Nein, ich bin nicht „gegen“ „Smartboards“ (bzw. „Interaktive Whiteboards“1). Auch, wenn meine gelegentlich latent kulturpessimistischen Anmerkungen in Blog und Buch den Eindruck erwecken: Ich bin weder per se technologiefeindlich2 noch bin ich blind gegenüber den Potentialen dieses Werkzeugs. Ich bin allerdings (wie bspw. auch im Falle von PowerPoint) der Auffassung, dass das Werkzeug Werkzeug bleiben sollte – und ebenso wie jedes andere Werkzeug in der richtigen Weise von kundigen Händen für die richtigen Dinge eingesetzt werden sollte. Das scheint mir beim Smartboard – wie auch im Falle vieler anderer neuer Technologien – nicht immer der Fall zu sein.
Für den Einsatz jedes Werkzeugs sollten m. E. zwei „Prinzipien“ gelten:
- Das KISS- oder Sparsamkeitsprinzip: „Mache die Dinge so einfach wie möglich – aber nicht einfacher.“3. Auf den Werkzeugeinsatz übertragen heißt das, dass man keinen Aufsitztrasenmäher für einen 20‑m2-Vorgarten benötigt (also korrekt skalieren sollte) – und auch keinen Nivellier, wo eine Wasserwaage ausreichend wäre. Der Schlüssel zum sinnvollen Werkzeugeinsatz ist es m. E. vor allem, sich nicht wie Tim Taylor von der Begeisterung für die Technik mitreißen zu lassen, sondern pragmatisch das hinreichend effektive und angemessen effiziente Werkzeug einzusetzen. Im Falle des Smartboards – wie auch im Falle von PowerPoint und vieler anderer „neuer“ Technologien – beobachte ich stattdessen zwei Extreme: Maslows Hammer gleich wird es ungeachtet der Sinnhaftigkeit so viel wie möglich eingesetzt – oder aus purer, unreflektierter Technikfeindlichkeit (oft getarnt als „Technologiekritik“) schlichtweg links liegen gelassen und gar nicht eingesetzt. Beides erscheint mir kein sinnhafter, reflektierter Medieneinsatz zu sein.
- Das „Gelbe-Seiten-Prinzip“4 – in Anlehnung an die Gelbe-Seiten-Werbung: „[…] jemanden Fragen […], der sich damit auskennt.“. Ein Werkzeug zu benutzen, das man nicht beherrscht, endet beim Heimwerken womöglich in Überschwemmungen, Stromschlägen oder Bränden. Ein Smartboard bekommt der Nutzer bestenfalls nur nicht zum Laufen – schlimmstenfalls aber lenken Medieneinsatz oder Schwierigkeiten bei der Benutzung von den Inhalten ab; das Medium gerät in den Vordergrund und verdrängt die Inhalte. Werkzeuge in unkundigen Händen sind bestenfalls nur ineffizient, meist aber ineffektiv. Selbst in Meetings von IT-Spezialisten erlebe ich häufig lange, zeitraubende Kämpfe mit der überkomplexen Präsentationstechnik – ohne, dass diese dann später wirklich vollumfänglich sinnvoll für die Besprechung genutzt wird. Die Vielfalt der unterschiedlichen Bedienkonzepte und der ungedeckte Schulungsbedarf tun ihr Übriges, um den Smartboard-Einsatz häufig bereits von Beginn an zu einem reinen Zeitfresser degenerieren zu lassen.
Mein Kulturpessimismus in diesem Kontext ist also nicht Ergebnis von Technikfeindlichkeit, sondern spiegelt vielmehr wider, als wie schlecht adaptiert ich viele neue (und weniger neue) Kulturtechniken wahrnehme.
All das könnte ich fast wortgleich oder zumindest sehr ähnlich über PowerPoint schreiben (habe ich sogar vor einiger Zeit). Interessanterweise ist Derartiges meiner Erinnerung nach nie über den Overheadprojektor geäußert worden; eine relativ einfache Technik bietet einfach weniger Spielraum für die beschriebenen Probleme. Eine Glühbirne zu wechseln war einfach schneller erlern- und verstehbar als moderne Informationstechnik, und ein wohlverstandenes Werkzeug wurde offenbar gezielter eingesetzt – ein gutes Argument für das Sparsamkeitsprinzip, vor allem im Digitalen.
Hinzu kommt im Falle des Smartboards, dass es nicht nur wie ein Beamer für die Projektion und (über die Funktionalität des Beamers hinaus) für die Interaktion mit den Inhalten eingesetzt wird, es dient auch als Visualisierungswerkzeug – soll also nicht nur den Beamer, sondern auch das Whiteboard ersetzen. Dies gelingt nach meiner Erfahrung nur selten gut:
- Sehr viele Smartboards benötigen spezielle nur „digital schreibende“ „Stifte“, deren Position auf der Zeichenfläche durch Triangulation über den Abstand relativ zu drei in den Ecken befindlichen Sensoren bestimmt wird.
Diese Positionsbestimmung ist naturgemäß nicht wirklich exakt; einige Modelle erfordern gar eine regelmäßige Kalibrierung. In der Praxis „schreibt“ der „Stift“ deswegen häufig nicht genau da, wo er auf die Oberfläche gesetzt wurde – beim Zeichnen oder Schreiben ausgesprochen irritierend und unpraktisch. Zudem beschränkt das Benutzerinterface (meist vier „Stifte“ für vier Farben) gegenüber dem Whiteboard oder gar dem (Flipchart‑)Papier extrem, kann man doch z. B. kaum trivial ein digitales Äquivalent zu unterschiedlichen Stiften, Kreiden, Wachsmalblöcken o. ä. einsetzen. Eine geeignet flexible Software vorausgesetzt, wäre dies natürlich möglich – hier kommt aber ein bereits zuvor erwähntes Problem zum Tragen: - Wirklich flexible Visualisierungs-Software ist ungleich komplexer als eine Kiste voller unterschiedlicher Stifte, Kreiden etc. – und dementsprechend schwieriger zu bedienen. Im Falle von Flipchart oder Whiteboard hingegen kommen lediglich „echte“ Stifte zum Einsatz – die zu halten und zu verwenden die meisten Menschen bereits lange vor Beginn ihrer Schullaufbahn als Kind gelernt haben. Zur korrekten „Bedienung“ von Flipchart und Whiteboard muss man lediglich noch lernen, die jeweils richtigen Stifte zu verwenden – mehr braucht es nicht!
Manchmal sind ein Stück Papier, Flipchart oder ein Whiteboard nebst geeigneten Stiften nicht nur hinreichend, sondern sogar die pragmatisch bessere Wahl – eine smarte Wahl.
Footnotes:
- ↑ „Smartboard“ wird hier als Deonym für Interaktive Whiteboards aller Art verwendet; der Artikel bezieht sich keinesfalls (nur) auf die gleichnamige Produktreihe des Herstellers Smart Technologies – m. E. durchaus legitim, hat es diese deonymische Ableitung doch inzwischen sogar (interessanterweise bar jeden Verweises auf ihren deonymischen Charakter) in den Duden geschafft.
- ↑ Das wäre bei der Ausübung meiner eigentlichen Profession auch ein wenig hinderlich.
- ↑ Ein Albert Einstein zugeschriebenes Zitat – nach meinem Eindruck hätte Einstein allerdings selbst im Schlaf kontinuierlich reden müssen, hätte er alle ihm zugeschriebenen Äußerungen Zeit seines Lebens wirklich getätigt.