geändert: Das Publikum starrt hoffentlich einigermaßen aufmerksam dem Redner lauschend auf in rechteckige Brocken gehacktes, mehr oder minder visuelles Denken.
Aus Sicht des Publikums ist die größte Innovation seit dem Overheadprojektor also vor allem eine quantitative: Es werden in einem größeren Teil (inzwischen im überwiegenden Teil) der Besprechungen Folien gezeigt und die einzelne Präsentation enthält mehr Slides. Die Digitalisierung selbst und ihre Möglichkeiten dürften – betrachtet man die Realität des Präsentierens – nur einen erstaunlich kleinen Unterschied machen: Die meisten Folien enthalten vor allem Text, den man auch auf einer Schreibmaschine hätte tippen und auf Folie hätte kopieren können, ohne einen deutlich anderen Effekt beim Publikum zu hinterlassen.
5 Nicht, dass PowerPoint nicht im Detail innovativ wäre: Innerhalb der Office-Familie war und ist PowerPoint an vielen Stellen die treibende Kraft der Entwicklung; PowerPoint 2016 bietet inzwischen so viel Funktionalität, dass ich es für fast keinen in der Präsentationsgestaltung anfallenden Arbeitsschritt zugunsten einer anderen Anwendung verlassen muss. Die Verbesserungen der letzten zwei Jahrzehnte sind allerdings eher evolutionär, eher im Detail und vor allem hauptsächlich auf den Prozess des (notwendigen) Erstellens, nicht den des (wirksamen) Haltens einer Präsentation ausgerichtet. Trotzdem: PowerPoint ist ein wahrhaft tolles Werkzeug zum Erstellen der visuellen Unterstützung eines Vortrags!
Bei aller Innovation im Detail: Wir starren auf Folien – rechteckig und im Format der jeweiligen Beamer-Generation. Daran hat nicht einmal das auf den ersten Blick so innovativ wirkende Prezi (<https://prezi.com>)6 bei genauerer Betrachtung erstaunlich wenig geändert: Sichtbar ist während eines Großteils der Präsentation jeweils nur ein folienartiger, durch das Format des Beamer-Bildes determinierter, rechteckiger Ausschnitt der gesamten Visualisierung; wird – wie es nach meiner Erfahrung bei den meisten Prezis der Fall ist – die Funktionalität des „Hineinzoomens“ nicht zum integralen Teil der Erzählstrategie, ist der Übergang zwischen den einzelnen statischen Zuständen eines Prezis auch nur ein besonders dynamisch geratener „Folienübergang“. Das bringt die Herausforderung m. E. auf den Punkt: Innovation des Präsentationswerkzeugs kann nicht heißen, auf noch eine andere Art letztlich doch nur Folien zu zeigen – das kann PowerPoint nach fast 30 Jahren der Reife ziemlich perfekt.
Innovativ wäre es, etwas wirklich anders zu machen. Microsoft Office Sway (<https://sway.com>, vgl. hier und hier) beispielsweise ist ein Präsentationsprogramm im weitesten Sinne, das tatsächlich etwas anders macht: Sway verfolgt nicht das Paradigma einer statisch gestalteten Folie, sondern stellt die Inhalte abhängig vom Endgerät unterschiedlich dar und folgt insofern eher der Idee eines „Markups“ der Information:
Ich persönlich positioniere Sway allerdings nicht als „klassisches“ Präsentationswerkzeug für Vorträge, sondern vielmehr als Werkzeug zum Erstellen von am Bildschirm gelesenen Präsentationen (vgl. hier). Sway ist insofern weniger eine Alternative zu PowerPoint – weniger ein alternatives Programm zur visuellen Unterstützung von Vorträgen – sondern m. E. vielmehr eine Software, die eine alternative Form der Kommunikation (ähnlich „Slidedocs“) unterstützt. Nutzt man Sway für „klassische“, vortragsbegleitende Präsentationen, determiniert ebenso wie im Falle von Prezi der Beamer das Format – das Publikum sieht letztlich wieder nur Slides.
Innovation kann aber m. E. auch nicht heißen, einfach nur weniger zu machen, sich funktional zu beschränken – ein Ansatz, wie ihn beispielsweise Haiku Deck verfolgt(e) (vgl. hier). Funktionen wegzulassen, damit sich der Präsentierende auf das Wesentliche beschränkt, erscheint mir inzwischen sinnlos, gar bevormundend: Ein guter Gestalter beschränkt sich sowieso auf das Wesentliche, benötigt aber auch dafür eine Vielzahl an Werkzeugen – und wer schmückendes Beiwerk mit Inhalt verwechselt, wird unabhängig vom Werkzeug keine wirksame Präsentation erstellen. Dazu kommt, dass unter dem Paradigma der Beschränkung entstandene Software dazu neigt, quasi zu degenerieren: Jede neue Version bringt eben doch neue Funktionen – sonst bräuchte ich ja kein Update (vgl. hier). Innovation wird dabei nur allzu häufig mit „mehr vom Selben“ verwechselt.
Echte Innovation in Richtung des Publikums ist – unabhängig vom Software-Werkzeug – sehr schwierig; der Beamer als Hardware-Werkzeug determiniert sehr stark die Darstellungsform. Wir brauchen m. E. keine alternativen Werkzeuge, sondern innovatives Präsentieren, innovatives Referieren – und das kann man nicht einfach kaufen und schnell mal eben installieren, sondern sich nur kreativ erarbeiten und mühsam lernen und üben.
Footnotes:
- ↑ Der Begriff „PowerPoint“ wird hier – sofern nicht von konkreten Tatsachen z. B. aus der Entwicklungsgeschichte des Programms die Rede ist – als Deonym für alle vergleichbaren Präsentationsprogramme verwendet.
- ↑ Früher häufig hochformatigen (Overhead-Folie), heutzutage praktisch immer querformatigen (Beamer als „Nachfolger“ des Diaprojektors).
- ↑ Meist durch Ab- bzw. Aufdecken von Teilen der Overheadfolie mit einem Blatt Papier.
- ↑ Von Robert Gaskins auf Basis seines offenbar riesigen Fundus an Overhead-Folien entworfen, Vgl. Gaskins, Robert, Sweating Bullets: Notes about Inventing PowerPoint (San Francisco and London: Vinland Books: 2012), S. 420.
- ↑ Nutzung mit Genehmigung von Microsoft.
- ↑ Betrachtet man Prezi rein technisch, wirkt es aufgrund der intensiven Nutzung von Adobe Flash auf mich übrigens eher überaltert als innovativ.
- ↑ Nutzung mit Genehmigung von Microsoft.
Ein Gedanke, der mir beim Lesen des Artikels kam war, ob die löangsam zur marktreife gelangenden VR-Brillen eine solche Innovation darstellen könnte. Von medizinischen Spaziergängen, über industriellen Produktbegehungen, bis hin zu … entstehen auf jeden Fall neue Erzählformen.
In der Tat – mit sinkendem Preis und damit zunehmender Verbreitung derartiger Technologien tun sich interessante Anwendungsfälle auf – das wird spannend! Letztlich ist aber auch dieser Ansatz erst einmal auf einen individuellen Rezipienten fokussiert, nicht auf ein Publikum – und insofern keine „Alternative“, sondern schlicht „etwas anderes“.