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„Bierdeckel“: Planung, Fertigstellung und viele Schleifen im Projektmanagement

Tim Themann

Ein oft humo­ris­tisch auf­ge­nom­me­nes, aber durch­aus ernst gemein­tes Dia­gramm, das ich schon seit vie­len Jah­ren meist in der Pla­nungs­pha­se von Pro­jek­ten zeich­ne, ist die fol­gen­de Dar­stel­lung mög­li­cher Ver­hält­nis­se von Pla­nung zu Fertigstellung:

  1. Blau: Die­se Vari­an­te ist qua­si die lege-artis-Ver­si­on des Was­ser­fall­mo­dells: Zuerst wird so weit wie irgend mög­lich geplant (die fast senk­rech­te Linie), dann mit der Imple­men­tie­rung (die fast waa­ge­rech­te Linie) begon­nen. So wer­den bei­spiels­wei­se Auto­bahn­brü­cken oder Flug­hä­fen gebaut – wobei ich damit nicht sagen möch­te, dass die­ses Vor­ge­hen per se zum Schei­tern ver­ur­teilt ist!
  2. Rot: Dem sowohl im Dia­gramm als auch meta­pho­risch dia­me­tral gegen­über steht ein Vor­ge­hen, das gera­de in klei­ne­ren und mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men in der IT lan­ge üblich war und teil­wei­se immer noch üblich ist: erst­mal instal­lie­ren, dann viel­leicht ein biss­chen doku­men­tie­ren (gestri­chelt) – und bloß kei­ne Pla­nung! So wür­de ver­mut­lich „The IT Crowd“ ein „Pro­jekt“ durchführen.
  3. Grün: Prak­tisch lau­fen IT-Infra­struk­tur­pro­jek­te län­ge­rer Lauf­zeit (also bei­spiels­wei­se vie­les, was bis ans End­ge­rät an womög­lich meh­re­ren Stand­or­ten reicht) mei­ner Erfah­rung nach eher ent­lang der grü­nen Linie – und das schon lan­ge bevor das „Schlei­fen flie­gen“ („Pivo­ting“) durch Design Thin­kingLean Start­up oder ande­re mehr oder min­der berech­tigt als „agil“ bezeich­ne­te Metho­den qua­si geadelt wur­de. Damit möch­te ich jetzt nicht sagen, dass IT-Infra­struk­tur-Pro­jek­te qua­si schon immer agil waren – im Gegen­teil, ob der Erfah­rung, dass vie­le IT-Infra­struk­tur-Pro­jek­te der grü­nen Linie fol­gen, erscheint es mir ver­wun­der­lich, wie groß die Wider­stän­de gegen agi­le Metho­den in die­sem Bereich mei­ner Erfah­rung nach oft sind.

Dass die roten Vari­an­te 2 kein Vor­ge­hens­mo­dell dar­stellt, nach dem eine eini­ger­ma­ßen pro­fes­sio­nel­le IT-Abtei­lung arbei­ten soll­te, brau­che ich wohl kaum zu erläu­tern – und die meis­ten IT-Orga­ni­sa­tio­nen sind die­sem zum Beginn des PC-Zeit­al­ters völ­lig nor­ma­len Ent­wick­lungs­stand zum Glück auch längst ent­wach­sen. Der Anspruch der blaue Vari­an­te 1 aller­dings ist heut­zu­ta­ge m. E. eben­falls unan­ge­mes­sen – und das war im IT-Infra­struk­tur-Bereich womög­lich schon immer so (des­we­gen zeich­ne ich die­ses Dia­gramm seit rund zwei Jahr­zehn­ten regel­mä­ßig): Im Lau­fe jedes eini­ger­ma­ßen lan­gen Pro­jek­tes ändern sich die ver­wen­de­ten Tech­no­lo­gien qua­si von allein – und das in zuneh­men­dem Maße (vgl. hier). Eine sta­ti­sche, von Anfang an weit­ge­hend voll­stän­di­ge und detail­lier­te Pla­nung wird meist nach eini­gen Mona­ten zur Maku­la­tur – aller­spä­tes­tens, wenn sich nicht nur die Tech­nik, son­dern auch Umfeld und Anfor­de­run­gen geän­dert haben.

Update 25.11.2018 – offen­bar sind an die­ser Stel­le noch eine paar mehr Wor­te notwendig​2: „Schlei­fen“, so wie hier dar­ge­stellt, haben etwas von „drei Schrit­te vor, zwei zurück“ – und genau das ist mei­ner Erfah­rung nach lei­der auch tat­säch­lich häu­fig not­wen­dig, ein blo­ßes Anpas­sen des Plans oft nicht aus­rei­chend. „Schlei­fen“ sind aber nicht Ergeb­nis eines kon­kre­ten Vor­ge­hens („agil“ oder „klas­sisch“), son­dern unab­hän­gig vom Vor­ge­hen ein­fach nur der Tat­sa­che geschul­det, dass die Welt um einen her­um wäh­rend der Pro­jekt­lauf­zeit lei­der nicht still­steht. Die­se Erkennt­nis mani­fes­tiert sich in Vor­ge­hens­mo­del­len bei­der „Schu­len“ und zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung und Ver­mei­dung der „zwei Schrit­te zurück“ wer­den zumin­dest qua­li­ta­tiv ähn­li­che Maß­nah­men ergrif­fen – bei­spiels­wei­se das ite­ra­ti­ve Vor­ge­hen von Scrum oder aber das Pha­sen­mo­dell von PRINCE2. „Schlei­fen“ sind natür­lich eine Form von „Reagie­ren auf Ver­än­de­rung mehr als das Befol­gen eines Plans“ (Agi­les Mani­fest); das „Reagie­ren auf Ver­än­de­rung“ ist aber offen­kun­dig ganz all­ge­mein eine fak­ti­sche Not­wen­dig­keit – und zwar durch­aus prä­gend für die agi­len Vor­ge­hens­mo­del­le, aber natur­ge­mäß nicht dar­auf beschränkt.

„Schlei­fen flie­gen“ (die grü­ne Linie) war schon vor zwei Jahr­zehn­ten viel weni­ger absurd, als es auf den ers­ten Blick erscheint – und mit „Schlei­fen“ zu rech­nen, „Schlei­fen“ ein­zu­pla­nen, scheint mir inzwi­schen gera­de­zu not­wen­dig. Betrach­te ich die zuneh­men­de Beschleu­ni­gung der tech­ni­schen Ent­wick­lung im IT-Infra­struk­tur-Bereich, bin ich sogar geneigt, mein Dia­gramm nach lan­ger Zeit wenn schon nicht qua­li­ta­tiv, so wenigs­tens quan­ti­ta­tiv zu aktua­li­sie­ren: Die Schlei­fen wer­den mehr (bspw. Win­dows 10: alle 6 Mona­te eine Release), aber dafür klei­ner (es bleibt Win­dows 10):

Foot­no­tes:

  1.  Dan Roam erklärt „auf der Ser­vi­et­te“. In Deutsch­land sind es eher Bier­de­ckel – wobei die deut­lich häu­fi­ger bedruckt und damit unprak­ti­scher sind als Servietten.
  2.  Vgl. die­sen Twitter-Thread.
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