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Zu viel des Guten

Tim Themann

Das eine oder ande­re Feed­back (vie­len Dank!) zu „War­um ist ’schö­nes Zeich­nen‘ wich­tig?“ rück­te (nicht zum ers­ten Mal) eine Pro­ble­ma­tik in mei­nen Fokus, die man als kon­trär zum Pro­blem des „lieb­los Zeich­nens und unle­ser­lich Schrei­bens“ begrei­fen kann: Es gibt auch „zu viel des Guten“ – es ist durch­aus mög­lich, ein Gespräch oder einen Vor­trag so umfang­reich und/​oder auf­wen­dig visu­ell zu beglei­ten, dass die Visua­li­sie­rung als Hand­lung den sprach­li­chen und visu­el­len Inhal­ten den Rang abläuft, von der Beglei­tung zum unfrei­wil­li­gen (Meta‑)​The­ma wird. Was für vor­ge­fer­tig­te Power­Point-Prä­sen­ta­tio­nen als „PP Phluff“​1 (Edward Tuf­te) – in der Regel bunt, mul­ti­me­di­al und mit wenig Bezug zum eigent­li­chen Inhalt – neben den erstaun­lich ver­brei­te­ten „Slideu­ments“ als Pro­blem wahr­ge­nom­men wird, kann ana­log eben­so auf White­board und Flip­chart ein Pro­blem wer­den: Auch mit „ana­lo­gen“ Mit­teln ist es mög­lich, über das Ziel hin­aus­zu­schie­ßen, vor lau­ter Begeis­te­rung für das Visu­el­le den Pro­zess des Visua­li­sie­rens den Inhal­ten über- und nicht unterzuord­nen oder gar gänz­lich den Bezug zum Inhalt zu verlieren​2. Die eige­ne inten­si­ve Beschäf­ti­gung mit Visua­li­sie­rungs­the­men, die Begeis­te­rung dafür, manch­mal ein­fach nur „die tol­len neu­en Stif­te“, sind ein­fach viel zu ver­lo­ckend – es ist schlicht­weg unwahr­schein­lich, dass mit einem begeis­ter­ten Men­schen nicht hin und wie­der die Pfer­de durch­ge­hen. Dar­über hin­aus ist das „Dosie­ren“ oft sowie­so schwie­rig – je nach Teil­neh­mer­kreis und des­sen Gewöh­nung an das Visu­el­le (ohne Power­Point) tritt eine „Über­do­sie­rung“ unter­schied­lich früh (oder spät) ein.

Wor­an nun merkt man (mög­lichst bereits im lau­fen­den Gespräch), dass man das Visua­li­sie­ren in einem Maße „über­do­siert“ hat, das die (Kommunikations‑)​Methode den zu kom­mu­ni­zie­ren­den Inhalt in der Wahr­neh­mung der Teil­neh­mer ver­drängt? Man könn­te jetzt ein­fach sagen: Spä­tes­tens, wenn Ihre Visua­li­sie­rung einem schwach struk­tu­rier­ten Wim­mel­bild gleicht, haben Sie es über­trie­ben – aber dann ist es sowie­so bereits um Klar­heit und Deut­lich­keit gesche­hen. Nach mei­ner Erfah­rung gibt es einen wirk­lich ein­fa­chen, früh­zei­tig erkenn­ba­ren Indi­ka­tor: Immer, wenn Teil­neh­mer bereits wäh­rend des Gesprächs oder Vortrags​3 das Visu­el­le auf der Meta-Ebe­ne zum The­ma machen, ist die Wahr­schein­lich­keit hoch, dass man „über­do­siert“ hat, dass die Betrach­tung des Visua­li­sie­rungs­pro­zes­ses zu einer Ablen­kung zu wer­den droht​4 – und man spä­tes­tens jetzt gegen­steu­ern und die „Dosie­rung“ redu­zie­ren sollte.

Falls Ihre Visua­li­sie­rung im Anschluss an Ihre Aus­füh­run­gen gelobt wird: Freu­en Sie sich und sei­en Sie stolz! Wird sie jedoch bereits wäh­rend­des­sen zum The­ma, haben Sie womög­lich Ihr eigent­li­ches The­ma „über­malt“. 

Foot­no­tes:

  1.  Tuf­te, Edward R.: The Cogni­ti­ve Style of Power­Point. Pit­ching Out Cor­rupts Within. 2. Aufl. 2006. Che­shire, Con­nec­ti­cut: Gra­phics Press 2006., S. 6. In Aus­zü­gen kos­ten­los unter <http://www.edwardtufte.com/bboard/q‑and-a-fetch-msg?msg_id=0001yB>, im Voll­text als preis­wer­ter Down­load unter <http://​www​.edwardtuf​te​.com/​t​u​fte/ebooks>.
  2.  Prin­zi­pi­ell ist sogar Tuf­tes „bureau­cra­cy of bul­lets“ (Tuf­te, a. a. O., S. 13.) eben­falls am Flip­chart rea­li­sier­bar – stört jedoch meist nicht, da sie in i. d. R. Ergeb­nis z. B. eines gemein­sa­men Brain­stor­mings ist und somit von den Teil­neh­mern völ­lig anders wahr­ge­nom­men wird.
  3.  In klas­si­schen Vor­trags-Situa­tio­nen ist dies lei­der nur sehr schwer zu bemer­ken – ach­ten Sie umso genau­er z. B. auf die Inhal­te von getu­schel­ten „Neben­ge­sprä­chen“.
  4.  Genau genom­men hat sie in genau dem Moment bereits den Pro­zess unter­bro­chen – lies: abgelenkt.
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