Menschen
Es erstaunt wirklich, wie selten Menschen in einschlägigen IT-spezifischen Visualisierungen auftauchen. IT-Infrastrukturen sind in den allerwenigsten Fällen ein Selbstzweck; in aller Regel dienen sie dazu, Menschen ihre Arbeit zu vereinfachen oder gar erst zu ermöglichen. Eben dieser Sachverhalt manifestiert sich auch zunehmend in den Marketing-Texten der großen Hersteller – eine „Business-Orientierung“ der IT kommt ohne den eigentlichen Protagonisten und vor allem auch Nutznießer der Wertschöpfung (den Menschen!) nicht aus. Umso erstaunlicher ist es, dass vor den Endgeräten praktisch aller Visualisierungen kein Mensch sitzt. Menschen werden allerhöchstens in Form eines dürren Strichmännchens als „User“1, z. B. in Darstellungen von Verzeichnisdiensten, geduldet.
Betrachtet man das Visualisieren als kommunikativen Akt, gilt sicherlich (zumindest in abgemilderter Form) Watzlawicks Hypothese, man könne nicht nicht kommunizieren2. Aus linguistisch-semiotischer Sicht (nach der Kommunikation für die meisten Autoren ein intentionsbehafteter, gerichteter Vorgang ist), erscheint folgende Version der Hypothese pragmatisch sinnvoll: „Es ist unvermeidlich, dass auch unabsichtliches Verhalten als Zeichen genommen und interpretiert wird.“3 Das fehlende Zeichen „Mensch“ ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit für ihre Zuschauer bedeutungstragend – und selbst, falls es eine Überinterpretation ist, hierin eine Manifestation der den Menschen vergessenden Technikverliebtheit der ITler zu sehen: Ihr Publikum wird es tun. Der Mensch gehört einfach dazu – das fehlende Zeichen hinterlässt eine sichtbare Lücke. Findet der Mensch jedoch Eingang in Ihre Visualisierungen, kann das einen sehr positiven Effekt haben: Ihre Zuschauer finden sich womöglich selbst wieder, identifizieren sich mit den Menschen-Piktogrammen in Ihrer Zeichnung und können so viel einfacher erfassen, was die visualisierte Infrastruktur für sie (oder ihre Kollegen/Mitarbeiter/Anwender) konkret bedeuten könnte. Gerade in der Kommunikation mit nicht-technischen Entscheidern oder Endanwendern kann dies ausschlaggebend sein.
Vergessen Sie den Menschen nicht – auch nicht in Ihren Visualisierungen.
Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten, Menschen zu zeichnen – außerhalb der IT ist das Visualisieren von Menschen so bedeutsam, dass gar Monographien dazu existieren4. Die sicherlich verbreitetste Möglichkeit, Menschen zu zeichnen, ist das „Strichmännchen“ in unterschiedlichsten Varianten:
Strichmännchen haben kaum Fläche, wirken dadurch dürr und kontrastieren stark mit den zumeist flächigen weiteren „Wörtern“ Ihrer Bildsprache. Das einzige Element einer Visualisierung, das ebenfalls keine Fläche hat, dürften meistens (Netzwerk‑)Verbindungen sein. Kurz: Strichmännchen werden der wichtigen Rolle des Menschen und dem Menschenbild, das der Visualisierende vermitteln sollte, nicht gerecht.
Flächige Visualisierungen von Menschen erscheinen also naheliegender – zum Beispiel als „Kegel-“ oder als „Sternmännchen“5.
Kegelmännchen (egal, ob mit dreieckigem oder mit rundem Korpus) sind einfach zu zeichnen und können zudem einfach gruppiert werden:
Sternmännchen sind ein wenig schwerer zu zeichnen, ermöglichen aber viel Ausdruck und eignen sich insofern vor allem für Themenbereiche, in denen spezifische Gesten oder gar menschliche Emotionen6 eine große Rolle spielen:
Flächige Piktogramme haben einen weiteren Vorteil: Sie lassen sich recht einfach kolorieren (z. B. mit Wachsmalstiften oder Ölkreiden – vgl. S. 39), um z. B. unterschiedliche Anwenderkreise oder Ähnliches zu kennzeichnen.
Besteht die Möglichkeit, dass sich Ihr Publikum vor dem Hintergrund anstehender (IT- und/oder Organisations‑)Veränderungen ehedem schon wie die sprichwörtliche Figur auf dem Spielfeld fühlt, könnten Kegel diese Assoziation noch stärken; in solchen Situationen erscheinen Sternmännchen sicherlich neutraler.
Selbst in der IT gibt es talentierte Zeichner – die Verwendung von kompletten Comic-Figuren für technische Visualisierungen erscheint dennoch ablenkend und verschiebt den Schwerpunkt in einer nicht themen- und situationskonformen Weise7.
Alle im Text und in den Fußnoten erwähnten Literaturhinweise sind übrigens unter „Literatur und Links im Buch“ komfortabel verlinkt.
Footnotes:
- ↑ Die Verwendung des Begriffs „User“ für Anwender bzw. Benutzer ist nach Meinung des Verfassers eine Unsitte. Dieser Anglizismus ist zum einen überflüssig – es gibt geeignete und verbreitete deutsche Wörter –, zum anderen betont er nach Auffassung des Verfassers bei der Verwendung im Deutschen die der IT nachgesagte, aber nicht sinnvolle Distanz zum Menschen.
- ↑ Zum sog. „Metakommunikativen Axiom“ vgl. Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H.; Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. 12., unveränd. Aufl. Bern: Verlag Hans Huber 2011.
- ↑ Vgl. Linke, Angelika; Nussbaumer, Markus; Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 3., unveränd. Aufl. Tübingen: Max Niemeyer Verlag GmbH. & Co. KG 1996. S. 29.
- ↑ Zum Beispiel Stephan, Ulrich: Menschen grafisch visualisieren: 43 Fragen & Antworten zum Thema grafische Visualisierung. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung GmbH & Co. KG 2009.
- ↑ Vgl. Stephan, Ulrich: a. a. O., S. 13.
- ↑ Unterschiedlichste Emotionen und Gesten finden sich in Stephan, Ulrich: a. a. O.
- ↑ Es ist übrigens andererseits durchaus sehr erfolgreich möglich, seine IT-Profession an den Nagel zu hängen und sich vollständig auf das Zeichnen von Comics zu konzentrieren – siehe <http://www.schlockmercenary.com/>.