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Warum ich den Begriff „Mindset“ nicht mag

Tim Themann

Der Begriff „Mind­set“ bzw. „Mind-set“ scheint mir momen­tan in aller Mun­de zu sein – beson­ders in agi­lem Umfeld. Anders als in den USA, wo der Begriff vor allem auch im päd­ago­gi­schen Bereich eine Rol­le spielt​1, ist er in Deutsch­land m. E. erstaun­lich klar mir den The­men „Agi­li­tät“ und „New Work“ ver­bun­den (Goog­le Trends2).

Schaut man in ein­schlä­gi­ge Lexi­ka, wird „Mind­set“ übli­cher­wei­se mit „Men­ta­li­tät“, „Denk­art“ oder auch „Hal­tung“ übersetzt​3. Beob­ach­tet man aber, wie der Angli­zis­mus im Deut­schen ver­wen­det wird, scheint mir oft der zwei­te Teil des Kom­po­si­tums bzw. sei­ne Kon­no­ta­ti­on im Deut­schen die Bedeu­tung zu bestim­men: Das „-set“ in „Mind­set“ impli­ziert anschei­nend für vie­le Men­schen, es han­de­le sich um ein „men­ta­les ‚Set‘ “ von Eigen­schaf­ten oder Fähig­kei­ten, an des­sen Zusam­men­set­zung man mehr oder min­der ein­fach Ver­än­de­run­gen vor­neh­men kön­ne. Dabei ist das „-set“ im eng­li­schen „Mind­set“ wohl weni­ger i S. von „der Zusam­men­stel­lung“ als i. S. von „das Fest­ge­setz­te“​4 zu ver­ste­hen – andern­falls sprä­che man ver­mut­lich auch eher von „Mindkit“. Die Über­set­zun­gen „Men­ta­li­tät“ oder „Hal­tung“ haben die „Set“- bzw. „Kit“-Konnotation nicht – und wir­ken auf mich des­we­gen in den meis­ten Kon­tex­ten viel rich­ti­ger als der unüber­setz­te Anglizismus.

Kurz: Spricht man statt von „Mind­set“ von „Hal­tung“, wird deut­lich, dass es sich eben nicht um ein aus Ein­zel­tei­len zusam­men­ge­setz­tes „Kit“ han­delt, dem man ohne gro­ßen Auf­wand nach Belie­ben Din­ge hin­zu­fü­gen oder aus dem man gar ein­fach Din­ge ent­fer­nen könnte.

„Der Cha­rak­ter des Men­schen ist sein Schicksal.“
 – Hera­klit, Fragmente

Men­schen ändern sich mei­ner Erfah­rung nach nur lang­sam oder womög­lich gar nicht – zumin­dest in Bezug auf ihre grund­le­gen­den Eigen­schaf­ten und den die­sen zugrun­de­lie­gen­den Annah­men. Wenn über­haupt, dann fin­det Ver­än­de­rung meist nur unter hohem (Leidens‑)​Druck statt. Die eige­nen das Ver­hal­ten und die Wahr­neh­mung prä­gen­den Grund­an­nah­men und Impe­ra­ti­ve in Fra­ge zu stel­len, ist meist schwie­rig und sehr häu­fig auch schmerz­haft. Wäre das völ­lig anders, der Beruf des The­ra­peu­ten wäre ein leich­ter, womög­lich gar über­flüs­sig. Das Behar­rungs­ver­mö­gen des eige­nen Cha­rak­ters ist nun ein­mal groß – und genau die­se Sta­tik wird ja übri­gens oft­mals auch als „Cha­rak­ter­stär­ke“ sehr posi­tiv wahrgenommen.

Anzu­neh­men, „man müs­se sich nur ändern“ oder gar „man müs­se ande­re Men­schen nur ändern“, um dem „Mind­set“ bei­spiels­wei­se „Agi­li­tät“ hin­zu­zu­fü­gen, qua­si ein Update auf „Mind­set 4.0“ vor­zu­neh­men, erscheint mir dem­entspre­chend sehr gewagt – und ist den­noch gera­de bei Anhän­gern von METHODEN (im Gegen­satz zu „Metho­den“) erstaun­lich verbreitet.

Neben­bei bemerkt: Gäbe es so etwas wie eine „Ver­sio­nie­rung“ des Mind­sets, schie­ne mir die Ver­si­on „1.0“ erst mit dem Tod erreicht zu sein, das Leben also qua­si ver­sio­niert wie ein sehr zurück­hal­ten­des Open-Source-Pro­jekt. „Leben“ erscheint mir qua­si eher „beta“ und ein (lei­der meist nur sehr lang­sa­mer) kon­ti­nu­ier­li­cher Verbesserungsprozess.

War­um aber erlebt man erstaun­lich häu­fig den­noch ver­gleichs­wei­se schnel­le Ent­wick­lun­gen und Ver­än­de­run­gen, war­um sind bei­spiels­wei­se im Rah­men von Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung doch in erstaun­lich kur­zen Zeit­räu­men Ver­hal­tens­än­de­run­gen (lei­der manch­mal aller­dings nicht im Sin­ne des Ent­wick­lers) zu beobachten?

„Die Umge­bung, in der der Mensch sich den größ­ten Teil des Tages auf­hält, bestimmt sei­nen Charakter.“
 – Anti­phon von Rham­nus, Fragmente

Was auf den ers­ten Blick wie eine Ände­rung des Mind­sets aus­sieht, ist mög­li­cher­wei­se oft­mals doch nur eine ein­fa­che Ver­schie­bung: Die Men­schen zei­gen in ver­än­der­tem Umfeld womög­lich ein­fach nur ande­re Sei­ten ihres ansons­ten recht fes­ten Cha­rak­ters. Ich bin der fes­ten Über­zeu­gung: Fast alle Men­schen wären zumin­dest wil­lens und kon­struk­tiv wenn nicht gar auch hand­lungs­kom­pe­tent, böte sich ihnen ein (jeweils) geeig­ne­tes Umfeld. Was ich also von Men­schen erwar­ten kann und soll­te, ist m. E. weni­ger die Anpas­sung des Mind­sets an ver­än­der­te Anfor­de­run­gen als viel­mehr das Dar­auf-Ein­las­sen und das mög­lichst bereit­wil­li­ge Suchen nach der jeweils geeig­nets­ten Sei­te des Selbst. Dass sich Men­schen dann dar­auf auf­bau­end (oder auch unab­hän­gig davon) tat­säch­lich lang­sam anpas­sen (lies: ver­än­dern), ist sicher­lich durch­aus der Fall – dar­auf bau­en soll­te man aber zumin­dest am Anfang des Pro­zes­ses wohl bes­ser nicht.

Das Umfeld erscheint mir also viel wich­ti­ger als das Mind­set, das sich eben auch nicht tri­vi­al in sei­nen (eben nicht „-set-“)Bestandteilen ändern lässt. Umso fata­ler erscheint mir die häu­fig von mir wahr­ge­nom­me­ne Über­be­to­nung des Mind­set-Aspekts und die eben­so häu­fi­ge Ableh­nung von Füh­rung in Tei­len der agi­len Community​5: Ist in Wirk­lich­keit das Umfeld ent­schei­dend, ist des­sen Gestal­tung die wich­tigs­te Auf­ga­be – und das ist m. E. einer der ganz wesent­li­chen Inhal­te von Füh­rung. Das wich­tigs­te Mind­set ist also ver­mut­lich eher das der Füh­rungs­kraft als das der Mit­ar­bei­ter. Kurz: Hal­tung und Men­schen­bild sind ent­schei­dend – übri­gens im Zusam­men­hang mit Agi­li­tät kürz­lich sehr schön dar­ge­stellt von Mar­cus Raitner6.

Anzu­neh­men, man bräuch­te nur die „rich­ti­gen“ Men­schen mit dem „rich­ti­gen“ Mind­set (und kei­ne ande­ren, kei­ne mit dem „fal­schem“ Mind­set), erscheint mir wenig rea­lis­tisch, kaum ope­ra­tio­na­li­sier­bar (und wenig wert­schät­zend). Das gege­be­ne Mind­set eines Men­schen für per se unge­eig­net zu hal­ten, ist eine gera­de­zu para­do­xe Hal­tung, zeugt sie doch eher von einem „fixed mind­set“ (i. S. von Carol Dweck) als von einem „growth mindset“.

Es scheint mir also weni­ger dar­um zu gehen, Men­schen „abzu­ho­len, wo sie ste­hen“ und dann zu ändern, son­dern viel­mehr dar­um, sie „so zu neh­men, wie sie sind“ und dann ein Umfeld zu gestal­ten, in dem sich jeder Ein­zel­ne jeweils maxi­mal ent­fal­ten kann – und genau das auch ein­zu­for­dern. Das wie­der­um ist m. E. eine klas­si­sche Füh­rungs­auf­ga­be – egal, ob das Umfeld agil ist oder nicht! Das Mind­set aber gar allei­nig in den Vor­der­grund zu stel­len, heißt kei­nes­wegs, den Men­schen in den Vor­der­grund zu stel­len – im Gegen­teil: Die Über­be­to­nung die­ses Aspekts ver­la­gert die Ver­ant­wor­tung in gera­de­zu unfai­rer Wei­se auf den Einzelnen.

Foot­no­tes:

  1.  Vgl. bspw. <https://​en​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​M​i​n​d​s​e​t​#​F​i​x​e​d​_​a​n​d​_​G​r​o​w​th_Mindset> (03.05.2019).
  2.  Ja, ich weiß: Kor­re­la­ti­on ist kei­ne Kau­sa­li­tät. Goog­le Trends soll hier eher so etwas wie Zeit­geist illustrieren.
  3.  Vgl. bspw. https://​www​.dict​.cc/​?s=mindset (03.05.2019), https://​dict​.leo​.org/​e​n​g​l​i​s​c​h​-​d​e​u​t​s​ch/mindset (03.05.2019) und https://de.pons.com/übersetzung/englisch-deutsch/mindset(03.05.2019).
  4.  Also eher als Sub­stan­ti­vie­rung des Ver­bes „to set“.
  5.  Zu erle­ben bspw. In Dis­kus­sio­nen im Rah­men diver­ser ein­schlä­gi­ger Agi­le (Bar‑)​Camps.
  6.  <https://​fueh​rung​-erfah​ren​.de/​2​0​1​9​/​0​5​/​a​g​i​l​i​t​a​e​t​-​b​e​g​i​n​n​t​-​b​e​i​m​-​m​e​n​schenbild/> (05.05.2019).
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