„Zu dem, was ich soeben über die Technik der Rede gesagt habe, möchte ich noch kurz bemerken, daß viel Statistik eine Rede immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.“
Kurt Tucholsky1
Was uns Kurt Tucholsky schon in seinen „Ratschläge[n] für einen schlechten Redner“ ans Herz legte – und das, ohne auch nur zu erahnen, welche Möglichkeiten und Verlockungen moderne Präsentationsprogramme Jahrzehnte später bereithalten würden – gilt heutzutage umso mehr: Große Mengen „Zahlen, Daten, Fakten“ („ZDF“) sind ein probates und vor allem auch verbreitetes Mittel, einen Vortrag (mittlerweile: „eine Präsentation“) für das Publikum so unangenehm wie möglich zu gestalten. Gerade die Prävalenz dieses Themas ist es – so unterstelle ich einfach mal –, die Stephan List (<http://toolblog.de>) dazu animierte, mir aus seinem Toolblog heraus ein „Blogstöckchen“ zuzuwerfen, das ich gern fange und auf dem ich hier ein wenig „herumkauen“ möchte.
„Viel Statistik“ hebe eine Rede „immer“ – so schrieb Tucholsky ironisch2. Dass häufig das Gegenteil der Fall ist, dürfte fast jeder bereits erlebt haben. Als Referent andererseits erscheint einem manchmal das Anführen von größeren Mengen „ZDF“ geradezu unumgänglich. Wie aber verhindert man dabei, das Publikum i. S. Tucholskys im Übermaß zu „beruhigen“?
Die erste Frage, die man sich m. E. stellen sollte, ist weniger die nach dem Wie, sondern vielmehr die nach dem Warum: Warum genau möchte ich eigentlich größere Mengen „Zahlen, Daten, Fakten“ präsentieren? Was bezwecke ich damit, welches Ziel habe ich – welche Wirkung auf das Publikum möchte ich dadurch erzielen? Meiner Erfahrung nach gibt es vier häufige Gründe für das Präsentieren von Daten:
- Ich glaube, etwas belegen bzw. beweisen zu müssen, …
- … ich möchte (meist möglichst vollumfänglich) informieren und eine Diskussion anregen, …
- … ich möchte etwas einleuchtend illustrieren oder …
- … ich halte es für nötig, etwas zu dekorieren.
Zumindest die ersteren drei Anliegen sind an sich vollkommen berechtigt – aber noch lange kein Grund, das Publikum mit Daten förmlich zu überschütten!
Zahlen und Daten
Meines Erachtens ist es für keines der erwähnten Anliegen notwendig oder auch nur zielführend, große Mengen Zahlenmaterial tatsächlich direkt zu präsentieren oder gar vorzulesen – und für die ersten beiden Zwecke meist nicht einmal hinreichend: Möchte ich etwas beweisen, muss ich mit Skepsis rechnen – der Platz auf der (PowerPoint‑)Folie ist aber praktisch immer zu klein, um durch das bloße Anführen von Daten auf der Folie einen skeptisch-kritischen Zuhörer überzeugen oder auch nur den interessiertesten Teilnehmer vollumfänglich informieren zu können. Ausgewählte Daten andererseits reichen für diesen Zweck nicht aus; präsentiere ich nur ausgewählte Daten, illustriere ich meine Schlussfolgerung eher als dass ich sie belege. Dementsprechend gilt m. E.: Daten i. S. von Tabellen oder komplexen Diagrammen gehören nicht in die Präsentation, sondern ins Handout – das man je nach Rahmenbedingungen und Dramaturgie dem Publikum vorab, während des Vortrags oder (m. E. am wenigsten ablenkend) anschließend zum genauen Studium zur Verfügung stellt.
Egal, ob es sich um eine Betriebswirtschaftliche Auswertung, eine Budgetplanung oder um Forschungsdaten handelt: Ein papiernes oder digitales3 Handout (vgl. hier) ist schlicht ein geeigneteres Medium als eine in 8‑Punkt-Schrift an die weit entfernte Wand geworfene Tabelle. Auch ein komplexes Diagramm mit mehreren womöglich nichtlinearen Skalen lässt sich besser verstehen, hält man es auf Papier in der Hand. Liefere ich die Daten als Handout, kann sich jeder in seinem individuellen „Datenverarbeitungstempo“ und in der jeweils gewünschten Tiefe mit dem Material beschäftigen – ohne Angst haben zu müssen, dass die Folie wechselt, bevor dieser Prozess abgeschlossen wurde. Am wichtigsten aber erscheint mir: Man kann nicht gleichzeitig lesen und zuhören (vgl. hier) – und das gilt auch für Zahlen! Folien voller Daten lenken nicht weniger vom eigentlichen Vortrag ab als Folien voller Text.
Wird der detaillierte Informationsbedarf des Publikums durch ein Handout gedeckt, verbleibt also die Aufgabe, die jeweiligen Kernaussage(n) durch ausgewählte Daten(visualisierungen) zu illustrieren. Leiten lassen sollte man sich m. E. auch hier von der Frage nach dem „Warum“, von einer klaren Zweckorientierung: Welche Kernaussage gilt es einerseits plakativ, andererseits unverzerrt durch pointiert herausgegriffene Daten zu unterstreichen? Reduziert man den Einsatz von Daten in der Präsentation auf diesen Zweck, reicht oftmals ein Minimum – z. B. eine vergleichende Darstellung durch ein auf wenige Balken reduziertes Diagramm oder manchmal gar eine einzelne Zahl. Ein wahrer Meister dieser maximal reduzierten Illustration von Sachverhalten ist Garr Reynolds (<http://www.garrreynolds.com>) – sehr schön zu sehen z. B. in diesem Video eines seiner Vorträge ab Minute 40:40 oder an einigen seiner „Sample slides“ auf Slideshare. Eine sehr einfache Möglichkeit, sich frühzeitig auf das Wesentliche zu beschränken, ist übrigens gerade im Zusammenhang mit Diagrammen das u. a. von Reynolds empfohlene Vorgehen, seine Präsentation erst einmal mit Papier und Stift zu entwerfen – auf diese Weise vermeidet man, den Verlockungen moderner Diagramm-Software bereits in einem frühen Stadium der Präsentationserstellung zu erliegen.
Wichtig sind nicht die nackten oder gar rohen Daten, sondern ihre Interpretation – ihre Bedeutung! Klar wird diese Bedeutung allerdings nur im Kontext; eine bloße Aneinanderreihung von Daten zeigt – egal, wie pointiert ausgewählt diese sind – meist wenig. Gleiches gilt aber selbst für die eigentlichen Sachverhalte – ohne „roten Faden“, ohne in den Kontext einer „Geschichte“ eingebettet zu sein, zerfallen auch empirisch perfekt untermauerte Aussagen zu zusammenhanglosen Puzzleteilen. Möchten Sie das Gesamtbild vermitteln, sollten Sie diese Puzzlestücke in eine strukturierte „Story“ gleichsam „verpacken“ – schön erklärt beispielsweise von Jonathan Schwabisch (<https://policyviz.com/>) in seinem Artikel „Applying Data to Story Structure“4.
Bei aller Reduktion dennoch (oder womöglich sogar gerade) wichtig ist die eigentliche Darstellung der Daten, die hohe Kunst der Datenvisualisierung – sowohl für die (reduzierte) Präsentation als auch für das (vollständige) Handout. Glücklicherweise ist zu diesem Thema schon viel Lesenswertes geschrieben worden: Eines der bekanntesten und m. E. besten Bücher zum Thema „Datenvisualisierung“ ist Edward Tuftes (<http://www.edwardtufte.com>) „The Visual Display of Quantitative Information“5. Unter <https://www.edwardtufte.com/bboard/q‑and-a-fetch-msg?msg_id=00040Z> finden sich Auszüge aus Tuftes Werken – u. a. zum (gerade in Präsentationen häufig anzutreffenden) „Chartjunk“ und dem sehr wichtigen Thema des Weglassens von Überflüssigem, nicht der eigentlichen Illustration Dienendem. Sehr gute Beispiele für gelungene Visualisierungen komplexer Zusammenhänge (und deren Einbettung in einen Kontext) liefert der vom leider kürzlich verstorbenen Hans Rosling initiierte Gapminder (<http://www.gapminder.org>); wie man auf Basis dieser (teilweise für eine Präsentation vergleichsweise komplexen) Datenvisualisierungen präsentiert, zeigen Roslings Vorträge (bspw. hier). Beispiele für ausgemacht schlechte Datenvisualisierungen sammelt übrigens – passend zum ja latent hunde-lastigen „Stöckchen werfen“ – der Bürohund Bella <https://bella-beraet.de>.
Fakten
Was für das „Z“ und das „D“ in „ZDF“ gilt, ist für das „F“ kaum anders: Endlose Aufzählungen von quantitativen oder qualitativen Fakten unterscheiden sich in ihrer Wirkung m. E. kaum von Zahlenkolonnen – und der Übergang ist ja häufig auch fließend: Die technischen Daten eines Produktes beispielsweise fallen meist in beide Kategorien. Ohne Kontext und nicht eingebettet in eine „Story“ wirkt ihre Aufzählung weder fesselnd noch handlungsauslösend – „erleuchtende“ Illustration benötigt Kontext, benötigt eine „Geschichte“, in der sich das Publikum wiederfindet und die dem Zuhörer die entscheidende Frage beantwortet: „Was hat das alles mit mir zu tun?“. Auch hier hilft vor allem Reduktion: Reduktion auf diejenigen Fakten, die man gleichsam wie auf einer Wäscheleine am „roten Faden“ aufhängen kann – diejenigen Fakten, mit denen sich eine in sich geschlossene, einprägsame und damit wirksame „Geschichte“ erzählen lässt. Am speziellen Beispiel des (IT-typischen) „What´s New“-Vortrags habe ich diesen Ansatz bereits hier ausgeführt – alles, was ich dort geschrieben habe, gilt m. E. für praktisch jedes „Fakten-Aufzähl-Problem“.
Weniger ist also auch beim Präsentieren von „Zahlen, Daten, Fakten“ mehr6 – und nicht zuletzt auch beim Herumkauen auf Blogstöckchen: Wäre an dieser Stelle schon alles gesagt – das Stöckchen wäre zerkaut und könnte nicht mehr weitergereicht und/oder aufgenommen werden!
Das Stöckchen
Update 02.08.2017: Stephan Lists „Blogstöckchen“ fruchtet – es wurde aufgenommen, weiter gekaut und es sind bisher zwei m. E. wirklich sehr lesenswerte Beiträge entstanden:
- Michael Gerharz: „Was tun bei hoher Faktendichte?“ <http://ueberzeugend-praesentieren.de/blog/was-tun-bei-hoher-faktendichte.html> (02.08.2017)
- Anke Tröder: „ZDF und UHU“ <https://teachandtrain.de/2017/07/20/zdf-und-uhu/> (02.08.2017)
Footnotes:
- ↑ Tucholsky, Kurt: Panter, Tiger und andere. Berlin: Volk und Welt 1957. Kap. 52. Digital u. a. zu finden unter <http://gutenberg.spiegel.de/buch/panter-tiger-und-andere-1193/52>.
- ↑ Ebenda.
- ↑ Dann könnte das Publikum mit der Tabelle womöglich gar selbst arbeiten!
- ↑ <https://policyviz.com/2017/03/22/applying-data-story-structure/>, archiviert am 01.05.2017 unter <http://www.webcitation.org/6q8WYoHFn>.
- ↑ Tufte, Edward R., The Visual Display of Quantitative Information (2nd ed. Cheshire, Connecticut: Graphics Press LLC, 2001).
- ↑ Für das Präsentieren i. A. sehr schön zusammengefasst von Peter Claus Lamprecht (@praesentare) unter <https://praesentare.com/weniger-ist-mehr>.