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Bäume im Sturm

Tim Themann

IT-Spe­zia­lis­ten wird gemein­hin unter­stellt, eher „ver­kopft“ zu sein. Obgleich das Kli­schee vom sich von Piz­za und Cola ernäh­ren­den sozio­pho­ben Ein­zel­gän­ger mei­ner Erfah­rung nach heut­zu­ta­ge wirk­lich alles ande­re als zutref­fend ist (und wohl auch nie wirk­lich zutref­fend war), ist das, was ich gern als „Stuhl­kreis-All­er­gie“ bezeich­nen wür­de, unter ITlern weit ver­brei­tet: Bei der Anwen­dung von typi­schen Mode­ra­ti­ons­me­tho­den soll­te man in der IT-Bran­che äußerst behut­sam vor­ge­hen; die Begeis­te­rung für „grup­pen­dy­na­mi­sche Spiel­chen“ hält sich in aller Regel doch sehr in Grenzen.

Eine Metho­de, die nach mei­nes Erach­tens trotz­dem recht pro­blem­los anwend­bar ist, ist das Brain­stor­ming nach Alex F. Osborn und Charles Hut­chin­son Clark. Obwohl die Metho­de als Kreativitätstechnik​1 in ihrer Wirk­sam­keit durch­aus umstrit­ten ist​2, ist sie nach mei­ner Erfah­rung gera­de für Grup­pen eher „ver­kopf­ter“ Men­schen sehr geeig­net: Die kla­re Tren­nung zwi­schen der Pha­se der Ideen­fin­dung, in der kei­ner­lei Bewer­tung oder Kom­men­tie­rung statt­fin­det, und der Pha­se des Sor­tie­rens und Bewer­tens ermög­licht auch eher „ver­geis­tig­ten“ Teil­neh­mern, ihrer Krea­ti­vi­tät frei­en Raum zu las­sen, ohne durch eher ana­ly­tisch ori­en­tier­te Gedan­ken behin­dert zu wer­den. Das gemein­sa­me „Los­las­sen“ der Gedan­ken in der Grup­pe redu­ziert zudem die Hem­mun­gen, auf das Ana­ly­tisch-Intel­lek­tu­el­le zu ver­zich­ten – eine krea­ti­ve Dyna­mik entsteht.

Als ITler fragt man sich natur­ge­mäß bei prak­tisch jeder Arbeits­me­tho­de, wie die­se am bes­ten durch Soft­ware zu unter­stüt­zen ist – ist es doch unse­re vor­ran­gi­ge Auf­ga­be, die Arbeit der Men­schen tech­nisch zu unter­stüt­zen! Nur all­zu häu­fig passt sich hier­bei jedoch der Mensch (und die Arbeits­me­tho­de) der Tech­nik an – manch­mal mit einem durch­aus posi­ti­ven Ratio­na­li­sie­rungs­ef­fekt, manch­mal jedoch auch unter (häu­fig fata­lem) Ver­bie­gen der Men­schen und Methoden.

Sucht man für das Brain­stor­ming nach soft­ware­ge­stütz­ten Alter­na­ti­ven zu Mode­ra­ti­ons­kar­ten und Pinn­wand, stößt man an ers­ter Stel­le auf Mind­map­ping-Werk­zeu­ge – nicht nur, dass Mind­map­ping oft als für Brain­stor­ming geeig­ne­te Metho­de pro­pa­giert wird, Mind­map­ping-Soft­ware wird auch häu­fig expli­zit für die­sen Zweck ver­mark­tet und bie­tet mehr oder min­der spe­zi­fi­sche Anpas­sun­gen dafür. Mind­map­ping und Brain­stor­ming wer­den inzwi­schen – gera­de im so gern soft­ware­ge­stützt arbei­ten­den IT-Umfeld – oft in einem Atem­zug genannt. Die (Software‑)​Werkzeugauswahl erin­nert hier (wie nur all­zu häu­fig) an Maslows Ham­mer – sinn­ge­mäß: „Wer als Werk­zeug nur einen Ham­mer hat, sieht in jedem Pro­blem einen Nagel“.

Mei­nes Erach­tens ist der Ein­satz von Mind­map­ping für das Brain­stor­ming – egal, ob mit oder ohne Soft­ware­un­ter­stüt­zung – ein ein­deu­ti­ger Fall des Ver­bie­gens einer Metho­de: Das früh­zei­ti­ge Struk­tu­rie­ren in Baum­form ist eine mas­si­ve Ver­än­de­rung des ursprüng­li­chen Ansat­zes und erscheint mir fatal – ist doch gera­de die kla­re Tren­nung zwi­schen Samm­lungs- und Bewer­tungs­pha­se der ent­schei­den­de Aspekt der Metho­de! Eine Ideen­samm­lung auf Basis von Mind­map­ping als „Brain­stor­ming“ zu bezeich­nen, ist also schlicht­weg falsch – und Ideen auf die­se Wei­se zu sam­meln, rea­li­siert nicht die mög­li­chen Effek­te des Brain­stor­mings. Ledig­lich in der Sor­tier- und Bewer­tungs­pha­se erscheint mir Mind­map­ping mög­li­cher­wei­se ein­setz­bar – und selbst in die­ser Pha­se habe ich gro­ße Zwei­fel, dass das Struk­tu­rie­ren in Baum­form dem frei­en Sor­tie­ren und Clus­tern von Mode­ra­ti­ons­kar­ten an einer Pinn­wand über­le­gen ist​3. Anders­her­um lebt Mind­map­ping von indi­vi­du­el­len Asso­zia­tio­nen und ist inso­fern ori­gi­när kei­ne Grup­pen­tech­nik – auch das Mind­map­ping als Metho­de wird also mas­siv ver­bo­gen, auch der ihm zuge­schrie­be­ne Effekt (so es ihn denn gibt, vgl. „Mind­maps – trotz Kar­te im eige­nen Hirn ver­irrt?“) auf kei­nen Fall realisiert.

Mind­map­ping und Brain­stor­ming gehö­ren nicht zusam­men – selbst die robus­tes­ten Bäu­me wach­sen im Sturm höchs­tens mehr schlecht als recht.

Quel­len der ver­wen­de­ten Bil­der: Jus­tin Bäder und Adam Bak­er, bei­de Bil­der lizen­ziert unter CC BY 2.0.

Fuß­no­ten:

  1.  Zu wei­te­ren Krea­ti­vi­täts­tech­ni­ken sie­he z. B. <http://​krea​tiv​-sein​.org/​k​r​e​a​t​i​v​i​t​a​e​t​/​k​r​e​a​t​i​v​i​t​a​e​t​stechniken>.
  2.  Vgl. z. B. Schulz-Hardt, Ste­fan, „Die gro­ße Illu­si­on“. For­schung & Leh­re 19 (2012), 9, 744 – 745. Auch zu fin­den unter <http://​www​.for​schung​-und​-leh​re​.de/​w​o​r​d​p​r​e​s​s/?p=11461> (19.07.2014).
  3.  Zudem ver­än­dert sich auch hier sicher­lich die Metho­de zumin­dest gering­fü­gig: Der Umgang mit Mehr­fach­nen­nun­gen bei­spiels­wei­se dürf­te in einer Baum­struk­tur anders gehand­habt wer­den als im Fal­le von Moderationskarten.
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