Der „Ampel-Fetisch“ im ProjektMANAGEMENT

Ein mir gut bekann­ter Sechs­jäh­ri­ger hat ein Fai­ble für Ampeln – jede der gera­de in Ham­burg nicht unbe­dingt sel­te­nen „Licht­si­gnal­an­la­gen“ muss ein­zeln inspi­ziert und kom­men­tiert wer­den; kleins­te Beson­der­hei­ten erfah­ren eine umfang­rei­che Wür­di­gung. Dar­über sin­nie­rend, woher wohl die­se Fas­zi­na­ti­on kom­men mag, fiel mir auf: Er ist nicht der Ein­zi­ge – der „Ampel-Fetisch“ ist erstaun­lich ver­brei­tet. Ampel - ProjektstatusIch sehe andau­ernd Ampeln – in prak­tisch jedem (Projekt‑)​Statusmeeting! Gera­de in Umfel­dern, in denen der zwei­te Wort­teil von „Pro­jekt­MA­NAGE­MENT“ bes­ser in Ver­sa­li­en gesetzt wer­den sollte​1, bevöl­kert die „Sta­tus-Ampel“ meist unzäh­li­ge Foli­en der obli­ga­to­ri­schen, oft­mals durch die METHODE​2 fest vor­ge­ge­be­nen Pro­jekt­sta­tus-Prä­sen­ta­tio­nen. Dabei ist die Ampel m. E. denk­bar unge­eig­net, den Sta­tus eines Arbeits­pa­kets oder (Teil‑)​Projekts darzustellen.

Rot-Gelb-Grün – das neue Schwarz-Weiß?

Der Ver­such, Infor­ma­tio­nen durch Reduk­ti­on des Detail­lie­rungs­gra­des „für das Manage­ment auf­zu­be­rei­ten“, ist an sich löb­lich. Sie so sehr zu redu­zie­ren, dass sie kei­ne qua­li­fi­zier­te Ent­schei­dungs­grund­la­ge mehr ist, ist jedoch kei­nes­falls sinn­voll und führt zu unin­for­mier­ten Ent­schei­dun­gen, die aller­höchs­tens zufäl­lig (oder auf­grund mani­pu­la­ti­ver Reduk­ti­on) „rich­tig“ sind. Gera­de die Ampel-Meta­pher redu­ziert die Infor­ma­ti­on m. E. in zwei­er­lei Hin­sicht gera­de­zu „bru­tal“:

  • Null und Eins - Schwarz und WeissDie quan­ti­ta­ti­ve Infor­ma­ti­on wird zwar nicht ganz auf „0 oder 1“ („Schwarz-Weiß“) redu­ziert, jedoch auf ein kaum weni­ger mini­ma­lis­ti­sches „0 oder 1/​2 oder 1“. Der Sta­tus „gelb“ bei­spiels­wei­se sagt nichts dar­über, wie weit man noch vom „roten“ Abgrund ent­fernt ist (Update 11.05.2016: vgl. hier). Ver­zich­tet man auf die Form der Ampel, kann man die Dar­stel­lung durch eine Ska­la (oder einem „Ther­mo­me­ter“) mit einem flie­ßen­den Über­gang von grün über gelb nach rot deut­lich ver­bes­sern; Ska­len die­ser Art behe­ben jedoch nicht den zwei­ten, m. E. noch grö­ße­ren Man­gel der Ampel-Metapher:
  • Die Dimen­sio­na­li­tät der Infor­ma­ti­on wird häu­fig ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te auf „eins“ redu­ziert. Dabei kennt das Pro­jekt­ma­nage­ment drei Steue­rungs­grö­ßen: Pro­jekt­ma­nage­ment besteht vor allem dar­in, Zeit, Kos­ten und Qua­li­tät (bzw. Fort­schritt) im „magi­schen Drei­eck des Pro­jekt­ma­nage­ments“ müh­sam aus­zu­ta­rie­ren. Die­sen hoch­kom­ple­xen Balan­ce­akt auf die Ein­di­men­sio­na­li­tät einer Ampel-Farb­ska­la oder gar die drei Far­ben einer Ampel zu redu­zie­ren, wird ihm in kei­ner Wei­se gerecht – und redu­ziert die Infor­ma­ti­on maß­geb­lich: Ob das Pro­jekt gera­de zeit­lich, finan­zi­ell oder inhalt­lich „im roten Bereich“ ist, ist ein rie­si­ger Unter­schied und soll­te auf den ers­ten Blick erkenn­bar sein – selbst aus der „Vogel­per­spek­ti­ve“ des Managements!

Die Ampel-Meta­pher geeig­net zu „erwei­tern“, erscheint mir nicht ein­fach – eine m. E. nicht im Über­maß redu­zier­te Dar­stel­lung müss­te also anders als eine ein­fa­che Ampel allen drei Dimen­sio­nen (rela­tiv oder abso­lut) mög­lichst sogar quan­ti­ta­tiv Rech­nung tragen:

Ampel - Projektmanagement - magisches DreieckAmpel - Projektmanagement - magisches Dreieck - quantitativ

Kri­ti­siert man den gerin­gen Infor­ma­ti­ons­ge­halt von Prä­sen­ta­ti­ons-Foli­en, wird häu­fig ent­geg­net, dass die feh­len­den Details ja „auf der Ton­spur“ über­mit­telt wür­den. Das mag zwar sein – gilt aber nur für das eigent­li­che Mee­ting: In vie­len Orga­ni­sa­tio­nen ist es üblich, die Foli­en im Anschluss an die Bespre­chung an alle ein­ge­la­de­nen Teil­neh­mer zu ver­schi­cken – also auch an die­je­ni­gen, die dem Mee­ting mehr oder min­der ange­kün­digt fern­ge­blie­ben sind. Oft genug sind das die eigent­lich ent­schei­den­den Men­schen – die „Ent­schei­der“ –, die sich nun ohne die „Ton­spur“ auf­grund von roten, gel­ben und grü­nen Ampeln eine Mei­nung bil­den und womög­lich auf die­ser Grund­la­ge Ent­schei­dun­gen fäl­len. Vie­le Ent­schei­der begrü­ßen die­se Art der Infor­ma­ti­on sogar, kön­nen sie doch auf­grund der bis zur ver­meint­li­chen Ein­deu­tig­keit redu­zier­ten Infor­ma­ti­on ver­meint­lich ein­deu­tig ent­schei­den. Und so ist erstaun­lich häu­fig zu beob­ach­ten, wie sich sonst oft gar zum „Micro­ma­nage­ment“ nei­gen­de Füh­rungs­kräf­te mit bis zur Unkennt­lich­keit redu­zier­ten Infor­ma­tio­nen abspei­sen las­sen. Ein­fa­che Wahr­hei­ten sind in unse­rer zuneh­mend über­kom­ple­xen Welt immer gern genom­men – und viel ein­fa­cher und „ein­deu­ti­ger“ als eine Ampel geht es kaum.

Ampeln müs­sen ein­deu­tig sein – alles ande­re wäre im Stra­ßen­ver­kehr fatal. Mul­ti­di­men­sio­na­le Grö­ßen, die nicht nur drei mög­li­che Wer­te anneh­men kön­nen, auf das mit einer Ampel Dar­stell­ba­re zu redu­zie­ren, hat jedoch das Poten­ti­al, zu Infor­ma­ti­ons­lü­cken und fata­len Ent­schei­dun­gen zu führen.

Ich möch­te an die­ser Stel­le natür­lich kei­nes­falls für mit Infor­ma­ti­on über­la­de­ne Foli­en plä­die­ren (und von dem Kon­zept des Slide­docs bin ich auch nicht gera­de begeis­tert) – aber alles, was auf der Folie ist, soll­te in sich voll­stän­dig und nicht sinn­ver­zer­rend redu­ziert sein. Ist das nicht mög­lich, darf die Folie auf kei­nen Fall ohne „Ton­spur“ ver­schickt wer­den; sind vie­le wich­ti­ge Adres­sa­ten gar nicht anwe­send, soll­te eher ein schrift­li­cher Bericht ver­schickt als ein schlecht besuch­tes Mee­ting abge­hal­ten werden.

Andreaskreuz - Projektmanagement - Schranken in der OrganisationNeben­bei bemerkt: Besag­ter Sechs­jäh­ri­ger hat übri­gens neben sei­nem aus­ge­präg­ten Fai­ble für Ampeln auch auch eine Pas­si­on für Bahn­über­gän­ge, ins­be­son­de­re für ihre Schran­ken und Andre­as­kreu­ze. Im Gegen­satz zur Ampel ist mir das Andre­as­kreuz als visu­el­le Meta­pher noch in kei­ner Prä­sen­ta­ti­on begeg­net. Wür­den sich Mana­ger mit der der­sel­ben Ver­ve den meta­pho­ri­schen Schran­ken in ihrer Orga­ni­sa­ti­on wid­men, wie den Sta­tus-Ampeln ihrer Pro­jek­te – es gäbe womög­lich eine grü­ne Welle!

Fuß­no­ten:

  1.  Ana­log zu Tom DeMar­cos (<https://​sys​temsguild​.eu/​t​om-demarco>) Ansatz, dog­ma­tisch ein­ge­setz­te Metho­di­ken als „METHODIKEN“ (im Eng­li­schen: „metho­do­lo­gy“ bzw. „Metho­do­lo­gy“) zu schreiben.
  2.  Vgl. vor­ste­hen­de Fußnote.

3 Replies to “Der „Ampel-Fetisch“ im ProjektMANAGEMENT”

  1. Hal­lo und vie­len Dank für den hilf­rei­chen Gedan­ken­im­puls. Ich kann dem Arti­kel grund­sätz­lich fol­gen, muss letzt­den­lich aber doch wie­der­spre­chen. Denn Ampeln haben im Pro­jekt­sta­tus einen Zweck und hel­fen bei der Orientierung:
    1. Ampeln sind sehr schnell viusell zu erfas­sen. Das geht deut­lich bes­ser als mit viel Text oder einer 10-teil­i­gen Ska­la. Die Kern­aus­sa­ge mei­ner Folie ist damit auf den Punkt gebracht.
    2. Ampeln hel­fen bei der Über­sicht. Egal ob nach Qua­li­tät-Kos­ten-Zeit oder nach Teil­pro­jek­ten sor­tiert bekommt jedes Ele­ment sei­ne Ampel. Und wenn alles grün ist bis auf die Kos­ten, kön­nen sich die Teil­neh­mer in der Bespre­chung auf die­sen wich­ti­gen Punkt konzentrieren.
    3. Vie­le Füh­rungs­kräf­te haben wenig Zeit und kön­nen sich nicht inhalt­lich mit allen Details aus­ein­an­der­set­zen. Hier wer­den Ampeln für eine ers­te Ein­ord­nung gefor­dert. So lan­ge ich das Grund­pro­blem die­ses gestress­ten Füh­rungs­stils nicht behe­ben kann, muss ich die For­de­rung nach Ampeln bedienen.
    Wäh­rend im letz­ten Punkt durch­klingt, dass ich es manch­mal ger­ne anders hät­te, sind die ers­ten bei­den Punk­te für mich durch­aus Grund genug, gezielt Ampeln in mei­nen Prä­sen­ta­tio­nen einzusetzen.

    • In der Tat: Die Ampel ist ein­fach zu erfas­sen und wirkt „zeit­spa­rend“ für die beson­ders hek­ti­sche Füh­rungs­kraft. Die Fra­ge ist, wie sehr sich Kom­ple­xi­tät redu­zie­ren lässt, ohne die Aus­sa­ge zu ver­fäl­schen. Lässt sich (und das ist m. E. heut­zu­ta­ge oft der Fall) der Sach­ver­halt nicht ein­fach kom­pakt dar­stel­len, hel­fen nun ein­mal kei­ne Ampeln und es gilt: „So viel Zeit muss sein!“ – auch bei Zeit­knapp­heit. Umgang mit Kom­ple­xi­tät ist nach mei­nem Dafür­hal­ten eine der Kern­auf­ga­ben von Füh­rung; die­se Kom­ple­xi­tät „zuzu­mu­ten“ m. E. unumgänglich.

      • In mei­nen Pro­jek­ten nut­ze ich Ampeln z. B. im Pro­jekt­sta­tus­be­richt immer nur in Kom­bi­na­ti­on mit einer Erläu­te­rung. Wäh­rend ich die­se schrei­be, ver­su­che ich den gesetz­ten Sta­tus noch­mal aus ver­schie­de­nen Sicht­wei­sen zu reflek­tie­ren und schrei­be z. B. auch dazu, wenn ich eine Ampel vor­sorg­lich „her­ab­setz­te“, um auf einen Miss­stand hinzuweisen.

        Dage­gen gibt es in unse­rer inter­nen Pro­jekt­stands­lis­te rei­ne Ampeln, deren Aus­sa­ge­kraft ich auch sehr anzwei­fel. Die­ser „Prä­sen­tier­tel­ler“ bie­tet den Imp­lus zum White­wasching der Sta­ti eige­ner Pro­jek­te, da die­se nicht gegen die Berich­te gegen geprüft werden. 

        Ich fra­ge mich ob es bes­se­re Über­sich­ten über lau­fen­de Pro­jek­te gibt, als ein­fa­che Lis­ten mit ein paar Ampeln drauf und ob die­se in Soft­ware­sys­te­men abbild­bar sind?

        Vie­le Grüße
        Johan­nes Frings

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