Trotz aller Kritik an der mitunter wenig umsichtigen und dadurch den visuellen Denkprozess womöglich negativ beeinflussenden Anwendung von Canvases (vgl. hier, hier und hier): Die dem jeweiligen Canvas zugrundeliegenden Ideen erscheinen mir häufig gut und schlüssig, das daraus abgeleitete Canvas oft als potenziell sehr hilfreiche Struktur. Es dürfte also lohnend sein, darüber nachzudenken, wie man ein Canvas möglichst ohne die erwähnten negativen Einflüsse nutzen kann. Mir persönlich erscheinen dafür drei Punkte wichtig:
- Falls es ein „Buch zum Canvas“ gibt: Lesen Sie es! Gibt es keins, tun Sie alles, um Zweck, Inhalt und Vorgehensweise für das jeweilige Canvas wirklich verstanden zu haben. Ein Canvas ist ein Formular – Ihre Einkommenssteuererklärung füllen Sie ja auch nicht „auf blauen Dunst“ aus.
- Prüfen Sie anschließend genau: Ist das Canvas wirklich für den jeweiligen Zweck geeignet oder prügeln Sie womöglich gerade aus Versehen mit Maslows Hammer auf die Aufgabe ein? Ist das „Formular“ vor dem Hintergrund der Aufgabenstellung wirklich vollständig – oder gibt es vielleicht Punkte, die man in diesem speziellen Fall gleich weglassen kann? Falls Sie etwas verändern: Ist das Ergebnis noch schlüssig, wirklich zielführend und hat es noch etwas mit dem ursprünglichen Canvas zu tun? Falls Sie nur letztere Frage verneinen, sollten Sie das Canvas besser umbenennen. Verneinen Sie aber eine der ersten beiden Fragen, sollten Sie es vermutlich einfach nicht benutzen.
Ich persönlich finde ja, dass es meist gar keines Formulars bedarf – und die eigentliche Struktur völlig ausreicht, man die kompakte Form des Formulars höchstens für die zusammenfassende Darstellung des Ergebnisses benötigt. Dementsprechend – sofern Sie das Canvas jetzt immer noch (für den jeweiligen Anwendungszweck, vielleicht aber auch ganz allgemein) für sinnvoll halten:
- Füllen Sie das Canvas („Formular“) möglichst nicht direkt aus, sondern bauen Sie sich eine „Kladde“: Hängen Sie z. B. für jedes einzelne Feld ein Flipchart-Blatt an die Wand – idealerweise versehen mit einer Überschrift und vielleicht sogar einem pointiert erklärenden Satz1. Sie vermeiden auf diese Weise den Einfluss der Formulargestaltung auf den Denkprozess (vgl. hier), sorgen für Klarheit der Nomenklatur (vgl. hier) und machen die Bearbeitungsreihenfolge deutlich (vgl. hier). Auf dieser Kladde wird nun (mehr oder minder visuell) „gedacht“:
Das eigentliche Canvas beeinflusst so den Denkprozess nicht und wird erst nach Abschluss dieses Prozesses ausgefüllt. Für das Value Proposition Canvas2 sähe das dann in etwa so aus:
Bei mir gibt es übrigens meist auch noch ein Flipchart-Blatt als „Parkplatz“ für Dinge, die gerade nicht in das Vorgehen passen, aber auf keinen Fall verloren gehen sollten (vgl. hier). In diesem speziellen Fall hat ein solcher „Themenspeicher“ zudem die Funktion, fehlende „Felder“ des ursprünglichen Formulars quasi zu ersetzen – und damit auch den Vorteil, dass man an ihm ablesen kann, was dem Canvas vielleicht fehlt, was es vielleicht beim nächsten Mal zu ergänzen gilt.
Das „Formular“ vor allem zur Ergebnisdokumentation zu nutzen, ist m. E. eine gute Möglichkeit, die Probleme der starren (visuellen) Struktur für den (Gruppen‑)Denkprozess zu umgehen und dennoch ein Canvas zu verwenden – und sei es nur, um „mit der Mode zu gehen“ 😉 .
Footnotes:
- ↑ Spätestens dafür muss man das zugrundeliegende Konzept wirklich verstanden haben.
- ↑ Vgl. bspw. <https://strategyzer.com/canvas/value-proposition-canvas>.