„Warten üben“, „Warten erleben“ sollte vielleicht auf der Agenda eines jeden Trainings mit agilem Schwerpunkt stehen. Der längere Aufenthalt in Wartezimmern ist einfach erstaunlich erhellend. Eine der ersten Erkenntnisse1, die man dort „auf die harte Tour“ lernt, ist meiner Erfahrung nach:
Praktisch jedes Arbeitssystem ist
für jemand anders ein Wartesystem.
Was das bedeutet und wie wichtig dabei Transparenz (nicht ohne Grund einer der neun Werte von Kanban2) ist, erlebt man wohl kaum irgendwo prägnanter als im Wartezimmer z. B. einer Notaufnahme:
- Für alle, die einen Kittel oder ähnliches tragen, handelt es sich um ein Arbeitssystem.
- Diejenigen, die sich entnervt durch den abgegriffenen Zeitschriftenstapel wühlen, würden ein und dasselbe System sicherlich eher als ein Wartesystem beschreiben.
- Alle Menschen im Wartezimmer versuchen, aus Beobachtung des Systems irgendwie zu antizipieren, wie lange es wohl noch dauern wird – meist vergeblich, denn aus Sicht des Wartenden ist das System naturgemäß weitgehend intransparent: Weder vermögen die Patienten die Priorisierung (Triage) fachlich nachzuvollziehen, noch stehen ihnen die dafür notwendigen Informationen zur Verfügung. Das ist übrigens im technischen Support nicht anders, erschwerend kommt in diesem Fall allerdings hinzu, dass der Kontakt telefonisch ist und dementsprechend nicht einmal der „Füllstand“ des „Wartezimmers“ bekannt ist3. Transparenz nach außen herzustellen, ist einfach schwierig – egal, ob es sich um eine medizinische Triage auf Basis von Befundung und Anamnese oder eine Erwägung z. B. des „Costs of delay“ handelt.
- Die fast zwangsläufige Intransparenz führt zu Unzufriedenheit (ein großes Thema von Kanban, insbesondere von STATIK4) und im Falle der Notaufnahme sogar erstaunlich häufig zu Aggression5.
Transparenz ist also offenkundig nicht nur intern aus der Perspektive eines Arbeitssystems extrem wichtig, sondern auch quasi extern aus der Sicht eines Wartesystems – verbessert nicht nur („intern“) die Zusammenarbeit und den Arbeitsfluss, sondern auch „extern“ und gänzlich unabhängig von der tatsächlichen (Fluss‑)Effizienz des Systems (!) die Zufriedenheit. Denken Sie daran – nicht nur, wenn Sie das nächste Mal im Wartezimmer vergeblich zu erraten versuchen, wann Sie wohl an der Reihe sind!
Footnotes:
- ↑ Ich habe keine Ahnung, warum ich dieses Thema bei dem ersten Artikel zu dieser Metapher ausgelassen habe.
- ↑ Vgl. bspw. <https://blog.agendashift.com/2013/01/03/introducing-kanban-through-its-values/> (12.11.2018), archiviert am 12.11.2018 unter <http://www.webcitation.org/73siTGY6p> bzw. auf Deutsch <https://web.archive.org/web/20170227012234/http://www.software-kanban.de/2013/01/kanban-durch-seine-werte-einfuhren.html> (12.11.2018).
- ↑ Es sei denn, die Telefon-Warteschleife sagt diesen an – ein sicherlich löblicher Versuch, die Transparenz ein wenig zu erhöhen.
- ↑ „Systems Thinking Approach to Implementing Kanban“, vgl. <https://www.linkedin.com/pulse/statik-systems-thinking-approach-implementing-kanban-david-anderson> (12.11.2018), archiviert am 12.11.2018 unter <http://www.webcitation.org/73siOvOOZ>.
- ↑ Vgl. bspw. <https://www.stern.de/gesundheit/notaufnahme – darum-pruegeln-sich-immer-mehr-patienten-im-krankenhaus-7133426.html> (12.11.2019).