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„Bierdeckel“: Planungshorizonte – oder: „Was die Zukunft bringt“

Tim Themann

In der Poli­tik scheint mir das „Das erklär‘ ich auf einem Bier­de­ckel …“ ja eher Aus­druck mehr oder min­der popu­lis­ti­scher (Über‑)​Simplifizierungen zu sein, vie­len Über­sim­pli­fi­zie­run­gen liegt die Annah­me zugrun­de, man wis­se, was die Zukunft brin­ge – was liegt also näher, als einen Bier­de­ckel zu nut­zen, um zu erklä­ren, dass dem nicht so ist?

Man muss gar nicht das m. E. momen­tan über­stra­pa­zier­te VUCA-Konzept​2 bemü­hen, um zu die­ser Erkennt­nis zu gelan­gen, man kann es auch tri­vi­al aus­füh­ren: Je län­ger mein Weg ist, des­to mehr Unwäg­bar­kei­ten begeg­nen mir am Weges­rand – Fak­to­ren, die ich meist nur begrenzt ein­schät­zen wenn nicht gar schlicht über­se­hen kann.
Anders for­mu­liert: Je wei­ter ich in die Zukunft schaue, des­to nebu­lö­ser wird es​3

… und das hat natür­lich Ein­fluss auf die Grö­ße des sinn­vol­len Pla­nungs­ho­ri­zonts (Stift – im Dis­kurs nach rechts oder links verschiebbar):

Nun mag die Tat­sa­che, dass man nur bis zu einem bestimm­ten Punkt sinn­voll [exakt bzw. voll­stän­dig] pla­nen kann, tri­vi­al erschei­nen – akzep­tiert wird sie aber den­noch erstaun­lich sel­ten. Des­we­gen lohnt es sich häu­fig, zu einem zwei­ten „Bier­de­ckel“ (oder Flip­chart-Blatt o. ä.) zu grei­fen und die Aus­sa­ge noch ein­mal posi­tiv zu for­mu­lie­ren: Je wei­ter ich in der Zeit fort­schrei­te, des­to mehr Mög­lich­kei­ten bie­ten sich (und haben sich ent­lang des Weges geboten):

Für Ter­ry Prat­chett-Fans: Die „Hose der Zeit“​4 hat nicht nur zwei Beine​5, es ist eher, als klei­de man einen Tau­send­füß­ler ein.

An die­ser Stel­le modi­fi­zie­re ich die Zeich­nung gern zur Dis­kus­si­on eines wei­te­ren Aspekts: Das Ziel als Punkt zu defi­nie­ren, erscheint auf ein­mal nicht mehr sinn­voll, eine Ziellinie viel flexibler:

Defi­nie­re ich das Ziel über-kon­kret, las­se ich zu vie­le a‑prio­ri-Annah­men über den Weg ein­flie­ßen – defi­nie­re ich es „punkt­för­mig“ – schlie­ße ich womög­lich Abzwei­gun­gen und Alter­na­ti­ven am Weges­rand von vorn­her­ein aus oder neh­me sie auf mei­nem Weg gar nicht erst wahr. Das Ziel mög­lichst abs­trakt zu for­mu­lie­ren, ohne es sei­nes Kerns zu berau­ben – auf eine Ziellinie zuzu­hal­ten – schärft die Wahr­neh­mung für Alter­na­ti­ven und macht die Mög­lich­kei­ten des Künf­ti­gen nutzbar.

Jetzt habe ich aus­nahms­wei­se zwei „Bier­de­ckel“ voll­ge­krit­zelt – aber immer­hin nicht (womög­lich auch noch geprägt vom zu den Deckeln gehö­ri­gen Getränk) meist wenig ope­ra­tio­na­li­sier­bar von einer „VUCA-Welt“ schwa­dro­nie­ren müs­sen, um die Kern­aus­sa­ge zu transportieren.

Foot­no­tes:

  1.  Dan Roam erklärt „auf der Ser­vi­et­te“. In Deutsch­land sind es eher Bier­de­ckel – wobei die deut­lich häu­fi­ger bedruckt und damit unprak­ti­scher sind als Servietten.
  2.  Vola­ti­li­ty, uncer­tain­ty, comple­xi­ty and ambi­gui­ty.
  3.  Aus Grün­den der Optik hier übri­gens Rot­wein und nicht Bier. Auf einem ech­ten Bier­de­ckel könn­te man die Zukunft ggf. auch mit Bier ver­wi­schen und sich anschlie­ßend rüh­men, Zufalls­tech­ni­ken für die Visua­li­sie­rung ein­ge­setzt zu haben.
  4.  Vgl. <https://​www​.the​di​sc​world​.de/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​/​H​o​s​e​n​b​e​i​n​e_der_Zeit> (29.09.2019).
  5.  In Prat­chetts Meta­pher scheint sich mir übri­gens wie­der ein­mal unser abend­län­di­scher Hang zu Dua­lis­men zu manifestieren.
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