IT-Spezialisten wird gemeinhin unterstellt, eher „verkopft“ zu sein. Obgleich das Klischee vom sich von Pizza und Cola ernährenden soziophoben Einzelgänger meiner Erfahrung nach heutzutage wirklich alles andere als zutreffend ist (und wohl auch nie wirklich zutreffend war), ist das, was ich gern als „Stuhlkreis-Allergie“ bezeichnen würde, unter ITlern weit verbreitet: Bei der Anwendung von typischen Moderationsmethoden sollte man in der IT-Branche äußerst behutsam vorgehen; die Begeisterung für „gruppendynamische Spielchen“ hält sich in aller Regel doch sehr in Grenzen.
Eine Methode, die nach meines Erachtens trotzdem recht problemlos anwendbar ist, ist das Brainstorming nach Alex F. Osborn und Charles Hutchinson Clark. Obwohl die Methode als Kreativitätstechnik1 in ihrer Wirksamkeit durchaus umstritten ist2, ist sie nach meiner Erfahrung gerade für Gruppen eher „verkopfter“ Menschen sehr geeignet: Die klare Trennung zwischen der Phase der Ideenfindung, in der keinerlei Bewertung oder Kommentierung stattfindet, und der Phase des Sortierens und Bewertens ermöglicht auch eher „vergeistigten“ Teilnehmern, ihrer Kreativität freien Raum zu lassen, ohne durch eher analytisch orientierte Gedanken behindert zu werden. Das gemeinsame „Loslassen“ der Gedanken in der Gruppe reduziert zudem die Hemmungen, auf das Analytisch-Intellektuelle zu verzichten – eine kreative Dynamik entsteht.
Als ITler fragt man sich naturgemäß bei praktisch jeder Arbeitsmethode, wie diese am besten durch Software zu unterstützen ist – ist es doch unsere vorrangige Aufgabe, die Arbeit der Menschen technisch zu unterstützen! Nur allzu häufig passt sich hierbei jedoch der Mensch (und die Arbeitsmethode) der Technik an – manchmal mit einem durchaus positiven Rationalisierungseffekt, manchmal jedoch auch unter (häufig fatalem) Verbiegen der Menschen und Methoden.
Sucht man für das Brainstorming nach softwaregestützten Alternativen zu Moderationskarten und Pinnwand, stößt man an erster Stelle auf Mindmapping-Werkzeuge – nicht nur, dass Mindmapping oft als für Brainstorming geeignete Methode propagiert wird, Mindmapping-Software wird auch häufig explizit für diesen Zweck vermarktet und bietet mehr oder minder spezifische Anpassungen dafür. Mindmapping und Brainstorming werden inzwischen – gerade im so gern softwaregestützt arbeitenden IT-Umfeld – oft in einem Atemzug genannt.
Meines Erachtens ist der Einsatz von Mindmapping für das Brainstorming – egal, ob mit oder ohne Softwareunterstützung – ein eindeutiger Fall des Verbiegens einer Methode: Das frühzeitige Strukturieren in Baumform ist eine massive Veränderung des ursprünglichen Ansatzes und erscheint mir fatal – ist doch gerade die klare Trennung zwischen Sammlungs- und Bewertungsphase der entscheidende Aspekt der Methode! Eine Ideensammlung auf Basis von Mindmapping als „Brainstorming“ zu bezeichnen, ist also schlichtweg falsch – und Ideen auf diese Weise zu sammeln, realisiert nicht die möglichen Effekte des Brainstormings. Lediglich in der Sortier- und Bewertungsphase erscheint mir Mindmapping möglicherweise einsetzbar – und selbst in dieser Phase habe ich große Zweifel, dass das Strukturieren in Baumform dem freien Sortieren und Clustern von Moderationskarten an einer Pinnwand überlegen ist3.
Mindmapping und Brainstorming gehören nicht zusammen – selbst die robustesten Bäume wachsen im Sturm höchstens mehr schlecht als recht.
Quellen der verwendeten Bilder: Justin Bäder und Adam Baker, beide Bilder lizenziert unter CC BY 2.0.
Footnotes:
- ↑ Zu weiteren Kreativitätstechniken siehe z. B. <http://kreativ-sein.org/kreativitaet/kreativitaetstechniken>.
- ↑ Vgl. z. B. Schulz-Hardt, Stefan, „Die große Illusion“. Forschung & Lehre 19 (2012), 9, 744 – 745. Auch zu finden unter <http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=11461> (19.07.2014).
- ↑ Zudem verändert sich auch hier sicherlich die Methode zumindest geringfügig: Der Umgang mit Mehrfachnennungen beispielsweise dürfte in einer Baumstruktur anders gehandhabt werden als im Falle von Moderationskarten.