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Text und Bild – ein tolles Paar!

Tim Themann

Unser täg­li­ches Leben ist stark visu­ell geprägt. Schon auf einer kur­zen Fahrt mit der U‑Bahn​1 strö­men Unmen­gen visu­el­ler Rei­ze auf uns ein: unzäh­li­ge (meist hoch­gra­dig visu­el­le) Wer­be­bot­schaf­ten, dut­zen­de Pik­to­gram­me, (hof­fent­lich wohl­ge­stal­te­te) U‑Bahn-Netz­plä­ne und vie­les mehr. Rein flä­chen­mä­ßig über­wiegt das Visu­el­le gegen­über dem Tex­tu­el­len ein­deu­tig und prägt unse­re Rezep­ti­onshal­tung – und das nicht nur in der U‑Bahn, son­dern in gro­ßen Tei­len unse­res All­tags. Auf der Pro­duk­ti­onssei­te ande­rer­seits ver­hal­ten wir uns oft völ­lig anders: Vie­le unse­rer Doku­men­te sind gera­de­zu „Blei­wüs­ten“ und unse­re Prä­sen­ta­tio­nen oft extrem text­las­ti­ge „Slideu­ments“2Sketch­no­tes und Dood­les3 wer­den häu­fig eher belächelt​4. Offen­kun­dig gilt: Ein ernst­haf­ter Gedan­ke hat geschrie­ben zu sein!

Nun ist gegen sprach­lich expli­zier­te Gedan­ken m. E. wirk­lich nichts ein­zu­wen­den – um mit Lud­wig Witt­gen­stein zu spre­chen: „3.1 Im Satz drückt sich der Gedan­ke sinn­lich wahr­nehm­bar aus.“​5. Ande­rer­seits kam selbst der gro­ße Sprach­phi­lo­soph und Logi­ker nicht umhin, dem Bild­haf­ten eine gro­ße Bedeu­tung zu geben: „2.1 Wir machen uns Bil­der der Tat­sa­chen.“​6.

(Auch) Das Visu­el­le hat eine päd­ago­gisch-psy­cho­lo­gi­sche Bedeu­tung; es ist wirk­sam und das ist theo­re­tisch und expe­ri­men­tell ver­hält­nis­mä­ßig gut abge­si­chert. Die wohl ver­brei­tets­te Theo­rie zum Zusam­men­wir­ken vom Tex­tu­ell-Sprach­li­chen und Visu­el­len ist die auf Allan Pai­vio zurück­ge­hen­de „dual-coding theo­ry“ (DCT). Pai­vio pos­tu­liert, dass die mensch­li­che Kogni­ti­on (i. S. von „Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung“) in zwei unter­schied­li­chen „Sub­sys­te­men“ statt­fin­det: einem sprach­li­chen („ver­bal“) und einem nicht-sprach­li­chen bzw. visu­el­len („non­ver­bal (imagery)“)​7. Sprach­li­che und visu­el­le Infor­ma­tio­nen wer­den nach Pai­vio auf unter­schied­li­che Wei­se ver­ar­bei­tet und auf unter­schied­li­che Wei­se im Gedächt­nis gespei­chert, unter­schied­lich (als „logo­gens“ und „imagens“) reprä­sen­tiert und vor allem auch auf unter­schied­li­che Wei­se abge­ru­fen – und sind doch mit­ein­an­der refe­ren­ti­ell ver­bun­den und ermög­li­chen so beim Abruf und Ver­ar­bei­ten der Infor­ma­ti­on mul­ti­ple, unter­schied­li­che Zugänge.

Pia­vi­os Theo­rie erscheint mir extrem plau­si­bel – vor allem aber spre­chen vie­le Ergeb­nis­se päd­ago­gisch-psy­cho­lo­gi­scher und neu­ro­wis­sen­schaft­li­cher Unter­su­chun­gen und Expe­ri­men­te für sei­nen Ansatz​8Richard E. May­er kom­bi­nier­te spä­ter Pia­vi­os Theo­rie mit John Swel­lers „cogni­ti­ve load theo­ry“ zu einer „mul­ti­me­dia lear­ning theo­ry“ und konn­te ein­drucks­voll bele­gen, dass das Erin­nern und vor allem auch Ver­ar­bei­ten von Infor­ma­tio­nen umso bes­ser gelingt, je mehr mög­lichst ein­fach ver­ar­beit­ba­re Infor­ma­ti­ons­ka­nä­le (ins­be­son­de­re Spra­che und Bild gemein­sam) genutzt wer­den – das soge­nann­te „mul­ti­me­dia principle“9: „[…] peo­p­le who lear­ned from words and gra­phics pro­du­ced bet­ween 55 per­cent to 121 per­cent more cor­rect solu­ti­ons to trans­fer pro­blems than peo­p­le who lear­ned from words alo­ne.“​10.

Wenn Sie das nächs­te Mal für Ihren Hang zum Visu­el­len belä­chelt wer­den – ver­wei­sen Sie guten Gewis­sens auf Pai­vi­os „dual-coding theo­ry“ und May­ers „mul­ti­me­dia principle“.

Was Sie auf der ande­ren Sei­te nicht ver­ges­sen soll­ten: Es geht um dual-coding“, um das Zusam­men­wir­ken zwei­er For­men, Infor­ma­ti­on wei­ter­zu­ge­ben und auf der Emp­fän­ger­sei­te zu ver­ar­bei­ten, zu spei­chern und abzu­ru­fen. Ich erle­be erstaun­lich häu­fig, dass stark visu­ell ori­en­tier­te Men­schen (die die Welt natur­ge­mäß als viel zu tex­tu­ell-sprach­lich wahr­neh­men) qua­si „über­kom­pen­sie­rend“ in das ande­re Extrem – das aus­schließ­lich Visu­el­le – abglei­ten. Das ist m. E. nicht nur zu viel des Guten, son­dern eben­so fatal wie die erwähn­te „Blei­wüs­te“: Hilf­reich ist nicht das eine oder das ande­re, son­dern das eine und das ande­re – erst im (mög­lichst geziel­ten) Zusam­men­wir­ken von Spra­che und Bild ent­steht der qua­si addi­ti­ve Effekt des „dual-codings.“

Foot­no­tes:

  1.  Die Situa­ti­on, in der die meis­ten mei­ner Blog-Arti­kel-Ideen gebo­ren werden.
  2.  Eine typi­sche Prä­sen­ta­ti­ons-Folie ent­hält 30,8 Wör­ter, rund ein Fünf­tel aller Foli­en mehr als 50 Wör­ter. Vgl. „Visu­al Logor­rhea – On the Pre­va­lence of Slideu­ments“.
  3.  Vgl. <http://​the​dood​le​re​vo​lu​ti​on​.com>.
  4.  Und ich selbst bei­spiels­wei­se kri­ti­sie­re das Mindmapping.
  5.  Witt­gen­stein, Lud­wig: Trac­ta­tus Logi­co-Phi­lo­so­phi­cus. 8. Aufl. Lon­don: Rout­ledge & Kegan Paul Ltd. 1960, S. 44.
  6.  Eben­da, S. 38.
  7.  Vgl. James M. Clark, Allan Pai­vio: Dual coding theo­ry and edu­ca­ti­on. In: Edu­ca­tio­nal psy­cho­lo­gy review 3.3 (1991). S. 149 – 210.
  8.  Vgl. ebenda.
  9.  Ruth C. Clar­ke, Richard E. May­er: E‑learning and the sci­ence of ins­truc­tion. Pro­ven gui­de­lines for con­su­mers and desi­gners of mul­ti­me­dia lear­ning. 3. Aufl. San Fran­cis­co: John Wiley & Sons 2011. S. 79 ff.
  10.  Eben­da, S. 81.
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