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Visualisiert ist nur, was sichtbar ist

Tim Themann

„Visua­li­siert ist [nur], was man sieht […]“1 – so hör­te ich es vor eini­ger Zeit im Rah­men der Kan­ban Com­mu­ni­ty Days 2021 von Micha­el Mahl­berg und Falk Küh­nel wäh­rend sei­nes auch ansons­ten sehr erhel­len­den Vor­trags „Was ist eigent­lich aus dem L‑Wort gewor­den?“. Die­se Aus­sa­ge ist m. E. abso­lut rich­tig – denn wie auch soll­te eine ver­steck­te Visua­li­sie­rung irgend­ei­ne Wir­kung ent­fal­ten kön­nen? Bin­sen­weis­hei­ten sind oft­mals erstaun­lich wei­se, und beson­ders rele­vant erscheint mir die­se eigent­li­che Tri­via­li­tät im Zusam­men­hang mit Kan­ban zu sein: Ist das Kanban-(oder auch Kimi­shi­bai-)Board gleich­sam ver­steckt in den Tie­fen des PCs – exis­tiert es gar nicht phy­sisch, son­dern nur in Form einer Soft­ware –, hat es eben nicht die Omni­prä­senz eines phy­si­schen Boards, kann es viel ein­fa­cher ver­ges­sen oder gar igno­riert wer­den. Bei genaue­rer Betrach­tung dürf­te ein „ver­steck­tes“ Soft­ware-Kan­ban-Board gar kei­ne wirk­li­che Umset­zung der Kan­ban-Prak­tik „visua­li­sie­re [alle Arbeit]2 sein​3. Ist das Kan­ban-Mee­ting nun auch noch kein „Dai­ly“, son­dern – aus womög­lich guten Grün­den – sel­te­ner ange­setzt, kann man sich (bewusst oder unbe­wusst) dem Blick auf das Board, dem Blick auf die Arbeit und deren Fort­schritt, weit­ge­hend ent­zie­hen. Die Wir­kung der Prak­tik „visua­li­sie­re [alle Arbeit]“ kann dann nicht mehr eintreten.

Das Kan­ban-Board an der Büro­wand hat also ver­mut­lich vie­le Vor­tei­le. Auf der ande­ren Sei­te sind phy­si­sche Kan­ban-Boards in Zei­ten hybri­den Arbei­tens natur­ge­mäß nicht beson­ders inklu­siv; wer im Home­of­fice oder mobil arbei­tet, ist von der Sicht auf ein phy­si­sches Board abge­schnit­ten – die Visua­li­sie­rung ist nicht nur nicht omni­prä­sent, son­dern sogar weit­ge­hend unzugänglich.

Objektpermanenz

Objekt­per­ma­nenz ist die kogni­ti­ve Fähig­keit, zu wis­sen, dass etwas wei­ter­hin exis­tiert, auch wenn man es gera­de nicht wahr­nimmt. Men­schen erwer­ben die­se Fähig­keit sehr früh, womög­lich begin­nend in den ers­ten Lebensmonaten.

Den­noch ist das Kon­zept „Ich sehe Dich nicht, Du siehst mich auch nicht [exis­tierst womög­lich also gar nicht].“ auch in höhe­rem Lebens­al­ter nicht wenig ver­brei­tet – bei­spiels­wei­se beim Ver­steck­spiel von Kin­dern oder aber mei­ner Erfah­rung nach auch bei Men­schen belie­bi­gen Alters, sofern es gera­de genehm ist. Kurz: Ist die Arbeit nicht offen­kun­dig sicht­bar und nicht wirk­lich erwünscht, ist die Wahr­schein­lich­keit hoch, dass sie – zumin­dest teil­wei­se i. S. von „Rosi­nen picken“ – schlicht „weg-igno­riert“ wird.

Kommt man aber in der für vie­le neu­en hybri­den Arbeits­welt nicht um ein vir­tu­el­les Kan­ban-Board her­um – was kann man tun, um trotz­dem für Sicht­bar­keit i. S. der Kan­ban-Prak­tik „visua­li­sie­re [alle Arbeit]“ zu sorgen?

Die Arbeit ans Licht zerren

Ist das Board nicht phy­sisch mehr oder min­der omni­prä­sent, soll­te man es zumin­dest vir­tu­ell mög­lichst prä­sent machen: Die Soft­ware bzw. den URL beim Anmel­den am Sys­tem und/​oder beim Start des Web-Brow­sers auto­ma­tisch zu starten4, ist ver­gleichs­wei­se unauf­wän­dig. Jetzt könn­te man natür­lich ein­wen­den, dass sich so ein zwangs­wei­se geöff­ne­tes Fens­ter ja auch pro­blem­los ein­fach schlie­ßen lässt, das Schlie­ßen des Fens­ters nach weni­gen Tagen womög­lich schon fast zum Reflex wird. Den­noch: Das wäre zumin­dest ein bewuss­ter Akt; das Board und die Arbeit auf die­se Wei­se ans Licht zu zer­ren ist ein­fach und schnell zu rea­li­sie­ren und m. E. auf jeden Fall einen Ver­such wert! Ob der Ein­fach­heit die­ser Maß­nah­me erstaunt mich wirk­lich, wie sel­ten ich sie umge­setzt sehe.

Kann die Sicht auf das Board in kon­ti­nu­ier­lich genutz­te Arbeits­werk­zeu­ge ein­ge­bet­tet wer­den – z. B. Micro­soft Plan­ner in Micro­soft Teams – soll­te das auch getan wer­den, auch so lässt sich die Sicht­bar­keit ein wenig erhö­hen. Ob und inwie­weit auto­ma­ti­sier­te Sta­tus-Nach­rich­ten der Kan­ban-Soft­ware per E‑Mail oder Chat die Sicht­bar­keit erhö­hen, erscheint mir frag­lich: Zum einen wer­den regel­mä­ßi­ge Nach­rich­ten oft nach kur­zer Zeit igno­riert, zum ande­ren bie­ten sol­che „Noti­fi­ca­ti­ons“ kei­ne Sicht auf alle Arbeit, kön­nen also den Blick auf das Kan­ban-Board nicht ersetz­ten – im Gegen­teil, die meist klein­tei­li­ge und auf ein­zel­ne Per­so­nen bezo­ge­ne Sicht sol­cher Benach­rich­ti­gun­gen könn­te sogar kon­tra­pro­duk­tiv sein.

Die Zugänglichkeit erhöhen

Alles, was eine Nut­zung des Boards erschwe­ren könn­te, soll­te aus dem Weg geräumt wer­den; die Nut­zung soll­te von über­all und mög­lichst ein­fach mög­lich sein – frei nach dem Mot­to „kei­ne Entschuldigungen“:

Auch wenn ein digi­ta­les Kan­ban-Board wohl nie die Omni­prä­senz eines Bords an der Büro­wand erreicht: Es gibt offen­bar vie­les, was man tun kann, um es sicht­ba­rer und zugäng­li­cher zu machen – und es lohnt sich m. E., dar­ein Zeit zu inves­tie­ren, denn „visua­li­siert ist nur, was sicht­bar ist.“

Ich ver­mu­te stark, dass mei­ne Ideen­samm­lung in die­sem Arti­kel höchst unvoll­stän­dig ist – über Ergän­zun­gen, Anmer­kun­gen und Berich­te aus der Pra­xis in den Kom­men­ta­ren wür­de ich mich freuen!

Foot­no­tes:

  1.  […] nicht, was man sehen könnte!“
  2.  „Alle Arbeit“ ist eine Ergän­zung, die ich beim Erläu­tern der Prak­tik für extrem hilf­reich hal­te: Eine Visua­li­sie­rung nur eines Teils der Arbeit ermög­licht ein­fach kein wirk­li­ches Manage­ment der Arbeit, führt gar zu einem fal­schen Ein­druck und dar­aus resul­tie­ren­den Fehlern.
  3.  Ver­mut­lich vor allem nicht, wenn ein Ticket-Sys­tem als Kan­ban-Board mehr oder min­der gelun­gen zweck­ent­frem­det wird (vgl. hier).
  4.  Bei­spiels­wei­se über eine Grup­pen­richt­li­nie oder ver­gleich­ba­re Mecha­nis­men. Im Fal­le von Micro­soft Teams und Micro­soft Plan­ner lässt sich das Plan­ner-Board übri­gens über einen „deep link“ direkt ansteuern.
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