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Was sind eigentlich nochmal Sketchnotes?

Tim Themann

Der Begriff „Sketch­no­tes“ ist ver­mut­lich einer der Neo­lo­gis­men mit der rasan­tes­ten Ent­wick­lung (vgl. Goog­le Trends) – aller­dings in der Tiefe​1 und in der Brei­te: Inzwi­schen scheint mir alles, was eini­ger­ma­ßen visu­ell und nicht groß­for­ma­tig ist, als „Sketch­no­te“ bezeich­net zu wer­den. Das hal­te ich für ein Problem.

Betrach­tet man die Gene­se des Begriffs – ein Kom­po­si­tum aus „[to] sketch“ („zeich­nen“) und „notes“ („Noti­zen“) –, so ging es ursprüng­lich dar­um, „klas­si­sche“ Mit­schrif­ten von Vor­trä­gen o. ä. durch etwas Visu­el­le­res zu ersetz­ten, das (so die Theo­rie) beim Ver­fer­ti­gen mehr Spaß mache und sich im Ergeb­nis leich­ter mer­ken lasse​2. Ich selbst schrei­be meist ein­fach mit – und das sehr viel –, aber ich kann in der Tat beob­ach­ten, dass Sketch­no­tes offen­bar für vie­le Men­schen beim Ver­ar­bei­ten des Gehör­ten hilf­reich sind; auch ohne hin­rei­chen­de empi­ri­sche Absi­che­rung erscheint mir der Ansatz auf den ers­ten Blick vielversprechend.

Etwas erstau­nen (aber auch erfreu­en) tut mich, wie „viru­lent“ das Visu­el­le gewor­den ist: Erst mal mit dem „Visua­li­sie­rungs-Virus“ infi­ziert, nut­zen vie­le Men­schen das Zeich­ne­ri­sche in allen mög­li­chen Zusam­men­hän­gen – und das oft jeweils für sich sehr erfolg­reich. Ganz neben­bei ver­ein­facht mir die­se Ent­wick­lung auch noch mei­ne Arbeit: Ich muss viel weni­ger erklä­ren und es wird viel weni­ger „komisch geguckt“, wenn ich im Mee­ting-Raum als Aller­ers­tes das Flip­chart kape­re und zu zeich­nen beginne.

Pro­ble­ma­tisch an die­ser Ent­wick­lung fin­de ich aller­dings eines: Alles ist auf ein­mal eine „Sketch­no­te“. Egal, ob ein Koch­re­zept, die Arbeits­blät­ter für den Unter­richt, Rei­se­plä­ne, gute Vor­sät­ze fürs neue Jahr oder ein­fach eine Illus­tra­ti­on – all dies wird inzwi­schen häu­fig ein­fach nur als „Sketch­no­te“ bezeich­net. Nun habe ich über­haupt nichts dage­gen, Koch­re­zep­te oder Arbeits­blät­ter visu­el­ler zu gestal­ten – im Gegen­teil. Es sind nur kei­ne „Notes“ im enge­ren Sin­ne, also auch kei­ne „Sketch­no­tes“ – und das hal­te ich für wich­tig. Wich­tig nicht (nur), weil mir exak­te Nomen­kla­tur wich­tig ist und ich (so sagt man) gern mal ober­leh­rer­haft bin, wich­tig vor allem, weil Spra­che das Den­ken beeinflusst​3.

Nen­ne ich das Rezept nicht mehr Rezept und das Arbeits­blatt nicht mehr Arbeits­blatt, son­dern alles nur noch „Sketch­no­te“, geht etwas ver­lo­ren: Es wird alles in einen Topf gewor­fen und es fehlt in der direk­ten Fol­ge an einer spe­zi­fi­schen, am Ziel des Doku­ments ori­en­tier­ten Bezeich­nung. Alles unter „Sketch­no­tes“ zu sub­su­mie­ren, ver­la­gert m. E. den sprach­li­chen Schwer­punkt und damit in gewis­sem Umfang auch das Den­ken von der kon­kret-inhalt­li­chen Kate­go­rie (dem Rezept/​Arbeitsblatt/​…) zur Form (dem „Sketch“).

Eine Über­be­to­nung der Form hat mei­ner Erfah­rung nach noch kei­nem Inhalt gutgetan.

Dazu kommt: Nie­mand wür­de sein müh­sam erar­bei­te­tes Arbeits­blatt als „Notiz“ bezeich­nen, nie­mand vom gelieb­ten Koch­re­zept der Urgroß­mutter nur ein­fach als „Notiz“ spre­chen. In bei­den Fäl­len wirkt „Notiz“ bei genaue­rer Betrach­tung gera­de­zu ent­wer­tend – denn es han­delt sich um etwas ande­res, etwas Konkreteres.

Die­se seman­ti­sche Belie­big­keit hat m. E. aller­dings auch noch eine ande­re Fol­ge: Der Begriff „Sketch­no­tes“ wird durch infla­tio­nä­re Ver­wen­dung sei­nes eigent­li­chen und ursprüng­li­chen Inhalts beraubt – etwas, das mei­ner Über­zeu­gung nach der ursprüng­li­chen Idee des „anders Notie­rens“ als neue Tech­nik der geis­ti­gen Arbeit nicht gut­tun kann.

Unter­schied­li­che Begrif­fe für Unter­schied­li­ches zu ver­wen­den, betont den Unter­schied – und das ist in die­sem Fall rich­tig und wich­tig, denn es ist die Unter­schied­lich­keit des Inhalts, die rele­vant ist, nicht die Ähn­lich­keit der (visu­el­len) Form.

War­um nicht ein­fach nur Sketch­no­tes „Sketch­no­tes“ nen­nen und die Idee des visu­el­le­ren Notie­rens unter die­ser Bezeich­nung ver­brei­ten? Und war­um nicht Illus­tra­tio­nen „Illus­tra­tio­nen“ nen­nen, visu­el­le Rezep­te „visu­el­le Rezep­te“, einen visu­el­len Lebens­lauf einen „visu­el­len Lebens­lauf“ und viel­leicht ein visu­ell gestal­te­tes Arbeits­blatt ein­fach „Arbeits­blatt“? Das Visu­el­le, das „dual coding“ soll­te in die­sem wie in vie­len ande­ren Fäl­len eigent­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein (vgl. hier) – aber es erschafft nicht auto­ma­tisch eine neue inhalt­li­che Kategorie.

Fuß­no­ten:

  1.  Im Sin­ne hoher Prävalenz.
  2.  Vgl. Roh­de, Mike: Das Sketch­no­te-Hand­buch. Der illus­trier­te Leit­fa­den zum Erstel­len visu­el­ler Noti­zen. Hei­del­berg: mitp 2014, aber auch den deutsch­spra­chi­gen Wiki­pe­dia-Arti­kel oder z. B. <http://​sketch​no​tes​.de> (07.03.2018).
  3.  Die sog. Sapir-Whorf-Hypo­the­se.
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