Bewegung erzeugt Aufmerksamkeit – und die richtet sich auf die Bewegung. Babys betrachten fasziniert das Mobile über ihrer Krippe, Erwachsene bemerken die kleinste Bewegung im Augenwinkel, erschrecken womöglich – unser evolutionäres Erbe priorisiert Bewegtes gegenüber Statischem. Deswegen winken wir, um auf uns aufmerksam zu machen.
Bewegung wird also häufig gezielt eingesetzt, um den Fokus der Aufmerksamkeit zu lenken – beispielsweise im Spiel mit Kindern, im Kino und Theater, in der Werbung. Das allerdings, was an Bewegung beim Präsentieren auf großer Bühne zu sehen it, wirkt allerdings m. E. oftmals völlig ungezielt. Ich beobachte es seit Jahren verwundert – nachdem ich es jetzt auch auf der re:publica in geradezu absurder Extremform erlebt habe, muss ich endgültig einmal etwas dazu schreiben:
Die Präsentationsfolien oder das Videobild des Referenten mit bewegten „Dekorationen“1 zu „rahmen“, ist störend und kontraproduktiv!
Große Bühnen bieten viel Projektionsfläche. Große Teile davon werden meist mehr oder minder sinnvoll genutzt: für die Präsentation und/oder das Videobild des Referenten. Die ungenutzte Fläche – bei großen Bühnen mit mehreren Projektionsflächen z. B. der Zwischenraum – scheint jedoch ein Dorn im Auge zu sein; „Weißraum“ scheint bei der Bühnengestaltung unerwünscht. Er muss offenbar gefüllt werden – heutzutage meist mit „Lichtinstallationen“: bewegten, meist farbigen Scheinwerfern oder Projektoren, die bunt Animiertes auf jeden Millimeter der Bühne werfen, der nicht unmittelbar als Projektionsfläche benötigt wird. Und so flimmert und zappelt es kontinuierlich auf der Bühne – unmittelbar neben der Präsentation, dem Referenten oder seinem Videobild.
Niemand käme auf die Idee, seinen Vortrag zu „dekorieren“, indem eine Schaar großgewachsener Menschen direkt neben ihm oder ihr ununterbrochen winkend auf der Bühne steht2. Die flimmernde Bühnendeko hingegen scheint irgendwie niemanden zu stören. Mich lenkt sie wahnsinnig ab – ab vom Referenten und ab von der visuellen Untermalung, der Präsentation. Es werden unzählige Seminare zur „persönlichen“ Bühnenpräsenz gehalten und gut besucht – dass eben diese Präsenz viel deutlicher wäre, würde nicht die flimmernde „Bühnen-Dekoration“ vom kleinen redenden Männchen oder Weibchen auf der großen Bühne ablenken, scheint niemandem klar zu sein.
Besonders absurde Blüten trieb dieser Dekorationswahn auf der diesjährigen re:publica (<https://re-publica.com>): Beiderseits der Hauptbühne mit ihrer großen Leinwand befanden sich zwei kleine Projektionsflächen, auf denen unter dem Videobild des Referenten eine Live-Mitschrift des Vortrags zu sehen war – gerade unter dem Aspekt der Barrierefreiheit eine großartige Idee. Die obligatorische über die Bühne flimmernde Animation jedoch lenkte nicht nur wie beschrieben ab, sondern überstrahlte zeitweilig den Text und ließ verschwinden – und führte so die Barrierefreiheit ad absurdum!
Alles, was in den letzten Jahren über „User Experience“ („UX“) geschrieben wurde – für die Bühne scheint es nicht zu gelten. Dabei ist das Bühnenbild für einen Vortrag, für eine Keynote, keine „hohe Kunst“, kein Theater und erst recht keine Videokunst-Installation, sondern schlicht Gebrauchskunst – schnörkelloses, möglichst effektives Kommunikationsdesign. Bewegung erzeugt Aufmerksamkeit – und die sollte dem Referenten und seinen Inhalten gelten.
Footnotes:
- ↑ Zum Unterschied zwischen „Dekoration“ und „Illustration“ siehe hier.
- ↑ Abgesehen von dem einen oder anderen Eurovision-Song-Contest-Kandidaten. Nur zur Sicherheit sei angemerkt: Ein Vortrag – auch Ihr Vortrag – ist keine „Grand-Prix-Show“.