„Man nehme …“ – noch mehr zur Canvas-Methoden-Kritik

Aller guten Din­ge sind drei – und so muss ich mei­ne bis­he­ri­gen kri­ti­schen Aus­füh­run­gen (vgl. hier und hier) zum „visu­el­len Denk­werk­zeug“ ‚Can­vas‘ doch noch durch einen Drit­ten Arti­kel ergän­zen. Blog­gen ist für mich häu­fig eine „all­mäh­li­che Ver­fer­ti­gung der Gedan­ken beim“1 Schrei­ben – des­we­gen braucht es manch­mal mehr als einen Arti­kel, bis der Gedan­ke eini­ger­ma­ßen voll­stän­dig ist.

Ein Can­vas, das mir erstaun­lich gut gefällt, ist das Value Pro­po­si­ti­on Canvas​2: Die bear­bei­te­te Fra­ge­stel­lung ist kom­pakt genug, um eine gewis­se Voll­stän­dig­keit des „For­mu­lars“ anneh­men zu kön­nen (die Aus­wahl der „Fel­der“ daher also ver­gleichs­wei­se unpro­ble­ma­tisch, vgl. hier) und die Ter­mi­no­lo­gie ist ver­gleichs­wei­se klar (vgl. hier). Dazu kommt: Der Kern­ge­dan­ke die­ses Can­vas‘ ist ein­leuch­tend, rele­vant und eini­ger­ma­ßen ver­lust­frei in die hoch­kom­pak­te Dar­stel­lungs­form eines „For­mu­lars“ überführt.

Begin­ne ich nun aber, mit die­sem eher ein­fa­chen Can­vas inten­si­ver zu arbei­ten, fällt mir sofort eine Pro­ble­ma­tik auf, die mir ergän­zend zu mei­ner bis­he­ri­gen Kri­tik eben­falls erwäh­nens­wert erscheint: Bei der Umset­zung des gedank­li­chen Kon­zepts in „Can­vas-Form“ ist die eigent­lich klar deter­mi­nier­te Abfol­ge der Denk­schrit­te ver­lo­ren gegan­gen, die Visua­li­sie­rung begüns­tigt womög­lich sogar eine logisch wenig sinn­vol­le „Denk­rei­hen­fol­ge“. Gera­de am Value Pro­po­si­ti­on Can­vas wird dies deut­lich: Betrach­tet man nur das „For­mu­lar“, ist nicht wirk­lich vor­ge­ge­ben, in wel­cher Rei­hen­fol­ge man die sechs „Fel­der“ sinn­vol­ler­wei­se bear­bei­tet. Geht man in Lese­rich­tung vor, ent­steht eine dem eigent­li­chen „Denk-Kon­zept“ völ­lig ent­ge­gen­ge­setz­te Reihenfolge:

Value Proposition Canvas – "natürliche" Bearbeitungsreihenfolge in Leserichtung
Value Pro­po­si­ti­on Can­vas – „natür­li­che“ Bear­bei­tungs­rei­hen­fol­ge in Leserichtung

Zuerst über das Pro­dukt und erst danach über den Kun­den, sei­ne Her­aus­for­de­run­gen und „Schmer­zen“ sowie den poten­ti­el­len Wert des Pro­duk­tes für eben­die­sen Kun­den nach­zu­den­ken, ist m. E. das abso­lu­te Gegen­teil des Denk­pro­zes­ses und der Hal­tung, die die­ses Can­vas unter­stüt­zen soll. Die bei­spiels­wei­se in dem Video unter <https://​stra​tegy​zer​.com/​c​a​n​v​a​s​/​v​a​l​u​e​-​p​r​o​p​o​s​i​t​ion-canvas> vor­ge­schla­ge­ne „Denk-Rei­hen­fol­ge“ erscheint mir viel sinn­vol­ler – erschließt sich aber aus dem „For­mu­lar“ keinesfalls:

Value Proposition Canvas – eigentlich vorgesehene Bearbeitungsreihenfolge
Value Pro­po­si­ti­on Can­vas – eigent­lich vor­ge­se­he­ne Bearbeitungsreihenfolge

Das Value Pro­po­si­ti­on Can­vas ist der Form nach also eher zum „Lesen“ des „Denk-Ergeb­nis­ses“ als zur Unter­stüt­zung von des­sen Ver­fer­ti­gung gedacht: In Lese­rich­tung erzählt ergibt sich mög­li­cher­wei­se eine schö­ne „Mar­ke­ting-Sto­ry“​3, in Lese­rich­tung aus­fül­len soll­te man das „For­mu­lar“ aber auf kei­nen Fall. Nutzt man es intui­tiv in Lese­rich­tung, bricht es kei­nes­falls mit „klas­si­schen“ Denk­struk­tu­ren („Pro­dukt → Markt“), das gedank­lich „Neue“ („Kun­de → Pro­dukt“​4) kommt nicht zum Tra­gen. Offen­bar gilt selbst für ein ver­gleichs­wei­se ein­fa­ches Can­vas: Ohne Anlei­tung, ohne bei­spiels­wei­se „das Buch zum Can­vas“, bleibt nur eines übrig: Ein hüb­sches For­mu­lar. Schlim­mer noch: In die­sem spe­zi­el­len Fall scheint das Can­vas iso­liert betrach­tet sogar das Gegen­teil der Gedan­ken­welt, aus der es her­vor­ging, zu begünstigen.

Um mich erneut der kuli­na­ri­schen Meta­pher zu bedie­nen: Iso­liert und ohne eine beglei­ten­de Anlei­tung betrach­tet, ist ein Can­vas wie ein Koch­re­zept, das zwar alle Zuta­ten auf­lis­tet, aber jed­we­de Anwei­sung zur Zube­rei­tung ver­mis­sen lässt. Das mag mit Tüten­sup­pen funk­tio­nie­ren, hat man jedoch meh­re­re Zube­rei­tungs­schrit­te, ist eine kla­re Dar­stel­lung der Schrit­te und ihrer Rei­hen­fol­ge offen­kun­dig unerlässlich.

Update 21.01.2019: Die Aus­füll- bzw. Denk­rei­hen­fol­ge qua­si ent­ge­gen der „Lese­rich­tung“ ist übri­gens inzwi­schen auch The­ma von Tweets5 und einem Blog-Arti­kel6 der Stra­tegy­zer AG (https://​stra​tegy​zer​.com).

Foot­no­tes:

  1.  Hein­rich von Kleist.
  2.  Vgl. bspw. <https://​stra​tegy​zer​.com/​c​a​n​v​a​s​/​v​a​l​u​e​-​p​r​o​p​o​s​i​t​ion-canvas> (16.01.2018).
  3.  Auch die wür­de ich per­sön­lich aller­dings ver­mut­lich anders­her­um erzählen.
  4.  Mir ist bewusst, dass das eine extre­me Tri­via­li­sie­rung ist. Sie dient hier ledig­lich der poin­tier­ten Illus­tra­ti­on und soll kei­nes­falls die „Kurz­fas­sung“ eines Kon­zepts darstellen.
  5.  Bspw. <https://​twit​ter​.com/​s​t​r​a​t​e​g​y​z​e​r​/​s​t​a​t​u​s​/​1​0​8​3​3​1​1​9​9​4395156485> (21.01.2019).
  6.  Vgl. <https://​blog​.stra​tegy​zer​.com/​p​o​s​t​s​/​2​0​1​8​/​1​/​1​7​/​p​r​o​b​l​e​m​-​v​s​-​s​o​l​u​t​i​o​n​-​i​n​-​c​u​s​t​o​m​e​r​-​interviews> (21.01.2019).

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