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In der Gumpe: IT-Infrastruktur-Projekte am Ende des Wasserfalls

Tim Themann

Am Ende des Was­ser­falls ist die Gum­pe, das Tos­be­cken, in dem das fall­be­schleu­nig­te Was­ser unter meist gro­ßer Ver­wir­be­lung sei­ne kine­ti­sche Ener­gie ver­liert, um anschlie­ßend mehr oder min­der ruhig wei­ter­zu­flie­ßen. Ähn­lich ver­lie­fen in den letz­ten Jahr­zehn­ten die meis­ten IT-Infra­struk­tur-Pro­jek­te: Meist eher lang­wie­ri­ge und gro­ße (Update‑)​Projekte wer­den nach Vari­an­ten des „klas­si­schen“​1 Was­ser­fall­mo­dells bis zum Release gema­nagt und gip­feln in einer mehr oder min­der auf­re­gen­den Pha­se des „Ear­ly Life Sup­ports“ (ITIL). Was auch immer man zuvor im frei­en Fall des Was­ser­fall-Pro­jek­tes getan hat, um die­se Pha­se mög­lichst schmerz­frei zu über­ste­hen: Der Auf­prall ist häu­fig hart und die Stru­del der Gum­pe wir­beln noch lan­ge durch den ver­meint­lich längst beru­hig­ten Strom. Den­noch: Irgend­wann „kehrt Ruhe ein“ und gleich­sam der „Ener­gie“ des Pro­jek­tes beraubt plät­schert die Wei­ter­ent­wick­lung der IT-Infra­struk­tur bis zum nächs­ten (Update‑)​Projekt ver­gleichs­wei­se ruhig vor sich hin. Den Takt ange­ge­ben hat bei der Wei­ter­ent­wick­lung der meis­ten IT-Infra­struk­tu­ren meist der Release-Zyklus des (Windows‑)​Betriebssystems – wobei häu­fig jede zwei­te Release aus­ge­las­sen wur­de. Die Pha­sen rela­ti­ver Ruhe waren so eini­ge Jah­re lang; die Men­ge der Kom­bi­na­tio­nen von Betriebs­sys­tem, Hard- und Soft­ware begrenzt und an Best Prac­ti­ces ori­en­tiert. Bei aller Dyna­mik, die der IT oft nach­ge­sagt wird: eine ver­gleichs­wei­se ruhi­ge Welt!

Vie­les spricht m. E. dafür, dass es mit die­ser rela­ti­ven Ruhe vor­bei ist – und dass die „klas­si­schen“ IT-Infra­struk­tur-Pro­jek­te zuneh­mend der Ver­gan­gen­heit angehören!

Takt­ge­ber für IT-Infra­struk­tur-Pro­jek­te ist natur­ge­mäß die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung – ins­be­son­de­re die der Betriebs­sys­tem- und Stan­dard-Soft­ware. Die­ser Takt aber ändert sich – was wohl vie­le Beob­ach­ter ange­sichts über­bor­den­der Kon­zern-Büro­kra­tie und ‑Poli­tik kaum für mög­lich gehal­ten hät­ten, ist Rea­li­tät gewor­den: Die bis­her eher behä­bi­gen Soft­ware-Rie­sen haben in den letz­ten Jah­ren mas­siv an Agi­li­tät gewon­nen, sind min­des­tens in ihrer Soft­ware­ent­wick­lung agil gewor­den. Soft­ware­ent­wick­lung wird auch von den Gro­ßen der Bran­che nicht mehr im mehr­jäh­ri­gen Zyklus gro­ßer „Was­ser­fall-Pro­jek­te“ betrie­ben, son­dern viel­mehr im eher monat­li­chen Takt agi­ler (Scrum‑)​Teams – und allen vor­an pro­du­ziert Micro­soft für vie­le der kon­zern­ei­ge­nen Pro­duk­te (und ins­be­son­de­re auch für sein Betriebs­sys­tem) nicht mehr nur monat­li­che Patches („Updates“), son­dern zusätz­lich meh­re­re (im Ver­gleich zu bis­he­ri­gen „Major Releases“ natur­ge­mäß klei­ne­re) funk­tio­na­le Upgra­des pro Jahr. Was bis­her meist nur im Zusam­men­hang mit Win­dows 10 wahr­ge­nom­men und dis­ku­tiert wur­de, gilt auch für vie­le ande­re Stan­dard­soft­ware-Pro­duk­te – und nicht nur für Micro­soft, son­dern auch für vie­le ande­re Soft­ware­her­stel­ler. Was frü­her in Form von „Releases“ – län­ger­fris­tig „ein­ge­fro­re­nen“ Kom­bi­na­tio­nen der jeweils aktu­el­len Ver­sio­nen der ein­ge­setz­ten Pro­duk­te – gema­nagt wur­de, wird sich künf­tig nur noch als Kon­ti­nu­um von Updates mana­gen las­sen. Das klas­si­sche „Release­ma­nage­ment“ i. S. von ITIL ist m. E. zum Ster­ben ver­ur­teilt – und die bis­her übli­chen „Infra­struk­tur-Refresh-Pro­jek­te“ („ein­mal alles neu und dann ein paar Jah­re Ruhe“) wird es über kurz oder lang nicht mehr geben. Neue Ver­sio­nen müs­sen nicht mehr im Mehr­jah­res­takt, son­dern eher im Monats­takt „ver­daut“ wer­den, pras­seln förm­lich auf die IT-Infra­struk­tu­ren ein – und das aus allen Rich­tun­gen. Sich davon ein­fach abzu­kop­peln, „das nicht mit­zu­ma­chen“, erscheint mir künf­tig unmög­lich: Nicht nur, dass die Her­stel­ler par­al­lel zu die­ser Beschleu­ni­gung auch die Sup­port-Zyklen ver­kür­zen, auch die immer umfang­rei­che­ren Inter­de­pen­den­zen der IT-Sys­te­me unter­ein­an­der dürf­ten zuneh­mend dazu zwin­gen, mög­lichst alle Sys­te­me auf einem aktu­el­len und ver­gleich­ba­ren Stand zu hal­ten. Wer­den Cloud-Tech­no­lo­gien – häu­fig in hybri­den Sze­na­ri­en und damit mit erheb­li­chen Inter­de­pen­den­zen zur „klas­si­schen“ IT-Infra­struk­tur – genutzt, ist man den Update-Zyklen ohne­hin gleich­sam pas­siv aus­ge­lie­fert – die Cloud war­tet nicht!

Um auf die Meta­pher der Gum­pe zurück­zu­kom­men: Galt es frü­her, den Was­ser­fall und das Tos­be­cken mög­lichst gut zu über­ste­hen, ist es die Her­aus­for­de­rung der Zukunft, den vie­len klei­nen Strom­schnel­len des zuneh­mend schnel­le­ren Flus­ses auszuweichen.

Was in klei­ne­ren IT-Orga­ni­sa­tio­nen noch mit der dort oft ver­brei­te­ten „Hacker-Men­ta­li­tät“ ein­fach fle­xi­bel (gewis­ser­ma­ßen auch „agil“) bewäl­tigt wer­den kann, stellt die oft gera­de erst in den letz­ten Jah­ren müh­sam pro­fes­sio­na­li­sier­te mit­tel­stän­di­sche IT vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen: Ein eher sta­ti­sches Release-Manage­ment i. S. von ITIL gehört womög­lich der Ver­gan­gen­heit an. Mög­li­cher­wei­se wer­den selbst ver­gleichs­wei­se adap­ti­ve Pha­sen-Model­le wie PRINCE2 zu behä­big, unge­eig­net für die extrem hohe (und extern von den ver­schie­de­nen Her­stel­lern gesteu­er­te) Ände­rungs­ra­te wäh­rend eines IT-Infra­struk­tur-Pro­jek­tes. Künf­tig zuneh­mend den „Out­put“ agi­ler „Soft­ware­fa­bri­ken“ „ver­dau­en“ zu müs­sen, bedeu­tet mehr als nur ein­fach eine höhe­re Update-Fre­quenz – wir haben es hier eher mit einer voll­stän­di­gen „Ernäh­rungs­um­stel­lung“ zu tun.

Anders for­mu­liert: Es ist vor­bei – alle 4 – 7 Jah­re ein gro­ßes IT-Infra­struk­tur-Update-Pro­jekt zu machen und zwi­schen­durch mehr oder min­der gemüt­lich Tickets zu ver­wal­ten ist künf­tig zu wenig.

Um die­se Ver­än­de­rung den­noch frucht­bar und gewinn­brin­gend zu gestal­ten, erschei­nen mir auf den ers­ten Blick eini­ge Din­ge unabdingbar:

Exkurs: DevOps und Standard-Software

Als qua­si uni­ver­sel­ler „Kitt“ für die­se Bruch­li­nie scheint mir der­zeit DevOps zu gel­ten. DevOps wird (ähn­lich wie „Agi­li­tät“) i. d. R. mehr als Hal­tung denn als Metho­de (oder gar Werk­zeug) verstanden​3; Kern von DevOps ist – ganz im Sin­ne des agi­len Wer­tes „Indi­vi­du­en und Inter­ak­tio­nen“​4 – eine Kul­tur der Zusam­men­ar­beit zwi­schen Soft­war­ent­wick­lern („Develop­ment“) und IT-Betriebs­ver­ant­wort­li­chen („Opera­ti­ons“).

Das Pro­blem ist: DevOps scheint mir die hier dar­ge­stell­ten Pro­ble­me nicht zu lösen. Mit einer inter­nen Soft­ware­ent­wick­lungs­ab­tei­lung – also inner­halb der eige­nen Orga­ni­sa­ti­on – eng zusam­men­zu­rü­cken, eine Kul­tur der Zusam­men­ar­beit zu eta­blie­ren und so trag­fä­hi­ge Con­ti­nous Inte­gra­ti­on- und -Deli­very-Pro­zes­se zu eta­blie­ren, erscheint mir durch­aus mög­lich und erstre­bens­wert. In der Zusam­men­ar­beit mit exter­nen Her­stel­lern von Stan­dard-Soft­ware jedoch greift die­ser Ansatz m. E. nicht; auf­grund der Bruch­li­nie zwi­schen den Orga­ni­sa­tio­nen haben wir es eher mit „Dev|Ops“ als mit DevOps zu tun.

Ein orga­ni­sa­ti­ons- und pro­dukt­über­grei­fen­des „DevOps“ für die gleich­zei­ti­ge „Con­ti­nous Deli­very“ von Pro­duk­ten meh­re­rer Her­stel­ler muss m. E. noch ent­wi­ckelt werden.

Am m. E. wich­tigs­ten aber ist:

In der IT zu arbei­ten, heißt seit jeher und ver­mut­lich mehr als in jeder ande­ren Bran­che, schnell und adap­tiv mit Ver­än­de­run­gen umzu­ge­hen. Ande­rer­seits gibt es mei­ner Erfah­rung nach trotz­dem auch in der IT eine erstaun­lich aus­ge­präg­te „Frü­her war alles besser“-Mentalität – die ich gera­de im Zusam­men­hang mit der zuneh­men­den Beschleu­ni­gung der letz­ten Jah­re wahr­neh­me. Ver­än­de­run­gen zu begrü­ßen ist m. E. nicht erst seit der zuneh­men­den Ver­brei­tung agi­ler Metho­den ein Grund­wert der IT – und genau dar­an soll­ten wir uns auch im bis­her wenig agi­len IT-Infra­struk­tur­be­reich halten!

Fuß­no­ten:

  1.  Vie­le Ver­tre­ter agi­ler Ansät­ze wür­den eher von „sta­ti­schen“ sprechen.
  2.  Vgl. „Mani­fest für Agi­le Soft­ware­ent­wick­lung“ <http://​agi​le​ma​ni​festo​.org/​i​s​o​/​d​e​/​m​a​n​i​festo.html> (19.02.2017).
  3.  An die­ser Stel­le sei mir die viel­leicht ein wenig absei­ti­ge Anmer­kung erlaubt, dass m. E. die meis­ten durch irgend­wel­che neu­en Ansät­ze ver­meint­lich gelös­ten Pro­ble­me bei einer auf­ga­ben­an­ge­mes­se­nen Hal­tung aller Betei­lig­ten gar nicht exis­tie­ren wür­den. Metho­den, deren wesent­li­cher Kern eine sinn­vol­le Hal­tung ist, exis­tie­ren also womög­lich nur, weil die Auf­for­de­rung „Nun seid doch mal alle ver­nünf­tig!“ noch nie gehol­fen hat.
  4.  <http://​agi​le​ma​ni​festo​.org/​i​s​o​/​d​e​/​m​a​n​i​festo.html> (07.02.2017).
  5.  Und übri­gens auch die lieb gewon­ne­nen Zertifizierungen.
  6.  Bei­spiels­wei­se ist RTFM i. d. R. kei­ne irgend­wie sinn­vol­le Ant­wort mehr (so sie es denn jemals war) – so etwas wie eine „com­pre­hen­si­ve docu­men­ta­ti­on“ (eben­da) kann man nur noch begrenzt erwarten.
  7.  Ebenda.
  8.  Ebenda.
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