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Was mir in Online-Meetings fehlt – und wie ich es zu ersetzen versuche

Tim Themann

Nach etli­chen Mona­ten „vir­tu­el­ler“ Arbeit im Home­of­fice wenig ver­wun­der­lich: Ich schrei­be im Moment viel über Video­kon­fe­ren­zen (vgl. hier und hier). Inter­es­sant fin­de ich, wie wenig in mei­ner Wahr­neh­mung Tief­schür­fen­des ich dar­über lese und höre: Vie­les, was dar­über geschrie­ben wird, beschränkt sich auf die Tech­nik oder auf das „Wie kom­me ich online am bes­ten ‚rüber?“ Selbst Vor­trä­ge über das Füh­ren vir­tu­el­ler Teams – und auch davon habe in den letz­ten Mona­ten etli­che gehört – beschrän­ken sich meist auf alt­her­ge­brach­te Füh­rungs-Rat­schlä­ge – und natür­lich dar­auf, sich dar­über zu ela­bo­rie­ren, wie schwie­rig das vir­tu­ell jetzt alles ist. Es ist wirk­lich eine Crux: Offen­bar stap­fen wir nicht nur kon­kret-tech­nisch, son­dern auch abs­trakt-metho­disch häu­fig immer noch schlecht ori­en­tiert durch das ver­meint­li­che „Neu­land“ – und genau das ist ja auch gesell­schaft­lich akzep­tiert, m. E. vor allem in jenen Tei­len der Gesell­schaft, die ihrer geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Aus­bil­dung wegen genau jetzt eigent­lich auf­ge­ru­fen wären, einen Bei­trag zur Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur zu leis­ten. An einem zukunfts­ge­wand­ten, kon­struk­tiv-kri­ti­schen Dis­kurs über die „Digi­ta­li­sie­rung“ fehlt es mir per­sön­lich mehr als an der eigent­li­chen „Digi­ta­li­sie­rung“ – und das will wirk­lich etwas heißen!

Doch genug der Vor­re­de: Was ich bis­her im Kon­fe­renz­raum in direk­tem Kon­takt mit den Men­schen unter inten­si­vem Ein­satz von Visua­li­sie­run­gen getan habe, hat sich bis auf wei­te­res ins Vir­tu­el­le ver­la­gert – und das ist m. E. tat­säch­lich gar nicht so ein­fach und oft­mals sehr, sehr viel anstren­gen­der. Was aber macht es so anstren­gend? Nach mei­ner per­sön­li­chen Erfah­rung – aber auch nach vie­len Gesprä­chen– wür­de ich zu der Behaup­tung nei­gen, dass vor allem zwei Din­ge feh­len, die im „phy­si­schen“ Vie­les ein­fa­cher machen: Blick­kon­takt und (eige­ne und frem­de) Kör­per­spra­che.

Blickkontakt

Zur (Sozial‑)​Psychologie und Anthro­po­lo­gie des Blick­kon­tak­tes exis­tie­ren umfang­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen; die Rele­vanz des Blick­kon­tak­tes zwi­schen zwei Men­schen ist fast unab­hän­gig von der Situa­ti­on extrem hoch. Ich möch­te mich an die­ser Stel­le auf die non-ver­ba­le Kom­mu­ni­ka­ti­on in Mee­ting-Situa­tio­nen beschrän­ken – genau genom­men auf die auf der (meist nur ver­meint­li­chen) Sachebene.

In einer Video­kon­fe­renz ist „ech­ter“ bila­te­ra­ler Blick­kon­takt zwi­schen zwei Men­schen ten­den­zi­ell nicht mög­lich: Ent­we­der ich schaue in die Kame­ra und wir­ke damit für den ande­ren, als schau­te ich ihn an – oder ich schaue auf dem Video­bild in die Augen des ande­ren. Ich kann ich zwar Blick­kon­takt zu allen auf­neh­men, indem ich direkt in die Kame­ra (und nicht auf den Bild­schirm) schaue, ich kann aber kei­ne „viel­sa­gen­den Bli­cke“ mit ein­zel­nen, kon­kre­ten Teil­neh­mern aus­tau­schen – es ist ein­fach nie­man­dem klar, ob er oder sie gera­de Adres­sat des jewei­li­gen Bli­ckes im Video­bild ist. Blick­kon­takt mit allen hilft sicher­lich, die Ver­bin­dung zum Publi­kum zu ver­bes­sern, wenn man einen Vor­trag hält​1, bila­te­ra­ler Blick­kon­takt fehlt in einer Mee­ting- oder gar Mode­ra­ti­ons­si­tua­ti­on aber sehr merk­lich: In den meis­ten Grup­pen­si­tua­tio­nen wer­den unglaub­lich vie­le Din­ge zwi­schen ein­zel­nen Teil­neh­mern geklärt, indem Bli­cke aus­ge­tauscht wer­den – sei es, um sich der Unter­stüt­zung eines ande­ren zu ver­si­chern, um unhör­bar zu kom­men­tie­ren oder z. B., um Unter­stüt­zung zu bit­ten. Jetzt könn­te man natür­lich ein­wen­den, dass die­se unhör­ba­re bila­te­ra­le Par­al­lel-Kom­mu­ni­ka­ti­on eigent­lich uner­wünscht ist, nicht dem Work­shop-Set­ting ent­spricht, Asym­me­trien in der Grup­pen­kom­mu­ni­ka­ti­on ver­ur­sacht. All das mag rich­tig sein, aber: Sie fand bis­her statt, mas­siv. Im Vir­tu­el­len fehlt sie – zumin­dest bei mehr als zwei Teil­neh­mern. Und die­ser Man­gel ist ekla­tant, haben doch vie­le The­men die­ser non-ver­ba­len Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Rück­ver­si­che­rung zu tun, mit Sicher­heit. Anders for­mu­liert: Im Phy­si­schen kann ich meist „sehen“, was mein Vorgesetzter/​Teamkollege/​… über mei­ne Äuße­rung, den Ver­lauf des Mee­tings o. Ä. denkt – im Vir­tu­el­len erfah­re ich das womög­lich erst zu spät. Dass das als anstrengend(er) wahr­ge­nom­men wird, ver­wun­dert wenig.

Nun könn­te man ver­su­chen, das Pro­blem tech­nisch zu lösen, einen eige­nen bila­te­ra­len, par­al­le­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal auf­bau­en – z. B. einen pri­va­ten Chat. Das wäre aller­dings ein deut­li­ches Mehr an Kom­mu­ni­ka­ti­on als ein blo­ßer Blick­kon­takt, wür­de die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­ti­on noch ein­mal deut­lich ändern – und das nicht unbe­dingt zum Guten; die Bedeu­tung der Grup­pe als Gan­zes wür­de dadurch sicher­lich in einer für vie­le Work­shop-Sze­na­ri­en ungüns­ti­gen Wei­se redu­ziert und in hier­ar­chisch gepräg­ten Grup­pen ent­stün­den womög­lich stö­ren­de Asym­me­trien. Im Fal­le einer „Ent­de­ckung“ des pri­va­ten Kanals durch ande­re Teil­neh­mer droht mög­li­cher­wei­se gar ein Ver­trau­ens­ver­lust. Ich wür­de – außer in spe­zi­fi­schen, wohl durch­dach­ten Aus­nah­me­fäl­len – nicht dazu raten.

Sinn­vol­ler erscheint mir, eine Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur zu eta­blie­ren, in der sol­che „Neben­ka­nä­le“ nicht nötig sind – ein­an­der mit so viel Ver­trau­en, Offen­heit und Wert­schät­zung zu begeg­nen, dass aus­schließ­lich „mit offe­nen Kar­ten gespielt“ wird. Nun dürf­te dies ja schon immer erstre­bens­wert gewe­sen sein – in der ein­ge­schränk­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­ti­on einer Video­kon­fe­renz aber wird noch ein­mal beson­ders deut­lich, falls es dar­an fehlt! Die Beschrän­kun­gen einer Video­kon­fe­renz sind hier also eine Chan­ce für sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ve Ver­bes­se­run­gen: Spü­re ich das Bedürf­nis nach einem zusätz­li­chen pri­va­ten, bila­te­ra­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal, gilt es inne­zu­hal­ten und zu reflek­tie­ren: Woher kommt die­ses Bedürf­nis – und was kann ich an der Grup­pen­si­tua­ti­on oder der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur ändern, um die­sen „Neben­ka­nal“ über­flüs­sig zu machen?

Körpersprache

Kör­per­si­gna­le zu beach­ten – bei sich selbst, aber auch bei ande­ren – ist nicht ohne Grund eine der Hilfs­re­geln der The­men­zen­trier­ten Inter­ak­ti­on (TZI): Für sich selbst merkt man so im Mee­ting meist recht zuver­läs­sig, wie es einem mit dem The­ma, dem Gesprächs­ver­lauf oder den Beschlüs­sen geht – und ande­ren kann man das auch oft (bewusst oder unbe­wusst) anse­hen. Zudem dient die Kör­per­spra­che häu­fig auch als non-ver­ba­le „Wort­mel­dung“, man sieht den Teil­neh­mern meist recht gut an, dass sie etwas sagen möch­ten, aber nicht zu Wort kom­men – oder gera­de im Fall eher intro­ver­tier­ter Teil­neh­mer womög­lich dar­auf war­ten, end­lich gefragt zu wer­den. Nur sehr wenig von all dem sieht man im oft unschar­fen oder sehr klei­nen Video­bild, der begrenz­te Bild­aus­schnitt ver­birgt meist sogar ein­fa­che Ges­ten wie ableh­nend ver­schränk­te Arme. In grö­ße­ren Online-Mee­tings sieht man oft nicht ein­mal alle Teil­neh­mer gleich­zei­tig – und noch weni­ger sieht man, wenn – und das ist lei­der häu­fig – die Kame­ra aus­ge­schal­tet wurde​2. Nach mei­ner Erfah­rung ist das vor allem für intro­ver­tier­te Mee­ting-Teil­neh­mer ein Pro­blem: In einer gut funk­tio­nie­ren­den Grup­pe wür­den die ande­ren (oder zumin­dest der Mode­ra­tor) deren Befin­den und even­tu­el­le unter­schwel­li­ge Wort­mel­dun­gen wahr­neh­men und aktiv dar­auf ein­ge­hen, kom­mu­ni­ka­ti­ve Hil­fe­stel­lung geben. In einem Online-Mee­ting aber über­sieht selbst ein erfah­re­ner Mode­ra­tor womög­lich wich­ti­ge Alarm­zei­chen, die Stö­rung bleibt unbe­ar­bei­tet und der Betrof­fe­ne auf sei­nen Ein­wän­den oder Emo­tio­nen sit­zen. Was könn­te hier – neben deut­lich erhöh­ter Auf­merk­sam­keit für die ande­ren Teil­neh­mer – hel­fen? Ich pro­bie­re es mit:

Für die Kör­per­spra­che gilt Ähn­li­ches wie für den Blick­kon­takt: In einer Atmo­sphä­re der Offen­heit, in der die Din­ge an- und aus­ge­spro­chen wer­den, ist man weni­ger dar­auf ange­wie­sen. Eine offe­ne­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur und mehr des auf­ein­an­der Ach­tens macht vie­les für alle ein­fa­cher – nicht nur in einer Video­kon­fe­renz und nicht nur wäh­rend einer Pandemie.

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