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Herausforderung „Hybride Meetings“

Tim Themann

Mit Abnah­me zumin­dest der wahr­ge­nom­me­nen SARS-CoV-2-Infek­ti­ons­ge­fahr​1 ent­steht fast zwangs­läu­fig ver­mehrt der Bedarf an hybri­den Sze­na­ri­en der (Zusammen‑)​Arbeit. Gera­de Orga­ni­sa­tio­nen, denen die (ja häu­fig sehr spon­ta­ne) groß­flä­chi­ge Ein­füh­rung des Homeoffice​2 beson­ders schwer­fiel, begin­nen jetzt, Tei­le der Beleg­schaft wie­der zurück ins Büro zu holen. Anstatt damit etwas wie­der ein­fa­cher zu machen, ent­ste­hen m. E. neue, tech­nisch, orga­ni­sa­to­risch und vor allem sozi­al-kom­mu­ni­ka­tiv hoch­kom­ple­xe Sze­na­ri­en – und das mög­li­cher­wei­se völ­lig uner­war­tet. Anders for­mu­liert: Das Hybri­de erscheint mir nicht ein­fa­cher, son­dern meist schwie­ri­ger, denn es erzeugt eine mas­si­ve Asym­me­trie, auf die es sich m. E. drin­gend vor­zu­be­rei­ten gilt:

Kommunikative Asymmetrie

In einem hybri­den Mee­ting – aber auch in jeder ande­ren hybri­den Arbeits­si­tua­ti­on – haben die Teil­neh­mer vor Ort (meist im [Video-]Konferenzraum) zwangs­läu­fig einen kom­mu­ni­ka­ti­ven Vor­teil: Sie kön­nen Bli­cke tau­schen, nahe­zu unge­hör­te Neben­ge­sprä­che füh­ren, sich in den Pau­sen an der Kaf­fee­ma­schi­ne und vor und nach dem Mee­ting infor­mell aus­tau­schen. Mei­ner Erfah­rung nach fin­den vie­le Abspra­chen, die den Ver­lauf und die Ergeb­nis­se eines Mee­tings mas­siv beein­flus­sen kön­nen, an der Kaf­fee­ma­schi­ne oder auf dem Weg in den Raum statt. Die „vir­tu­el­len“ Teil­neh­mer sind vom Infor­mel­len fak­tisch abge­schnit­ten – ein kur­zer Anruf vor dem Mee­ting ist ein­fach nicht wirk­lich infor­mell und etwas völ­lig ande­res als ein (manch­mal nur schein­bar) zufäl­li­ges Auf­ein­an­der­tref­fen. Auch viel­sa­gen­de Bli­cke sind durch einen par­al­le­len pri­va­ten Chat (der womög­lich aus Com­pli­ance-Grün­den auch noch archi­viert wird) kaum zu ersetzen.

Es dürf­te schon ein sehr ein­ge­spiel­tes und vor allem sehr ver­trau­ens­voll zusam­men­ar­bei­ten­des Team brau­chen, um die­se Asym­me­trien wirk­lich unwich­tig sein zu las­sen. Inter­es­sant fin­de ich in die­sem Zusam­men­hang, dass ich in ver­schie­de­nen Orga­ni­sa­tio­nen in den letz­ten Mona­ten das spon­ta­ne Ent­ste­hen einer „Ist einer vir­tu­ell dabei, sind alle vir­tu­ell dabei“-Sozi­al­norm beob­ach­tet habe. Lang­fris­tig dürf­te eine sol­che Norm aller­dings ver­mut­lich nicht funk­tio­nie­ren – wir müs­sen uns auf zuneh­mend hybri­de Arbeit ein­stel­len. Den­noch hal­te ich die­se Sozia­le Norm­bil­dung für ein mög­li­ches Zei­chen eines sehr hohen Rei­fe­gra­des des jewei­li­gen sozia­len Sys­tems, das womög­lich Pro­ble­me anti­zi­piert und prä­ven­tiv pro­blem­ver­mei­den­de Nor­men erschafft – die man sich m. E. sehr genau anschau­en sollte!

Auch außer­halb von Mee­ting-Situa­tio­nen wird die Asym­me­trie mei­ner Erfah­rung nach manch­mal zum Pro­blem: Die Erreich­bar­keit von Mit­ar­bei­tern im Home­of­fice ist ent­ge­gen aller anders­lau­ten­den Hypo­the­sen mei­ner Erfah­rung nach im Ver­gleich zum „nor­ma­len“ Büro eher bes­ser und nicht schlech­ter – aus dem Home­of­fice her­aus jeman­dem, der ohne Mobil­te­le­fon in der Tasche an der Kaf­fee­ma­schi­ne oder im Büro des Kol­le­gen „hän­gen geblie­ben“ ist, hin­ter­her­zu­te­le­fo­nie­ren, kann ande­rer­seits erstaun­lich zeit­rau­bend sein. Erreich­bar­keit könn­te einer der ent­schei­den­den Aspek­te erfolg­rei­cher hybri­der (Zusammen‑)​Arbeit sein.

Kürz­lich hör­te ich auf einem Bar­Camp die Bezeich­nung „Satel­lit“ für die Kol­le­gen im Home­of­fice – eine bezeich­nen­de, aber sicher­lich alles ande­re als hilf­rei­che Nomen­kla­tur. Es han­delt sich um Kol­le­gen oder zumin­dest Teil­neh­mer – egal, wo sie gera­de sind. Hybri­de Sze­na­ri­en der (Zusammen‑)​Arbeit zu meis­tern und dabei gera­de die sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ve Asym­me­trie so gering wie mög­lich zu hal­ten, erscheint mir als einer der wich­tigs­ten Erfolgs­fak­to­ren der neu­en Zukunft.

Technisch-methodische Asymmetrie

„Vir­tu­el­le“ Teil­neh­mer haben kei­nen unmit­tel­ba­ren Zugang zu klas­si­schen „phy­si­schen“ Mit­teln der Mee­ting-Mode­ra­ti­on – Flip­chart, White­board, Pinn­wand, was der Mode­ra­ti­ons­kof­fer eben so her­gibt. Die Asym­me­trie könn­te an die­ser Stel­le sogar beson­ders stark her­vor­tre­ten, ist es oft doch gera­de das qua­si Ega­li­tä­re die­ser ein­fa­chen Medi­en, das ihre Wirk­sam­keit aus­macht. Greift man statt­des­sen aber zu digi­ta­len Mode­ra­ti­ons­werk­zeu­gen, so sind die Teil­neh­mer im (Video‑)​Konferenzraum meist im Nach­teil – es sei denn, es wur­de mas­siv in Kon­fe­renz­tech­nik inves­tiert. Am Ende sit­zen also meist auch die Teil­neh­mer im Kon­fe­renz­raum vor jeweils eige­nen End­ge­rä­ten – und könn­ten spä­tes­tens dann auch von ihrem eige­nen Schreib­tisch aus vir­tu­ell teil­neh­men, sowohl im Inter­es­se der sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ven Sym­me­trie als aktu­ell auch im Inter­es­se des Infek­ti­ons­schut­zes aller Teilnehmer.

In jedem Fall kommt der Aus­wahl und Ein­füh­rung (inklu­si­ve Schu­lung!) von für ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en geeig­ne­ter Tech­nik – sowohl für die Kom­mu­ni­ka­ti­on selbst als auch für die Mode­ra­ti­ons­werk­zeu­ge – eine durch­aus ent­schei­den­de Bedeu­tung zu. Gera­de in Bezug auf die Mode­ra­ti­ons­werk­zeu­ge soll­te dabei nicht ver­ges­sen wer­den: Viel­leicht brau­chen wir gar nicht die Lösung, die unser bis­he­ri­ges Vor­ge­hen best­mög­lich 1:1 ins Digi­ta­le über­setzt – viel­leicht kön­nen wir mit neu­en Mög­lich­kei­ten auch etwas anders machen! Wich­tig erscheint es mir, an die­ser Stel­le noch ein­mal einen Schritt zurück­zu­tre­ten, noch ein­mal zu reflek­tie­ren, was eigent­lich das ursprüng­li­che Ziel des Mode­ra­ti­ons­werk­zeugs oder der ‑metho­de war – und dann unge­ach­tet alt­her­ge­brach­ter Ansät­ze und unvor­ein­ge­nom­men auf die Suche zu gehen nach der best­mög­li­chen digi­ta­len Lösung für die (Moderations‑)​Aufgabe.

Tech­nik allein wird uns (wie so häu­fig) nicht ret­ten, die sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ven Aspek­te erschei­nen mir im Moment ungleich wich­ti­ger. Daher mein Vor­schlag: Prak­tisch jede Orga­ni­sa­ti­on hat inzwi­schen ihre inter­nen „Coro­na-Regeln“, die (hof­fent­lich) regel­mä­ßig über­ar­bei­tet und an die sich dyna­misch ent­wi­ckeln­de Situa­ti­on ange­passt wer­den. Wer­fen Sie bei die­ser Über­ar­bei­tung doch auch ein­mal einen Blick auf Ihre Mee­ting-Regeln (oder am bes­ten gleich auf all­ge­mei­ne Regeln der Zusam­men­ar­beit, vgl. hier) – auch die gilt es regel­mä­ßig an die sich ver­än­dern­de Situa­ti­on anzu­pas­sen, am bes­ten unter Betrach­tung des­sen, was zwi­schen­zeit­lich schon ganz von allein an neu­en Sozia­len Nor­men ent­stan­den ist.

Foot­no­tes:

  1.  Ich per­sön­lich ver­mu­te an die­ser Stel­le eher Gewöh­nungs­ef­fek­te denn eine fak­ti­sche Veränderung.
  2.  „Home­of­fice“ steht in die­sem Arti­kel für jede Form von „Remo­te-Arbeit“.
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