Mit Abnahme zumindest der wahrgenommenen SARS-CoV-2-Infektionsgefahr1 entsteht fast zwangsläufig vermehrt der Bedarf an hybriden Szenarien der (Zusammen‑)Arbeit. Gerade Organisationen, denen die (ja häufig sehr spontane) großflächige Einführung des Homeoffice2 besonders schwerfiel, beginnen jetzt, Teile der Belegschaft wieder zurück ins Büro zu holen. Anstatt damit etwas wieder einfacher zu machen, entstehen m. E. neue, technisch, organisatorisch und vor allem sozial-kommunikativ hochkomplexe Szenarien – und das möglicherweise völlig unerwartet. Anders formuliert: Das Hybride erscheint mir nicht einfacher, sondern meist schwieriger, denn es erzeugt eine massive Asymmetrie, auf die es sich m. E. dringend vorzubereiten gilt:
Kommunikative Asymmetrie
In einem hybriden Meeting – aber auch in jeder anderen hybriden Arbeitssituation – haben die Teilnehmer vor Ort (meist im [Video-]Konferenzraum) zwangsläufig einen kommunikativen Vorteil: Sie können Blicke tauschen, nahezu ungehörte Nebengespräche führen, sich in den Pausen an der Kaffeemaschine und vor und nach dem Meeting informell austauschen. Meiner Erfahrung nach finden viele Absprachen, die den Verlauf und die Ergebnisse eines Meetings massiv beeinflussen können, an der Kaffeemaschine oder auf dem Weg in den Raum statt. Die „virtuellen“ Teilnehmer sind vom Informellen faktisch abgeschnitten – ein kurzer Anruf vor dem Meeting ist einfach nicht wirklich informell und etwas völlig anderes als ein (manchmal nur scheinbar) zufälliges Aufeinandertreffen. Auch vielsagende Blicke sind durch einen parallelen privaten Chat (der womöglich aus Compliance-Gründen auch noch archiviert wird) kaum zu ersetzen.
Es dürfte schon ein sehr eingespieltes und vor allem sehr vertrauensvoll zusammenarbeitendes Team brauchen, um diese Asymmetrien wirklich unwichtig sein zu lassen. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass ich in verschiedenen Organisationen in den letzten Monaten das spontane Entstehen einer „Ist einer virtuell dabei, sind alle virtuell dabei“-Sozialnorm beobachtet habe. Langfristig dürfte eine solche Norm allerdings vermutlich nicht funktionieren – wir müssen uns auf zunehmend hybride Arbeit einstellen. Dennoch halte ich diese Soziale Normbildung für ein mögliches Zeichen eines sehr hohen Reifegrades des jeweiligen sozialen Systems, das womöglich Probleme antizipiert und präventiv problemvermeidende Normen erschafft – die man sich m. E. sehr genau anschauen sollte!
Auch außerhalb von Meeting-Situationen wird die Asymmetrie meiner Erfahrung nach manchmal zum Problem: Die Erreichbarkeit von Mitarbeitern im Homeoffice ist entgegen aller anderslautenden Hypothesen meiner Erfahrung nach im Vergleich zum „normalen“ Büro eher besser und nicht schlechter – aus dem Homeoffice heraus jemandem, der ohne Mobiltelefon in der Tasche an der Kaffeemaschine oder im Büro des Kollegen „hängen geblieben“ ist, hinterherzutelefonieren, kann andererseits erstaunlich zeitraubend sein. Erreichbarkeit könnte einer der entscheidenden Aspekte erfolgreicher hybrider (Zusammen‑)Arbeit sein.
Kürzlich hörte ich auf einem BarCamp die Bezeichnung „Satellit“ für die Kollegen im Homeoffice – eine bezeichnende, aber sicherlich alles andere als hilfreiche Nomenklatur. Es handelt sich um Kollegen oder zumindest Teilnehmer – egal, wo sie gerade sind. Hybride Szenarien der (Zusammen‑)Arbeit zu meistern und dabei gerade die sozial-kommunikative Asymmetrie so gering wie möglich zu halten, erscheint mir als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der neuen Zukunft.
Technisch-methodische Asymmetrie
„Virtuelle“ Teilnehmer haben keinen unmittelbaren Zugang zu klassischen „physischen“ Mitteln der Meeting-Moderation – Flipchart, Whiteboard, Pinnwand, was der Moderationskoffer eben so hergibt. Die Asymmetrie könnte an dieser Stelle sogar besonders stark hervortreten, ist es oft doch gerade das quasi Egalitäre dieser einfachen Medien, das ihre Wirksamkeit ausmacht. Greift man stattdessen aber zu digitalen Moderationswerkzeugen, so sind die Teilnehmer im (Video‑)Konferenzraum meist im Nachteil – es sei denn, es wurde massiv in Konferenztechnik investiert. Am Ende sitzen also meist auch die Teilnehmer im Konferenzraum vor jeweils eigenen Endgeräten – und könnten spätestens dann auch von ihrem eigenen Schreibtisch aus virtuell teilnehmen, sowohl im Interesse der sozial-kommunikativen Symmetrie als aktuell auch im Interesse des Infektionsschutzes aller Teilnehmer.
In jedem Fall kommt der Auswahl und Einführung (inklusive Schulung!) von für verschiedene Szenarien geeigneter Technik – sowohl für die Kommunikation selbst als auch für die Moderationswerkzeuge – eine durchaus entscheidende Bedeutung zu. Gerade in Bezug auf die Moderationswerkzeuge sollte dabei nicht vergessen werden: Vielleicht brauchen wir gar nicht die Lösung, die unser bisheriges Vorgehen bestmöglich 1:1 ins Digitale übersetzt – vielleicht können wir mit neuen Möglichkeiten auch etwas anders machen! Wichtig erscheint es mir, an dieser Stelle noch einmal einen Schritt zurückzutreten, noch einmal zu reflektieren, was eigentlich das ursprüngliche Ziel des Moderationswerkzeugs oder der ‑methode war – und dann ungeachtet althergebrachter Ansätze und unvoreingenommen auf die Suche zu gehen nach der bestmöglichen digitalen Lösung für die (Moderations‑)Aufgabe.
Technik allein wird uns (wie so häufig) nicht retten, die sozial-kommunikativen Aspekte erscheinen mir im Moment ungleich wichtiger. Daher mein Vorschlag: Praktisch jede Organisation hat inzwischen ihre internen „Corona-Regeln“, die (hoffentlich) regelmäßig überarbeitet und an die sich dynamisch entwickelnde Situation angepasst werden. Werfen Sie bei dieser Überarbeitung doch auch einmal einen Blick auf Ihre Meeting-Regeln (oder am besten gleich auf allgemeine Regeln der Zusammenarbeit, vgl. hier) – auch die gilt es regelmäßig an die sich verändernde Situation anzupassen, am besten unter Betrachtung dessen, was zwischenzeitlich schon ganz von allein an neuen Sozialen Normen entstanden ist.