Ein oft humoristisch aufgenommenes, aber durchaus ernst gemeintes Diagramm, das ich schon seit vielen Jahren meist in der Planungsphase von Projekten zeichne, ist die folgende Darstellung möglicher Verhältnisse von Planung zu Fertigstellung:
- Blau: Diese Variante ist quasi die lege-artis-Version des Wasserfallmodells: Zuerst wird so weit wie irgend möglich geplant (die fast senkrechte Linie), dann mit der Implementierung (die fast waagerechte Linie) begonnen. So werden beispielsweise Autobahnbrücken oder Flughäfen gebaut – wobei ich damit nicht sagen möchte, dass dieses Vorgehen per se zum Scheitern verurteilt ist!
- Rot: Dem sowohl im Diagramm als auch metaphorisch diametral gegenüber steht ein Vorgehen, das gerade in kleineren und mittelständischen Unternehmen in der IT lange üblich war und teilweise immer noch üblich ist: erstmal installieren, dann vielleicht ein bisschen dokumentieren (gestrichelt) – und bloß keine Planung! So würde vermutlich „The IT Crowd“ ein „Projekt“ durchführen.
- Grün: Praktisch laufen IT-Infrastrukturprojekte längerer Laufzeit (also beispielsweise vieles, was bis ans Endgerät an womöglich mehreren Standorten reicht) meiner Erfahrung nach eher entlang der grünen Linie – und das schon lange bevor das „Schleifen fliegen“ („Pivoting“) durch Design Thinking, Lean Startup oder andere mehr oder minder berechtigt als „agil“ bezeichnete Methoden quasi geadelt wurde. Damit möchte ich jetzt nicht sagen, dass IT-Infrastruktur-Projekte quasi schon immer agil waren – im Gegenteil, ob der Erfahrung, dass viele IT-Infrastruktur-Projekte der grünen Linie folgen, erscheint es mir verwunderlich, wie groß die Widerstände gegen agile Methoden in diesem Bereich meiner Erfahrung nach oft sind.
Dass die roten Variante 2 kein Vorgehensmodell darstellt, nach dem eine einigermaßen professionelle IT-Abteilung arbeiten sollte, brauche ich wohl kaum zu erläutern – und die meisten IT-Organisationen sind diesem zum Beginn des PC-Zeitalters völlig normalen Entwicklungsstand zum Glück auch längst entwachsen. Der Anspruch der blaue Variante 1 allerdings ist heutzutage m. E. ebenfalls unangemessen – und das war im IT-Infrastruktur-Bereich womöglich schon immer so (deswegen zeichne ich dieses Diagramm seit rund zwei Jahrzehnten regelmäßig): Im Laufe jedes einigermaßen langen Projektes ändern sich die verwendeten Technologien quasi von allein – und das in zunehmendem Maße (vgl. hier). Eine statische, von Anfang an weitgehend vollständige und detaillierte Planung wird meist nach einigen Monaten zur Makulatur – allerspätestens, wenn sich nicht nur die Technik, sondern auch Umfeld und Anforderungen geändert haben.
Update 25.11.2018 – offenbar sind an dieser Stelle noch eine paar mehr Worte notwendig2: „Schleifen“, so wie hier dargestellt, haben etwas von „drei Schritte vor, zwei zurück“ – und genau das ist meiner Erfahrung nach leider auch tatsächlich häufig notwendig, ein bloßes Anpassen des Plans oft nicht ausreichend. „Schleifen“ sind aber nicht Ergebnis eines konkreten Vorgehens („agil“ oder „klassisch“), sondern unabhängig vom Vorgehen einfach nur der Tatsache geschuldet, dass die Welt um einen herum während der Projektlaufzeit leider nicht stillsteht. Diese Erkenntnis manifestiert sich in Vorgehensmodellen beider „Schulen“ und zur Risikominimierung und Vermeidung der „zwei Schritte zurück“ werden zumindest qualitativ ähnliche Maßnahmen ergriffen – beispielsweise das iterative Vorgehen von Scrum oder aber das Phasenmodell von PRINCE2. „Schleifen“ sind natürlich eine Form von „Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans“ (Agiles Manifest); das „Reagieren auf Veränderung“ ist aber offenkundig ganz allgemein eine faktische Notwendigkeit – und zwar durchaus prägend für die agilen Vorgehensmodelle, aber naturgemäß nicht darauf beschränkt.
„Schleifen fliegen“ (die grüne Linie) war schon vor zwei Jahrzehnten viel weniger absurd, als es auf den ersten Blick erscheint – und mit „Schleifen“ zu rechnen, „Schleifen“ einzuplanen, scheint mir inzwischen geradezu notwendig. Betrachte ich die zunehmende Beschleunigung der technischen Entwicklung im IT-Infrastruktur-Bereich, bin ich sogar geneigt, mein Diagramm nach langer Zeit wenn schon nicht qualitativ, so wenigstens quantitativ zu aktualisieren: Die Schleifen werden mehr (bspw. Windows 10: alle 6 Monate eine Release), aber dafür kleiner (es bleibt Windows 10):
Footnotes:
- ↑ Dan Roam erklärt „auf der Serviette“. In Deutschland sind es eher Bierdeckel – wobei die deutlich häufiger bedruckt und damit unpraktischer sind als Servietten.
- ↑ Vgl. diesen Twitter-Thread.